Ganzheitliches Krisenmanagement in der Corona-Krise: Politik sollte Indikatorensystem einführen



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08.05.2020 13:03

Ganzheitliches Krisenmanagement in der Corona-Krise: Politik sollte Indikatorensystem einführen

Das Krisenmanagement in der aktuellen zweiten Phase der Pandemie muss neben dem Gesundheitsschutz auch die Entwicklungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich in den Blick nehmen. Dafür sollte ein Indikatorensystem aufgestellt werden, das gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. In einem aktuellen Positionspapier legt das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung einen Vorschlag für ein solches Corona-Dashboard vor.

Dieses sollte zeitnah von den Krisenstäben in Bund und Ländern eingeführt werden. Darüber hinaus sollte mit umfangreichen repräsentativen Tests und empirischen Studien zu den Wirkungskanälen von Maßnahmen die evidenzbasierte Grundlage für die politischen Entscheidungen gestärkt werden.

Die wichtigsten Ergebnisse:

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

• Für künftige politische Entscheidungen müssen die gesundheitsbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen der Krise im Grundsatz gleichberechtigt betrachtet und zwischen den Wirkungen auf diese drei Dimensionen abgewogen werden. Dafür sollten die Krisenstäbe in Bund und Ländern ein regelmäßig aktualisiertes und kompaktes „Corona-Dashboard“ verwenden. Die darin gesammelten Erkenntnisse könnten von Experten aus verschiedenen Disziplinen regelmäßig ausgewertet werden, um die unausweichlichen politischen Abwägungen beratend zu unterstützen.

• Die Indikatoren sollten auf kleinräumiger Ebene erhoben und möglichst präzise und in hoher Frequenz zur Verfügung stehen. Auf diese Weise können die Entscheidungen über notwendige Maßnahmen die regionalen Unterschiede berücksichtigen.

• Gesundheitsbezogene Indikatoren: Ein erneutes exponentielles Wachstum der Neuinfektionen muss verhindert werden. Als Indikatoren herangezogen werden sollten sämtliche Daten des Infektionsgeschehens wie (i) der Reproduktionsfaktor R, (ii) die Anzahl an Neuinfektionen und der aktuell Infizierten, (iii) die Anzahl der Quarantäne- und (iv) der Todesfälle. Weiterhin sind die Versorgungskapazitäten des Gesundheitssystems zu beobachten: (v) die Anzahl der Intensivbetten, (vi) der Beatmungsplätze, (vii) die Auslastung der Intensivstationen durch COVID-Patienten und (viii) die allgemeine Auslastung der Krankenhäuser. Nicht zuletzt spielen Kontrollmaßnahmen eine große Rolle: (ix) die Anzahl der (durchgeführten) Tests sowie (x) die Anzahl maximal möglicher Tests.

• Wirtschaftliche Indikatoren: Besonders drei Handlungsfelder sind für die wirtschaftliche Lage relevant. Am Arbeitsmarkt ist die Zahl an (i) Insolvenzen, (ii) Kurzarbeitern und (iii) Arbeitslosen festzuhalten. Bei den Unternehmen stellen vor allem Daten zu (iv) der Geschäftslage (Auftragseingänge, etc.), (v) den Geschäftserwartungen und (vi) Beschäftigungsplänen wichtige Kennzahlen dar. Die öffentlichen Haushalte werden stark belastet, der Umfang der Stabilisierungs-Maßnahmen muss also ebenfalls beobachtet werden: (vii) das Volumen der gewährten Soforthilfen, (viii) die Höhe der Liquiditätshilfen sowie (ix) das Volumen der gestundeten Steuern.

• Soziale Indikatoren: Viele Aspekte der sozialen Dimension der Krise entziehen sich dem rein marktwirtschaftlichen Geschehen. Zentral dafür ist (i) die Einstellung und Zuversicht der Bevölkerung sowie (ii) die Akzeptanz der Maßnahmen. Dazu müssten zeitnah Erhebungen stattfinden. Betreuungs- sowie Unterrichtsausfälle von der frühkindlichen bis zur weiterführenden Bildung sollten anhand (iii) des Anteils nicht verwirklichter Kita-Betreuungsstunden, (iv) des Anteils ausfallender Stunden Regelunterricht in Grundschulen sowie (v) in weiterführenden Schulen ebenfalls festgehalten werden. (vi) Gemeldete Vorfälle von häuslicher Gewalt, sowohl physischer und psychischer Natur, sowie (vii) Statistiken über die Nutzung von Frauenhäusern können Aufschluss über den Persönlichkeitsschutz geben.

Darüber hinaus müssen groß angelegte, repräsentative Testungen durchgeführt werden, auch bei Bürgern ohne Symptome. Die bislang vorliegenden Daten können keinen befriedigenden Aufschluss über die Ausbreitung der Corona-Pandemie geben. Aktuell bleiben viele Infizierte mit fehlenden oder geringen Symptomen ungetestet. Auch hochkomplexe Simulationsmodelle gleichen eine unzureichende Datenbasis nicht hinreichend aus.

Bei der Einordnung der Wirkung von Abwehrmaßnahmen muss zwingend zwischen Korrelation und Kausalität unterschieden werden. Anpassungen der Bevölkerung und Unternehmen an Hygiene- und Abstandsregeln könnten schon jetzt einen großen Teil der Neuinfektionen verhindern, auch ohne strikte Lockdown-Maßnahmen und Kontaktverbote. Diese Wirkungskanäle können nicht durch Plausibilitätsüberlegungen oder Unternehmensbefragungen aufgedeckt werden. Notwendig sind vielmehr zeitnah durchgeführte empirische Studien insbesondere zu der Frage, wie es den Unternehmen in der betrieblichen Praxis gelingt, Abstand und Hygiene sicherzustellen.

„Für unsere aktuelle Situation gibt es keine Erfahrungswerte. Repräsentative Tests auf Infektionen sowie empirische Untersuchungen der Anpassungsfähigkeit von Bürgern und Unternehmen können Grundlage für weitere Lockerungen sein“, sagt RWI-Präsident Christoph M. Schmidt. „Ein stetiges Monitoring von wichtigen Entscheidungskriterien über ein ganzheitliches Corona-Dashboard sollte politische Abwägungen leiten und die Kommunikation gegenüber der Bevölkerung erleichtern. Die Regierung wäre gut beraten, ein solches Monitoring zeitnah umzusetzen. Die datengestützte Berücksichtigung regionaler Unterschiede könnten die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivität und den Gesundheitsschutz besser miteinander vereinen.“

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Ansprechpartner:

Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt, Tel.: (0201) 8149-213
Christoph Peters (Kommunikation), Tel.: (0201) 81 49-354

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Dieser Pressemitteilung liegen die RWI Positionen „Vorwärts mit Corona-Dashboard“ und „Corona-Statistiken: Einordnung und Verwendung“ zugrunde. Sie können unter http://www.rwi-essen.de/publikationen/rwi-positionen/ als pdf-Datei heruntergeladen werden.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt, Tel.: (0201) 8149-213


Originalpublikation:

https://www.rwi-essen.de/presse/mitteilung/386/


Anhang

attachment icon RWI Position #77: Vorwärts mit Corona-Dashboard

Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW