27.05.2022 12:49
Anwendungsbegleitende Datenerhebung bei Marktzugang mehrerer Wirkstoffe einer Klasse: IQWiG legt Konzept vor
Anwendungsbegleitende Datenerhebung bei Marktzugang mehrerer Wirkstoffe einer Klasse: IQWiG legt Konzept vor
Das Institut empfiehlt Plattform-Studien unter einem Masterprotokoll.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat sich das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Frage befasst, wie eine anwendungsbegleitende Datenerhebung bei Marktzugang mehrerer Arzneimittel einer Wirkstoffklasse aussehen sollte. In seinem heute veröffentlichten Konzept plädiert das Institut dafür, die anwendungsbegleitende Datenerhebung in solchen Fällen als sogenannte adaptive Plattform-Studie unter einem Masterprotokoll durchzuführen. Dieses Studiendesign erlaubt die sukzessive Einführung neuer Wirkstoffe als Studienarme in die Datenerhebung.
„Die Situation des Marktzugangs mehrerer Wirkstoffe einer Wirkstoffklasse für eine gegebene Indikation stellt für die Durchführung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung mit dem Ziel der Nutzenbewertung dieser Wirkstoffe eine besondere Herausforderung dar“, betont Beate Wieseler, Leiterin des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung. „Alle diese Wirkstoffe in separaten Datenerhebungen zu untersuchen ist nicht effizient und, abhängig von der Zahl der betroffenen Patientinnen und Patienten, nicht durchführbar. Hier müssen Strukturen geschaffen werden, die die Datenerhebung beschleunigen und konsistent hochwertige Daten innerhalb des Anwendungsgebiets zur Verfügung stellen.“
Ein Wirkstoff mit Zusatznutzen würde zur neuen zweckmäßigen Vergleichstherapie
Dem IQWiG-Konzept zufolge sollte die anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD) für mehrere Wirkstoffe mit dem Ziel der Nutzenbewertung dieser Wirkstoffe als adaptive Plattform-Studie durchgeführt werden. In einer solchen Studie wird eine Plattform für die Datenerhebung einmal etabliert, neue Wirkstoffe können dann als neue Studienarme sukzessive in die laufende Datenerhebung eingeführt werden. Damit kann der Beginn der Datenerhebung für Folgewirkstoffe beschleunigt werden. Darüber hinaus kann eine gemeinsame Kontrollgruppe für die verschiedenen Wirkstoffe genutzt werden, wodurch sich die Anzahl der zu beobachtenden Patientinnen und Patienten verringert. Zugleich erlaubt dieses Studiendesign auch eine kontrollierte Beendigung eines Studienarms, wenn ausreichend Daten für eine Nutzenbewertung verfügbar sind.
Ist für ein Präparat ein Zusatznutzen belegt, so kann die Behandlung mit diesem Wirkstoff in diesem Design zur neuen zweckmäßigen Vergleichstherapie werden und die gemeinsame Kontrollgruppe wird entsprechend angepasst. Dadurch, dass die gesamte Datenerhebung unter einem gemeinsamen Masterprotokoll erfolgt, ist zudem sichergestellt, dass die Daten einheitlich erhoben werden und somit vergleichbar sind.
Plattform-Studien können ohne Randomisierung und mit Randomisierung durchgeführt werden. Qua Gesetz sind anwendungsbegleitende Datenerhebungen aktuell nur als Studien ohne Randomisierung möglich: „Ohne die zufällige Zuordnung auf die Studienarme entstehen aber hohe Anforderungen an die Datenerhebung, wenn man aus diesen verlässliche Aussagen für die Nutzenbewertung ableiten will“, betont Stefan Lange, stellvertretender Leiter des IQWiG. Unter anderem müssten Risikounterschiede in den Populationen erfasst werden, um Störgrößen (engl. Confounder) für einen fairen Vergleich der Interventionen untereinander adjustieren zu können. Lange: „Letztlich ist es ein Trugschluss zu glauben, dass rein beobachtende Registerstudien eine einfache Lösung sind. Randomisierte Studien könnten mit einer weit weniger aufwendigen Datenerhebung verlässlichere Ergebnisse liefern.“
AbD bei CAR-T-Zelltherapien zur Behandlung hämatoonkologischer Erkrankungen
Konkreter Anlass für die Beauftragung des IQWiG, ein Konzept zu AbD bei Marktzugang mehrerer Arzneimittel einer Wirkstoffklasse zu erstellen, war die aktuelle Situation bei der Therapie hämatoonkologischer Erkrankungen. Hier sind bereits jetzt mehrere CAR-T-Zelltherapien zur Behandlung von erwachsenen Patientinnen und Patienten mit B-Zell-Lymphomen zugelassen; weitere Wirkstoffe dürften folgen. „Eine solche dynamische Entwicklung in einem Therapiefeld ist eigentlich nicht selten“, erläutert IQWiG-Ressortleiterin Beate Wieseler: „Es gibt neue Forschungserkenntnisse zu einer Erkrankung – anschließend entwickeln mehrere Hersteller parallel neue Wirkstoffe auf Basis dieses Wissens.“
Das IQWiG zeigt in seinem Bericht, dass sich das Konzept der Plattform-Studie auch auf eine AbD zur CAR-T-Zelltherapie in der genannten Indikation übertragen lässt.
Beschleunigung der evidenzbasierten Versorgung von Patientinnen und Patienten
Das IQWiG beschreibt in seinem Konzept den Einsatz von Plattform-Studien zur Durchführung von vergleichenden Studien ab Markteintritt, also nach der Zulassung. Das bedeutet, dass eine evidenzbasierte Versorgung von Patientinnen und Patienten erst verzögert nach Abschluss dieser Studien möglich ist. „Derartige Plattform-Studien könnten grundsätzlich aber natürlich auch vor der Zulassung durchgeführt werden“, erläutert Wieseler. „Dadurch könnten bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der neuen Wirkstoffe in die Routineversorgung vergleichende Daten vorliegen. Die evidenzbasierte Versorgung von Patientinnen und Patienten würde durch ein solches Vorgehen beschleunigt.“
Das IQWiG weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es bereits verschiedene Plattform-Studien gibt, die vor der Zulassung Kandidaten für eine Wirkstoffentwicklung identifizieren. Diese Studien werden zum Teil auch als randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt und belegen die Machbarkeit Hersteller-übergreifender Studien. Beate Wieseler: „Die Ausdehnung dieser Konzepte auch auf spätere Phasen der Arzneimittelentwicklung ist ein innovativer und sehr sinnvoller Ansatz zur Verbesserung der Datenlage – sowohl für die Zulassung als auch für die Nutzenbewertung.“
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Der G-BA beauftragte das IQWiG am 01.04.2021 mit der wissenschaftlichen Ausarbeitung eines Konzepts zur Generierung versorgungsnaher Daten und zu deren Auswertung zum Zweck der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V in der Situation des Marktzugangs mehrerer Arzneimittel einer Wirkstoffklasse. Laut Beauftragung sollte der Bericht in einem beschleunigten Verfahren als sogenannter Rapid Report erstellt werden. Zwischenprodukte wurden daher nicht veröffentlicht und nicht zur Anhörung gestellt. Der vorliegende Rapid Report wurde am 28.04.2022 an den Auftraggeber versandt.
Originalpublikation:
https://www.iqwig.de/projekte/a21-37.html
Weitere Informationen:
https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_70…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch