30.07.2019 14:10
Götter in Weiss oder im bunten T-Shirt?
Die Kleidung von Ärztinnen und Ärzten ist nicht nur Geschmackssache. Die richtige Wahl des Outfits kann sogar den Behandlungserfolg beeinflussen. Das zeigt eine Studie der Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich.
Eine Ärztin im Businesskostüm, ein Arzt in Shorts? Für die meisten passt das nicht zum Bild der «Götter in Weiss». In einer Studie untersuchte ein Forscherteam am Universitätsspital Zürich, welche Kleidung von Ärztinnen und Ärzten bei den Patienten im Spital am besten ankommt. Ziel der Studie war es aber nicht, zu erfahren, was optisch gefällt. Patientinnen und Patienten reagieren – meistens unbewusst – auf das Erscheinungsbild von Ärztinnen und Ärzten. Tritt ein Arzt sehr formell auf, traut sich ein Patient möglicherweise nicht, Probleme von sich aus anzusprechen, bei einem legeren Outfit werden Anweisungen zur Medikamenteneinnahme weniger strikt befolgt. «Die Kleidung hat also letztlich auch Einfluss auf den Behandlungserfolg. Wir haben in der Studie deshalb untersucht, welche Kleidung bei Ärzten im Spital bei Patienten Vertrauen erweckt, bei welcher Bekleidung sie Arzt und Ärztin als zugänglich und fürsorglich erleben, und ob sie auch die Fachkompetenz an einem bestimmten Outfit festmachen», erklärt Prof. Dr. Hugo Sax, Leiter der Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich die auf den ersten Blick ungewöhnliche Studie.
Im Spital ist weiss noch immer top
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Für ihre Untersuchung befragte ein Team der Spitalhygiene Patientinnen und Patienten der Ambulatorien für Dermatologie, Neurologie und Infektionskrankheiten am Universitätsspital Zürich über einen standardisierten, anonymen Fragebogen mit Bildern einer Ärztin und eines Arztes in verschiedenen Kleidungskombinationen. 834 Patientinnen und Patienten gaben Auskunft.
Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden gab an, dass das Erscheinungsbild ihres Arztes und ihrer Ärztin wichtig für sie ist. Ein Viertel war der Meinung, dass die Kleidung auch ihr Urteil über die Behandlung beeinflusse. Im Vergleich der verschiedenen Erscheinungsbilder ist die Kombination aus einem weissen Oberteil und traditionellem Ärztekittel die bevorzugte Variante. Sie schnitt zudem insgesamt über alle Kategorien «Vertrauen», «Zugänglichkeit», «Fürsorglichkeit» und «Fachkompetenz» am besten ab. Auch bei der Frage, welche Kleidung Ärztinnen und Ärzte im Spital generell tragen sollten, war Weiss unbestritten; je nach Einsatzgebiet sind Kittel (z.B. in der Sprechstunde) oder weisse Oberteile (z.B. in der Notfallstation) akzeptiert. «Der weisse Ärztekittel ist dabei nicht nur eine Tradition oder ein Statussymbol», ist Hugo Sax überzeugt. «Weil im Spital Personen mit verschiedenen medizinischen Berufen auftreten, hilft die Bekleidung dort, deren Funktionen zu erkennen und zu unterscheiden.»
Bewusste Wahl der Kleidung wurde bisher wenig beachtet
Welche Folgerungen zieht Sax aus der Studie? «Wir konnten zeigen, dass das Erscheinungsbild von Ärztinnen und Ärzten von den Patienten – teils bewusst, teils unbewusst – durchaus wahrgenommen wird. Weil es sogar Auswirkungen auf den Erfolg der Behandlung haben kann, lohnt es sich, die Kleidung gezielt an das Umfeld und die damit verbundenen Erwartungen der Patientinnen und Patienten anzupassen. Dieser Aspekt wurde bisher bei der Kleiderwahl wenig beachtet», fasst Sax die Ergebnisse zusammen. «Und wir haben gesehen, dass wir mit der am USZ üblichen Bekleidung richtig liegen.»
Die Studie am USZ erhärtet die Resultate von 30 vergleichbaren Studien, die das Forscherteam um Hugo Sax zusätzlich zu der Umfrage systematisch auswertete. Auch dort zeigte sich aus den Befragungen, dass die Kleidung grossen Einfluss auf die Beziehung von Arzt und Patient hat.
Weiss oder farbig – Hauptsache sauber
Welche Kleidung für Ärztinnen und Ärzte als angemessen gilt, ist jedoch nach Umfeld und Ländern verschieden. In den USA tragen Ärztinnen und Ärzte eher formelle Kleidung und Männer häufig Hemd und Krawatte unter dem Kittel, während die Pflegenden in simplen, farbigen Oberteilen so genannten «Scrubs» arbeiten. In der Schweiz trägt medizinisches Personal in den Spitälern ausserhalb des Operationsbereichs traditionell weiss. In Hausarztpraxen wird zunehmend Farbiges getragen, und wenn weiss, dann eher ein T-Shirt; der Ärztekittel ist dort inzwischen fast eine Seltenheit. Ob sich dieser Trend zu informellerer Kleidung ähnlich positiv auswirkt wie die weisse Kleidung im Spital, wurde bisher aber nur vermutet und nicht untersucht.
Weiss oder bunt: Gibt es aus hygienischer Sicht Einwände gegen farbige Kleidung? «Auf weiss sieht man zwar Verunreinigungen besser, im Operationsbereich wird meistens grün getragen, weil die Farbe nicht blendet. Wichtiger als die Farbe sind jedoch der regelmässige Kleiderwechsel und Hygienemassnahmen wie die Händedesinfektion.»
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Hugo Sax, Prof. Dr. med., Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, hugo.sax@usz.ch, +41 44 255 86 20 (Medienstelle).
Originalpublikation:
Zollinger M, Houchens N, Chopra V et al.. Understanding patient preference for physician attire in ambulatory clinics: a cross sectional observational study. BMJ open 2019;9:e026009.
doi: 10.1136/bmjopen-2018-026009.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=Understanding+patient+preference+for+p…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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