PRONIA-Projekt entwickelt Prognosemodelle für die Psychiatrie



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28.01.2021 14:34

PRONIA-Projekt entwickelt Prognosemodelle für die Psychiatrie

Die Psychiatrie verfügt nach wie vor über keine Prädiktionsmodelle, um das Risiko für beeinträchtigende Erkrankungsverläufe affektiver und psychotischer Störungen möglichst früh vorhersagen und damit präventiv behandeln zu können. Das vom LMU Klinikum München koordinierte PRONIA-Projekt („Personalised Prognostic Tools for Early Psychosis Management“) hat in den letzten drei Jahren Prognosemodelle für psychotische und affektive Störungen auf Grundlage maschineller Lernverfahren entwickelt. Anfang Dezember 2020 ist darüber ein weiterer Artikel in der Fachzeitschrift „JAMA Psychiatry“ veröffentlicht worden.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Trotz aller derzeit verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten entwickelt die Hälfte der Patienten mit einer manifesten psychotischen Störung ungünstige Krankheitsverläufe, die zu psychosozialen und beruflichen Schwierigkeiten, erhöhter Mortalität und hohen sozioökonomischen Folgekosten führen. Diverse prognostische Modelle wurden entwickelt, um diese Störungen so früh wie möglich vorherzusagen, d.h. bei Patienten mit einem klinischen Hochrisikostatus für Psychosen.

Nach jetzigem Forschungsstand ist immer noch unklar, ob diese Modelle in der klinischen Versorgung eingesetzt werden können, da man nicht weiß, welche Untersuchung die beste prognostische Genauigkeit liefert und wie die Untersuchungen bei dem jeweiligen Patienten kombiniert werden müssen, um die Genauigkeit zu maximieren und gleichzeitig die Untersuchungslast auf ein Minimum zu reduzieren. Schließlich konzentrieren sich die derzeitigen Strategien zur Frühprävention immer noch auf junge Menschen mit subtilen klinischen Hochrisikosyndromen, die eine abgeschwächte Manifestation einer voll ausgeprägten Psychose darstellen.

Diese Risikopopulation ist jedoch möglicherweise zu eng definiert, wodurch gefährdete Personen mit anderen risikobehafteten Syndromen, wie z. B. depressiven Störungen, grundsätzlich von einer effektiven Prävention ausgeschlossen werden. Bis heute gibt es keine Studien, die untersucht haben, ob eine Vorhersage von Psychosen mit Hilfe von biologischen und klinischen Markern in einer solchen transdiagnostischen Stichprobe von Jugendlichen mit einem Risiko für diese verheerende Krankheit möglich ist.

Um diese offenen Fragen zu beantworten, hat das PRONIA-Konsortium (www.pronia.eu) eine standortübergreifende, longitudinale Prognosestudie in sieben akademischen Früherkennungsdiensten in fünf europäischen Ländern durchgeführt, die Patienten mit klinischen Hochrisikosyndromen oder kürzlich aufgetretenen Depressionen nachverfolgten. In einer neuen Arbeit, die in JAMA Psychiatry (siehe Originalpublikation) veröffentlicht wurde, untersuchten Koutsouleris et al., ob der Übergang in eine Psychose bei diesen Patienten mit multimodalen maschinellen Lernmodellen vorhergesagt werden kann. Dabei verarbeiteten und integrierten diese Modelle klinische und neurokognitive Daten, strukturelle Magnetresonanztomographie (sMRI) und polygene Risikoscores (PRS) für Schizophrenie. Die Autor*innen bewerteten auch die Generalisierbarkeit der Modelle und verglichen sie mit den Vorhersagen der Kliniker bzgl. des Verlaufs der Patienten. Schließlich zielten die Autor*innen auch darauf ab, den klinischen Nutzen zu maximieren, indem sie ein sequentielles prognostisches System aufbauten, das menschliche und algorithmische prognostische Fähigkeiten integrierte.

Insgesamt wurden 668 Personen (334 Patienten und 334 Kontrollen) in die Analyse einbezogen. Die Ergebnisse zeigten, dass maschinelle Lernmodelle, die sequentiell klinische und biologische Daten mit den Einschätzungen der Kliniker kombinieren, Krankheitsübergänge in 85,9 Prozent der Fälle über geografisch unterschiedliche Sensitivität der Kliniker, gemessen an einer Falsch-Negativ-Rate Patientenpopulationen hinweg korrekt vorhersagten. Die mangelnde prognostische von 38,5 Prozent, wurde durch das sequenzielle prognostische Modell auf 15,4 Prozent reduziert.

“Auf der Grundlage unserer Ergebnisse glauben wir, dass es klare Strategien gibt, um effiziente Werkzeuge der Präzisionsmedizin in der klinischen Versorgung zu implementieren und damit die Versprechen der präventiven Psychiatrie zu realisieren. Die nächste Generation von Studien muss nun testen, ob diese Werkzeuge das Psychose-Risiko der Patienten effektiv reduzieren können, indem sie passgenaue, personalisierte Prävention ermöglichen”, sagt der Erstautor der Studie, Prof. Nikolaos Koutsouleris, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum München.

Originalpublikation:

„Multimodal Machine Learning Workflows for Prediction of Psychosis in Patients With Clinical High-Risk Syndromes and Recent-Onset Depression“; Koutsouleris, N., Dwyer, D. B., Degenhardt, F., Maj, C., Urquijo-Castro, M. F., Sanfelici, R., Meisenzahl, E. … JAMA Psychiatry online, December 2, 2020. doi:10.1001/jamapsychiatry.2020.3604


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Nikolaos Koutsouleris
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
LMU Klinikum München
Campus Innenstadt
Tel: +49 89 4400-55885
E-Mail: nikolaos.koutsouleris@med.uni-muenchen.de


Originalpublikation:

doi:10.1001/jamapsychiatry.2020.3604


Weitere Informationen:

http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Klinik-und-Poliklinik-fuer-Psychiatrie-und-P…


Anhang

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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW