Bevacizumab gegen Hirntumoren kann kognitive Einschränkungen auslösen



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02.04.2019 09:33

Bevacizumab gegen Hirntumoren kann kognitive Einschränkungen auslösen

Das Glioblastom ist die häufigste Form des Hirntumors bei Erwachsenen. Es handelt sich um eine sehr aggressive Krebsform; Patienten mit dieser Diagnose haben eine mittlere Überlebenszeit von 15 Monaten. Vor allem in den USA wird zur Behandlung von Glioblastomen der Wirkstoff Bevacizumab eingesetzt. Das Medikament ist keine Chemotherapie im klassischen Sinne, sondern eine Therapie mit einem Antikörper, der das Krebswachstum eindämmen soll. In einer großen Therapiestudie ergaben sich Hinweise darauf, dass Glioblastom-Patienten, die mit Bevacizumab behandelt wurden, kognitive Einschränkungen entwickeln können.

Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum (RUB) hat deshalb untersucht, wie Bevacizumab auf Nervenzellen direkt wirkt. Ihre Ergebnisse beschreiben die Forscher in der Zeitschrift Frontiers in Cellular Neuroscience, online veröffentlicht am 26. März 2019.

Spurensuche im Hippocampus

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Glioblastome können nur deshalb so schnell wachsen, weil sie ein dichtes Geflecht an Blutgefäßen ausbilden. Dazu produzieren die Tumorzellen große Mengen des Wachstumsfaktors VEGF. Bevacizumab bindet und blockiert diesen Wachstumsfaktor und verhindert so, dass neue Blutgefäße gebildet werden. Allerdings wirkt sich der Wachstumsfaktor VEGF nicht nur auf die Bildung neuer Blutgefäße aus. Im zentralen Nervensystem übt er außerdem eine stimulierende und schützende Wirkung aus. Wie sich eine Blockade des VEGF-Kreislaufs durch Bevacizumab auf die Funktion der Nervenzellen auswirkt, wurde bislang nicht hinreichend untersucht. Die Neurowissenschaftler aus der Abteilung für Cytologie, der Abteilung für Neurophysiologie und der Klinik für Neurologie im RUB-Klinikum Knappschaftskrankenhaus überprüften die Annahme, dass die kognitiven Einschränkungen, die bei Glioblastom-Patienten unter der Behandlung mit Bevacizumab beobachtet wurden, durch Veränderungen im Hippocampus – der wichtigsten Gedächtnisstruktur des Menschen – hervorgerufen wurden.

Auffälligkeiten im Hippocampus entdeckt

Sie untersuchten anhand von Hirnschnitten und Zellkulturen von Ratten, welche Auswirkungen Bevacizumab auf die Zellen des Hippocampus hat. Dabei konzentrierten sie sich auf drei Aspekte: die neuronale Plastizität der Zellen, die Dornenfortsätze auf den Nervenzellen und die Art, wie die Zellen Reize übertragen. Alle drei Komponenten sind wichtige Faktoren für die Kognition und Gedächtnisbildung. In allen untersuchten Bereichen zeigten sich unter der Gabe von Bevacizumab Auffälligkeiten. „In unserer Studie konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass Bevacizumab die Funktion des Hippocampus beeinflussen kann“, fasst Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan, Leiterin der Abteilung für Neurophysiologie an der RUB, die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Ob die in den Experimenten gewählte Bevacizumab-Konzentration der im menschlichen Gehirn eines Patienten mit Glioblastom unter Therapie exakt entspricht, muss offen bleiben.

Förderung

Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich 874 (SFB 874) der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Der SFB 874 „Integration und Repräsentation sensorischer Prozesse“ besteht seit 2010 an der Ruhr-Universität Bochum. Die Forscherinnen und Forscher beschäftigten sich mit der Frage, wie sensorische Signale neuronale Karten generieren, und daraus komplexes Verhalten und Gedächtnisbildung resultiert.

Originalveröffentlichung

Pauline Latzer, Olena Shchyglo, Tim Hartl, Veronika Matschke, Uwe Schlegel, Denise Manahan-Vaughan, Carsten Theiss: Blocking VEGF by Bevacizumab compromises electrophysiological and morphological properties of hippocampal neurons, in: Frontiers in Cellular Neuroscience, 2019, DOI: 10.3389/fncel.2019.00113

Pressekontakt

Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan
Abteilung für Neurophysiologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 24919
E-Mail: denise.manahan-vaughan@rub.de

Prof. Dr. Carsten Theiss
Abteilung für Cytologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 24560
E-Mail: carsten.theiss@rub.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan
Abteilung für Neurophysiologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 24919
E-Mail: denise.manahan-vaughan@rub.de

Prof. Dr. Carsten Theiss
Abteilung für Cytologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 24560
E-Mail: carsten.theiss@rub.de


Originalpublikation:

Pauline Latzer, Olena Shchyglo, Tim Hartl, Veronika Matschke, Uwe Schlegel, Denise Manahan-Vaughan, Carsten Theiss: Blocking VEGF by Bevacizumab compromises electrophysiological and morphological properties of hippocampal neurons, in: Frontiers in Cellular Neuroscience, 2019, DOI: 10.3389/fncel.2019.00113


Weitere Informationen:

https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fncel.2019.00113/full


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW