Mentaler Stress ist Risikofaktor Nummer Eins für psychische Beschwerden nach COVID-19



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15.03.2022 09:00

Mentaler Stress ist Risikofaktor Nummer Eins für psychische Beschwerden nach COVID-19

Tirolweite „Gesundheit nach COVID-19“ Studie: Ein Fünftel der TeilnehmerInnen der multidisziplinären „Gesundheit nach COVID-19“-Studie in Tirol und Südtirol berichtet post COVID von einer schlechteren Lebensqualität. Depressionen und Angststörungen nehmen zu. Ein Team um Katharina Hüfner von der Medizinischen Universität Innsbruck hat nun Risikofaktoren für psychische Beschwerden nach einer Coronainfektion ermittelt.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Innsbruck, 15. März 2022: Wer viel psychischen Stress hat, leidet nach einer zuhause auskurierten Infektion mit SARS-CoV-2 häufiger an Symptomen einer Depression oder Angststörung. Der Auslöser für den Stress – ob Corona und die damit verbundenen Maßnahmen oder andere Faktoren – spielt dabei keine Rolle. Es geht beispielsweise um finanzielle oder gesundheitliche Sorgen, Probleme in Arbeit und Ausbildung oder Belastung durch die Versorgung der Kinder oder in der Beziehung.
Das ist die zentrale Erkenntnis einer Zwischenauswertung der großen, multidisziplinären Online-Befragung „Gesundheit nach COVID-19“ die von der Pneumologin Judith Löffler-Ragg (Univ.-Klinik für Innere Medizin II) initiiert wurde. Unter Anleitung von Psychiaterin Katharina Hüfner von der Univ.-Klinik für Psychiatrie II (Direktorin: Barbara Sperner-Unterweger) untersuchte das Studienteam die Fragebögen hinsichtlich der psychischen Gesundheit nach COVID-19 und analysierte dabei den möglichen Einfluss von mehr als 200 abgefragten Faktoren. Die Studienergebnisse wurden nun im Fachjournal Frontiers in Medicine publiziert.

Ziel war es, herauszufinden, welche Betroffenen ein besonders hohes Risiko haben, nach einer ambulant durchgemachten COVID-19 Erkrankung eine psychische Beeinträchtigung zu entwickeln. „Die Post-COVID Leitlinien besagen, dass es wahrscheinlich wirksam ist, psychische Folgen möglichst früh abzufangen. Um präventiv reagieren zu können, müssen wir jedoch wissen, auf welche Gruppe von Menschen wir besonders schauen müssen, weil sie ein hohes Risiko hat“, sagt Hüfner, die auch Erstautorin der vorliegenden Studie ist.

Neben psychosozialem Stress als weitaus stärksten Risikofaktor identifizierten die ExpertInnen der Medizinischen Universität Innsbruck weitere wichtige Marker für die Entwicklung psychischer Erkrankungen infolge einer SARS-CoV-2 Infektion. Das Risiko für psychische Folgen erhöht sich etwa mit der Anzahl der akuten und subakuten (solche die nach zwei bis vier Wochen noch bestehen) Krankheitssymptome, wie beispielsweise Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Fieber aber auch Schlafstörungen. Neurokognitive Symptome, wie Vergesslichkeit, Verwirrtheit und Konzentrationsstörungen während der akuten Infektion oder auch im subakuten Stadium sind ein weiterer Risikofaktor dafür, psychische Beeinträchtigungen zu entwickeln. „Es ist denkbar, dass beispielsweise persistierende Entzündungsprozesse oder eine Schädigung der Stützzellen (Zellen, welche die Nervenzellen stützen und umgeben, Anm.) im Gehirn hier eine Rolle spielen“, sagt die Wissenschafterin. Es hat sich zwar gezeigt, dass Menschen, die in der Vergangenheit bereits einmal eine Depression oder Angststörung hatten, ein höheres Risiko haben. „Der Einfluss ist aber längst nicht so stark, wie jener der genannten Risikofaktoren, allen voran mentaler Stress. Der Einfluss von Alter, Geschlecht und sozioökonomischen Status sind dem ebenfalls untergeordnet.“

Für die Untersuchung werteten die ExpertInnen die Fragebögen von 1.157 Personen in Tirol und 893 in Südtirol aus, die im Zeitraum vom 30. September 2020 bis 11. Juli 2021 an der „Gesundheit nach COVID 19“-Onlinebefragung teilgenommen hatten. Dabei bediente sich das Studienteam moderner Datenverarbeitungstechniken wie Maschinelles Lernen und Cluster Analyse.12,4 Prozent der TeilnehmerInnen in Tirol und 19,3 Prozent in Südtirol hatten angegeben post COVID an Angstzuständen zu leiden, 17,3 Prozent der Befragten in Tirol und 23,2 Prozent in Südtirol zeigten depressive Symptome. Jeweils mehr als ein Fünftel aller Befragten sahen ihre allgemeine psychische Gesundheit und ihre Lebensqualität beeinträchtigt.

In Anbetracht der Studienergebnisse ermutigt Hüfner Betroffene, sich bei anhaltender psychischer Belastung professionellen Rat einzuholen. Erste AnsprechpartnerInnen seien dafür die HausärzInnen, die im Rahmen des Post COVID Netzwerkes Tirol bei Bedarf weitere Behandlungsschritte einleiten können. Gleichzeitig betont die Expertin die dringende Notwendigkeit, die leistbaren Behandlungsplätze für psychiatrisch-psychologische Kurzzeitinterventionen und Psychotherapie in Tirol weiter auszubauen.

Forschungsarbeit:
Hüfner K, et. al. (2022): „Who Is at Risk of Poor Mental Health Following Coronavirus Disease-19 Outpatient Management?“, Front. Med. 9:792881. doi: 10.3389/fmed.2022.792881 https://doi.org/10.3389/fmed.2022.792881

Zur Person:
Katharina Hüfner hat in Freiburg i.Br. und München Humanmedizin studiert und an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ihren Facharzt für Neurologie und ihre Habilitation mit Schwerpunkt auf Schwindel und Okulomotorikstörungen abgeschlossen. 2013 wechselte sie nach Innsbruck an das Department für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie. Ihr klinischer Schwerpunkt liegt auf Stress- und Traumafolge Störungen. Im Fokus ihres wissenschaftlichen Interesses stehen der Einfluss von körperlicher Aktivität und alpiner Umgebung auf die psychische Gesundheit, die Effekte von Höhenexposition auf psychiatrische Symptome und Erkrankungen sowie Psychoneuroimmunologie mit dem aktuellen Schwerpunkt psychiatrische Aspekte bei post COVID.

Medienkontakt:
Medizinische Universität Innsbruck
Public Relations und Medien
Theresa Mair
Innrain 52, 6020 Innsbruck, Austria
Telefon: +43 512 9003 71833
public-relations@i-med.ac.at, www.i-med.ac.at

Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.200 MitarbeiterInnen und ca. 3.400 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Seit dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.

Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr.med. Katharina Hüfner
Universitätsklinik für Psychiatrie II
Tel.: +43 50 504 23701
E-Mail: Katharina.Huefner@i-med.ac.at


Originalpublikation:

Hüfner K, et. al. (2022): „Who Is at Risk of Poor Mental Health Following Coronavirus Disease-19 Outpatient Management?“, Front. Med. 9:792881. doi: 10.3389/fmed.2022.792881 https://doi.org/10.3389/fmed.2022.792881


Weitere Informationen:

http://www.postcovid.tirol Netzwerk post COVID Tirol
http://www.psychosomatik-innsbruck.at Help@CovidApp


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW