Antivitamine als neue Antibiotika: Team aus Göttingen entwickelt Medikamentenansatz gegen bakterielle Infektionen



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24.08.2020 17:00

Antivitamine als neue Antibiotika: Team aus Göttingen entwickelt Medikamentenansatz gegen bakterielle Infektionen

Antibiotika zählen zu den wichtigsten Errungenschaften der modernen Medizin. Viele durch bakterielle Infektionen hervorgerufene Krankheiten werden mit Antibiotika behandelt. Allerdings können Bakterien gegen die Antibiotika Resistenzen entwickeln. Besonders problematisch sind die sogenannten multiresistenten Erreger. Die Suche nach neuartigen Antibiotikaklassen ist daher von großer Wichtigkeit. Forscher der Universität Göttingen und des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie Göttingen haben jetzt einen neuen vielversprechenden Ansatz beschrieben, neue Antibiotikaklassen zu entwickeln. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology erschienen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

(pug) Für die Studie arbeitete das Team um Prof. Dr. Kai Tittmann vom Göttinger Zentrum für Molekulare Biowissenschaften an der Universität Göttingen gemeinsam mit der Gruppe von Prof. Dr. Bert de Groot vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie Göttingen sowie Prof. Dr. Tadgh Begley von der Texas A&M University (USA) zusammen. Gemeinsam untersuchten sie den atomaren Wirkmechanismus eines natürlich vorkommenden Antivitamins des Vitamins B1. Einige Bakterien sind in der Lage, eine toxische Form dieses lebenswichtigen Vitamins herzustellen, um konkurrierende Bakterien abzutöten. Das Antivitamin hat nur ein einziges Atom zusätzlich zum natürlichen Vitamin an einer scheinbar unwichtigen Stelle und die spannende Frage war, warum das Vitamin trotzdem „vergiftet“ ist.

Das Team um Tittmann untersuchte mittels hochaufgelöster Proteinkristallografie, wie das Antivitamin ein wichtiges Protein aus dem Zentralstoffwechsel von Bakterien hemmt. Dabei zeigte es sich, dass der „Tanz der Protonen“, den man normalerweise in funktionierenden Proteinen beobachten kann, fast vollständig zum Erliegen kommt, das Protein arbeitet nicht mehr. „Dieses eine zusätzliche Atom des Antivitamins ist wie das berühmte Sandkorn in einem komplexen Getriebe, das die fein abgestimmte Mechanik blockiert“, erklärt Tittmann. Interessanterweise kommen menschliche Proteine mit dem Antivitamin vergleichsweise gut klar und arbeiten weiter. Warum das so ist, untersuchten der Chemiker Groot und sein Team mittels Computersimulationen. „Die menschlichen Proteine binden das Antivitamin entweder gar nicht oder so, dass sie nicht ‚vergiftet‘ werden“, so der Max-Planck-Forscher. Die unterschiedliche Wirkung des Antivitamins auf bakterielle und humane Proteine eröffnet die Möglichkeit, dieses zukünftig als Antibiotikum einzusetzen und damit neue therapeutische Alternativen zu schaffen.

Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Kai Tittmann
Georg-August-Universität Göttingen
Abteilung für Molekulare Enzymologie
Julia-Lermontowa-Weg 3, 37077 Göttingen
Telefon: 0551 39177811
E-Mail: ktittma@gwdg.de
www.uni-goettingen.de/en/sh/198266.html

Prof. Dr. Bert de Groot
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Forschungsgruppe Computergestützte biomolekulare Dynamik
Am Fassberg 11, 37077 Göttingen
Telefon: 0551-2012308
Email: bgroot@gwdg.de
https://www.mpibpc.mpg.de/de/degroot


Originalpublikation:

F. Rabe von Pappenheim et al. Structural basis for antibiotic action of the B1 antivitamin 2′-methoxy-thiamine. Nature Chemical Biology (2020). Doi: https://doi.org/10.1038/s41589-020-0628-4


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW