20.10.2022 11:00
Schlaganfälle durch einen Basilaris-Verschluss – signifikanter Nutzen der Thrombektomie
Bei Schlaganfällen durch einen Verschluss (Thrombus) der Arteria basilaris im hinteren Bereich des Gehirns, basierte die Therapieempfehlungen bisher in erster Linie auf Registerdaten. Jetzt bestätigen fast zeitgleich zwei chinesische Studien [1, 2], dass die Betroffenen zusätzlich zur Standardbehandlung signifikant von der Entfernung des Thrombus mittels Gefäßkatheter (endovaskuläre Thrombektomie) profitieren, wie es bei Verschlüssen anderer großer Hirnarterien bereits etabliertes Vorgehen ist. Die 90-Tages-Mortalität sank und das funktionelle Outcome verbesserte sich.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wenn bei einem Schlaganfall die Basilararterie betroffen ist (sogenannter akuter Basilarisverschluss), kann dies schnell lebensgefährlich werden, denn die A. basilaris versorgt das Kleinhirn und den Hirnstamm, wo sich lebenswichtige Nervenzentren befinden, z. B. das Atemzentrum. Wie bei allen ischämischen Schlaganfällen muss die Therapie so schnell wie möglich beginnen, als Zeitfenster gelten in der Regel 4,5 Stunden. Je später begonnen wird, desto größer ist das Risiko, dass Schäden zurück bleiben. Die spezifische Therapie kann mit einer medikamentösen Auflösung des Gerinnsels (intravenöse Thrombolyse) oder durch die mechanische Entfernung des Thrombus mit einem Gefäßkatheter-Eingriff (interventionelle bzw. endovaskuläre/ intravasale Thrombektomie) erfolgen. Auch die Kombination beider Verfahren ist in bestimmten Situationen sinnvoll, beispielsweise bei längeren Transportzeiten in das nächste Thrombektomie-Zentrum.
Ob die Betroffenen mit Basilarisverschlüssen von einer intravasalen Thrombektomie genauso profitieren, wie es bei Verschlüssen anderer großer Hirnarterien der Fall ist, war bislang nicht ausreichend durch klinische randomisierte Studien gesichert. Zu dieser Fragestellung wurden nun zwei Studien aus China mit insgesamt über 500 Teilnehmenden publiziert.
In den prospektiv randomisierten Studien BAOCHE („Basilar Artery Occlusion Chinese Endovascular“) [1] und ATTENTION („Endovascular Treatment for Acute Basilar-Artery Occlusion“) [2] wurden über einen Zeitraum von mehreren Jahren Betroffene mit Basilarisverschluss analysiert. Die Dauer von Symptombeginn bis zur Randomisierung betrug 6-24 Stunden [1] bzw. durfte 12 Stunden [2] nicht überschreiten. In beiden Studien konnte zunächst eine intravenöse Lyse begonnen werden (d. h. wenn keine individuellen Kontraindikationen oder Studienausschlusskriterien vorlagen). Die weitere Behandlung erfolgte entweder mit einer standardisierten Therapie („standard/best medical care“) plus endovaskulärer Thrombektomie (Thrombektomie-Gruppe) oder mit konservativer Standardtherapie alleine (Kontrollgruppe). Das primäre Outcome war ein guter funktioneller Status nach 90 Tagen, definiert als mRS-Score von 0-3 (auf der modifizierten Ranking-Skala von mRS 0 = keine Symptome/Behinderung bis 6 = Tod). Das primäre Sicherheits-Outcome beinhaltete symptomatische intrakranielle Blutungen nach 24-72 Stunden und die 90-Tages-Mortalität.
In der BAOCHE-Studie [1] konnten abschließend 217 Teilnehmende ausgewertet werden (110 in der Thrombektomie-Gruppe und 107 in der Kontrollgruppe, Alter durchschnittlich ca. 64 Jahre, ca. 73% Männer). Die Randomisierung war median ca. 11 Stunden (663 Minuten) nach Symptombeginn erfolgt. Eine Thrombolyse hatten 14% der Teilnehmenden in der Thrombektomie-Gruppe und 21% in der Kontrollgruppe erhalten. In der ATTENTION-Studie [2] gingen 340 Teilnehmende in die Analyse ein (226 in der Thrombektomie-Gruppe und 114 in der Kontrollgruppe; mittleres Alter ca. 66 Jahre, 66 bzw. 72% Männer). Die Randomisierung war nach median ca. fünf Stunden (300 Minuten) erfolgt. Eine Thrombolyse hatten 31% und 34% erhalten.
Die BAOCHE-Studie [1] wurde nach einer präspezifizierten Zwischenanalyse aufgrund der Überlegenheit der Thrombektomie gestoppt. Einen guten mRS-Score von 0-3 hatten in der Thrombektomie-Gruppe 46% (n=51/110) erreicht – gegenüber 24% (n=26/107) in der Kontrollgruppe (adjustierte RR 1,81, p<0,001). Symptomatische intrakranielle Blutungen traten bei 6/102 (6%) in der Thrombektomie-Gruppe und bei 1/88 (1%) in der Kontrollgruppe auf (RR 5,18). Die 90-Tages-Mortalität betrug in der Thrombektomie-Gruppe 31% und 42% in der Kontrollgruppe (adjustierte RR 0,75). Komplikationen durch die Behandlung traten bei 11% in der Thrombektomie-Gruppe auf.
In der ATTENTION-Studie [2] erreichten nach 90 Tagen in der Thrombektomie-Gruppe ebenfalls 46% (n=104/226) einen guten funktionellen Status (mRS-Score ≤3) – gegenüber 23% (26/114) in der Kontrollgruppe (adjustierte RR 2,06, p<0,001). Symptomatische intrakranielle Blutungen traten in der Thrombektomie-Gruppe bei 12/226 Teilnehmenden (5%) auf, gegenüber 0% in der Kontrollgruppe. Die 90-Tages-Mortalität betrug 37% in der Thrombektomie-Gruppe und 55% in der Kontrollgruppe (adjustierte RR 0,66); mit dem Eingriff assoziierte Komplikationen traten bei 14% in der Thrombektomie-Gruppe auf (einschließlich eines Todesfalls aufgrund einer arteriellen Perforation).
„Gleich zwei relativ große, randomisierte prospektive Studien zeigten bei akutem Basilarisverschluss einen signifikanten therapeutischen Nutzen der zusätzlichen mechanischen Thrombektomie zur Standardtherapie – es erreichten praktisch doppelt so viele Betroffene ein gutes funktionelles Outcome“, kommentiert Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen. „Die Sterblichkeit über 90 Tage war allerdings mit ca. einem Drittel weiterhin hoch, auch wenn sie deutlich niedriger war als bei alleiniger Standardtherapie.“
„Zu der signifikanten Absenkung der Sterblichkeit um bis 34% kam es trotz insgesamt häufigerer Komplikationen wie dem höheren Risiko für intrazerebrale Blutungen“, so Diener. „In den beiden Studien betrugen die Zeitfenster für den Therapiebeginn allerdings deutlich mehr als die sonst geforderten 4,5 Stunden. Um die Behandlungsergebnisse weiter zu verbessern, wird es wichtig sein, dass die Betroffenen auch bei dieser besonderen Schlaganfall-Art so schnell wie möglich die Klinik erreichen.“ Der Experte weist aber auch auf die besondere Patientenpopulation der Studien hin, die eine Übertragbarkeit der Ergebnisse erschweren: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren mehrheitlich aus Asien mit einem höheren Anteil an vorbestehenden Stenosen der A. basilaris als bei Kaukasiern. „Wünschenswert wäre, wenn Studien die Ergebnisse an einer europäischen Population bestätigten.“
[1] Jovin TG, Li C, Wu L et al. for the BAOCHE Investigators. Trial of Thrombectomy 6 to 24 Hours after Stroke Due to Basilar-Artery Occlusion. N Engl J Med 2022; 387: 1373-84
[2] Tao C, Nogueira RG, Zhu Y et al. for the ATTENTION Investigators. Trial of Endovascular Treatment of Acute Basilar-Artery Occlusion. N Engl J Med 2022; 387: 1361-72
Pressekontakt
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
E-Mail: presse@dgn.org
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 11.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org
Bilder
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch