Impfpflicht: Was Widerstand und Akzeptanz bewegt



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23.03.2022 14:36

Impfpflicht: Was Widerstand und Akzeptanz bewegt

Studie der Universität Konstanz und des Santa Fe Institute: Die Einführung einer Impfpflicht könnte Widerstände verhärten, aber dennoch notwendig sein. Vertrauen in den Staat und in den Impfstoff ist zentral für die Impfbereitschaft und die Akzeptanz einer Impfpflicht.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Das Thema Impfpflicht wird sehr kontrovers diskutiert. Viele Länder stehen gegenwärtig vor dem Problem, dass der Anteil an freiwillig Geimpften nicht ausreicht, um die Corona-Pandemie zu durchbrechen. Die Einführung einer Impfpflicht führt aber vielerorts zu Protesten, kann Vertrauen in die Regierungen erschüttern und möglicherweise die freiwillige wiederholte Impfbereitschaft in der Bevölkerung untergraben.

Forscher*innen der Universität Konstanz und des Santa Fe Institute (USA) beobachteten, wie sich die Haltung zur Impfung der gleichen rund 2.000 Deutschen zwischen April 2020 und Mai 2021 entwickelte. Die repräsentative Studie zeigt: Impfskepsis ist nicht unveränderlich. Die meisten der Impfskeptiker*innen rückten an zumindest einem Punkt des Pandemieverlaufs von ihrem Widerstand ab. Die frühe Einführung einer Impfpflicht hätte jedoch rückblickend mehr Widerstand gegen Impfungen hervorgerufen und dazu geführt, dass man mehr Menschen gegen ihren Willen hätte impfen müssen. Gemäß den Ergebnissen der Studie hätte eine Impfpflicht die Zahl der konsequenten, also nicht von ihrer Haltung abrückenden Impfgegner*innen um das Fünffache vergrößert (von 3,3 Prozent auf 16,5 Prozent).

Dennoch sehen die Wissenschaftler*innen in der augenblicklichen Pandemielage einen Sinn in einer möglichen Impfpflicht. „Wenn das Ziel ist, möglichst alle Impflücken zu schließen und die Auffrischungsimpfungen langfristig auf hohem Niveau zu halten, wird sich eine Impfpflicht nicht vermeiden lassen“, schildert die Konstanzer Verhaltensökonomin Dr. Katrin Schmelz. „Eine gesetzliche Impfpflicht würde aber keinesfalls ersetzen, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und Skeptiker*innen vom Sinn der Impfung zu überzeugen. Falls eine Impfpflicht in Kraft treten sollte, dann sollten fachliches Überzeugen und gesetzlicher Zwang kein Entweder-Oder sein, sondern ineinandergreifen.“

Die Studie wurde am 22. März 2022 im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS) veröffentlicht. Sie folgt auf zwei frühere Veröffentlichungen von Schmelz und Bowles in PNAS über Impfpolitik und -einstellungen (siehe unten, in der Faktenübersicht).

• Warum Impfskepsis nicht unveränderlich ist und welche Rolle das Vertrauen in den Staat spielt – lesen Sie die ausführliche Fassung unseres Artikels unter: https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen…

Faktenübersicht:
• Originalpublikation: K. Schmelz, S. Bowles, Opposition to voluntary and mandated COVID-19 vaccination as a dynamic process: Evidence and policy implications of changing beliefs. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 119 (2022).
DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2118721119
Link: https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2118721119
• Repräsentative Umfrage in drei Befragungswellen mit den gleichen 2.018 Personen aus Deutschland ab 18 Jahren.
• Kernergebnisse:
o Nur 3,3 Prozent der Befragten lehnen eine freiwillige Corona-Impfung durchgängig ab.
o Im Fall einer Impfpflicht lehnen 16,5 Prozent eine Corona-Impfung durchgängig ab.
o Die Studie zeigt, dass Impfskepsis nicht unveränderlich ist. Impfbereitschaft nimmt zu, wenn z.B. das Vertrauen in die Wirksamkeit der Impfung sowie in die Regierung gestärkt wird.
o Eine Impfpflicht ersetzt nicht die Aufklärung, betonen die Wissenschaftler*innen. Vertrauen und Akzeptanz zu gewinnen sei entscheidend.
• Die Studie wurde gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz, Thurgauer Wirtschaftsinstitut, Santa Fe Institute
• Vorausgehende Publikationen:
o Katrin Schmelz, Samuel Bowles (2021): Overcoming COVID-19 Vaccination Resistance When Alternative Policies Affect the Dynamics of Conformism, Social Norms and Crowding-Out. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 118, DOI: 10.1073/pnas.2104912118
https://www.pnas.org/content/118/25/e2104912118
o Schmelz, K. (2021): Enforcement may crowd out voluntary support for Covid-19 policies, especially where trust in government is weak and in a liberal society. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), 118(1).
https://doi.org/10.1073/pnas.2016385118

Hinweis an die Redaktionen:
Ein Bild von Katrin Schmelz kann hier heruntergeladen werden:
https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/exzellenz/inequality/Personen/Schmelz_Katr…
Bildunterschrift: Dr. Katrin Schmelz, Universität Konstanz und Thurgauer Wirtschaftsinstitut.
Bild: Ulrike Sommer

Ein Bild von Samuel Bowles kann hier heruntergeladen werden:
https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/exzellenz/inequality/Personen/Bowles_Samue…
Bildunterschrift: Prof. Dr. Samuel Bowles, Santa Fe Institute.
Bild: InsightFoto/Santa Fe Institute

Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
Telefon: + 49 7531 88-3603
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

– uni.kn


Originalpublikation:

DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2118721119
Link: https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2118721119


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW