01.02.2019 12:35
Erenumab bei Migräne: Hinweis auf beträchtlichen Zusatznutzen für bestimmte Patienten
Als Prophylaxe erfolgreich, wenn andere medikamentöse Therapien ausgeschöpft sind
Mit Erenumab kam im November 2018 das erste Medikament einer neuen Wirkstoffklasse zur Prophylaxe von Migräne auf den deutschen Markt. In einer frühen Nutzenbewertung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nun untersucht, ob Erenumab einen Zusatznutzen bietet. Wie die vom Hersteller vorgelegten Daten zeigen, kann Erenumab bei jenen Patientinnen und Patienten die Belastung durch Migräne verringern, bei denen andere, bisher zur Prophylaxe eingesetzte Arzneistoffe versagten oder nicht infrage kamen.
Der Hersteller legte Daten lediglich für die episodische Migräne vor, nicht jedoch für die chronische Migräne. Da diese Klassifikation jedoch einzig auf der Zahl der Schmerztage beruht und die Grenzen zwischen episodischer und chronischer Migräne unscharf sind, sieht das IQWiG den Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen nicht auf die episodische Migräne beschränkt.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wirkstoffklasse schaltet Botenstoff CGRP aus
Im Unterschied zur Akutbehandlung gab es für die Prophylaxe der Migräne bislang keine speziellen Arzneistoffe. Zwar ist längst eine ganze Reihe von Medikamenten verfügbar. Diese wurden jedoch alle für andere Krankheitsbilder entwickelt, etwa für Bluthochdruck, Depressionen oder Epilepsie.
Seit langem ist bekannt, dass bei der Entstehung von Migräne ein bestimmter Botenstoff namens CGRP (Calcitonin Gene Related Peptide) eine zentrale Rolle spielt. Es sollte jedoch Jahrzehnte dauern, bis es gelang, ein Medikament zu entwickeln, das CGRPP ausschaltet, ohne gravierende Nebenwirkungen zu haben.
Erenumab ist der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse, die nun Marktreife erlangte. Sein Wirkmechanismus besteht darin, die Funktion des CGRP-Rezeptors im Gehirn zu hemmen.
Dossier enthält Daten für eine von drei Patientengruppen
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat zwischen drei Gruppen von Patientinnen und Patienten unterschieden, die jeweils mindestens vier Migränetage pro Monat aufweisen. Unterscheidungskriterium ist dabei, ob und wenn ja welche medikamentöse Prophylaxe sie bisher schon erhalten haben.
Das Dossier des Herstellers enthält jedoch nur für eine Gruppe Daten, nämlich für Patientinnen und Patienten, bei denen die bisher zur Migräne-Prophylaxe zugelassenen Wirkstoffe einschließlich Valproinsäure und Botox (Clostridium botulinum Toxin Typ A) versagt hatten oder für die sie nicht infrage kamen, etwa wegen Unverträglichkeit.
Als zweckmäßige Vergleichstherapie hat der G-BA für diese Gruppe „Best supportive Care“ (BSC), also die bestmögliche, individuell optimierte Behandlung bestimmt, wie etwa Psychotherapie oder Entspannungsverfahren.
Nur Patienten mit episodischer Migräne eingeschlossen
Die vom Hersteller im Dossier herangezogenen Daten von 193 Patientinnen und Patienten stammen aus der randomisierten kontrollierten Studie LIBERTY, auf der auch die Zulassung basiert. Über einen Zeitraum von 12 Wochen wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern entweder einmal monatlich Erenumab unter die Haut gespritzt oder ein Scheinmedikament, jeweils ergänzt durch BSC.
Eingeschlossen werden konnte, wer zwischen vier und 14 Kopfschmerztage pro Monat aufweist (episodische Migräne) und bei dem mindestens zwei, aber höchstens vier medikamentöse Prophylaxen bereits versagt hatten. Patienten mit chronischer Migräne, die laut Klassifikation an 15 oder mehr Tagen pro Monat unter Kopfschmerzen leiden, sind in LIBERTY nicht vertreten.
Weniger Migränetage, geringere Beeinträchtigung
Wie die Auswertung dieser Daten zeigt, konnten in der Erenumab-Gruppe bei deutlich mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Zahl der Kopfschmerztage mindestens halbiert werden als in der Placebogruppe. Das gilt auch für die Zahl der Migräne-Anfälle, die jeweils mehrere Tage dauern können.
Auch was die „allgemeine Beeinträchtigung“ durch Kopfschmerzen sowie die „Aktivitätsbeeinträchtigung“ betrifft, fallen die Ergebnisse zugunsten von Erenumab aus.
Keine oder keine relevanten Unterschiede zeigen sich dagegen bei der „körperlichen Funktion“, bei der „Arbeitsproduktivität“, beim Gesundheitszustand und bei den Nebenwirkungen. Der Endpunkt Lebensqualität wurde in LIBERTY überhaupt nicht erhoben.
Einziges Kriterium ist Zahl der Kopfschmerztage
Zugelassen wurde Erenumab sowohl für die episodische als auch für die chronische Migräne. Auch die Studienergebnisse müssen nicht auf die episodische Migräne beschränkt bleiben, findet sich doch für den Wert „14 Tage“ zur Abgrenzung der episodischen von der chronischen Migräne in der Literatur keine medizinische oder andere inhaltliche Begründung. Zudem liegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von LIBERTY im Übergangsbereich zwischen der episodischen und der chronischen Migräne.
In der Gesamtschau sieht das IQWiG deshalb für die Prophylaxe der Migräne einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen von Erenumab.
G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens
Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der G-BA verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens.
Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem allgemein verständliche Informationen.
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