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31.03.2023 12:09
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Muschelaugen als Vorbild für neuartige Mikroskop-Objektive
Neurowissenschaftler der Universität Zürich haben neuartige Objektive für die Lichtmikroskopie entwickelt, die statt Linsen Spiegel nutzen. Als Inspiration dienten ihnen einerseits astronomische Teleskope und andererseits die Augen von Jakobsmuscheln. Die innovative Technologie ermöglicht hochauflösende Bilder von Geweben und Organen in einer breiteren Palette von Immersionsmedien als mit herkömmlichen Objektiven.
Einige Muschelarten können sehen. Jakobsmuscheln zum Beispiel haben bis zu 200 Augen, die ihnen helfen, Fressfeinde wie herannahende Seesterne zu erkennen. Allerdings unterscheidet sich das Muschelauge erheblich vom menschlichen Auge. Während beim Menschen die Kombination aus Hornhaut und Linse ein Bild auf der Netzhaut erzeugt, fokussiert bei Jakobsmuscheln ein halbkugelförmiger Spiegel das Licht.
Optische Abbildung mit Linsen oder Spiegeln
Das Erzeugen von Bildern mit Spiegeln statt Linsen ist insbesondere bei astronomischen Teleskopen weit verbreitet, um so viel Licht wie möglich von Planeten, Sternen und Galaxien einzufangen. Im «Schmidt-Teleskop», das in den 1930er-Jahren von Bernhard Schmidt (1879–1935) entwickelt wurde und bis heute in vielen Sternwarten im Einsatz ist, wird eine dünne Korrekturlinse mit einem grossen Kugelspiegel kombiniert.
In der Erforschung des biologischen Mikrokosmos sind Spiegelobjektive eher selten anzutreffen. Die meisten Mikroskop-Objektive sind so kompakt, dass sie problemlos aus vielen Linsen zusammengesetzt werden können. Für höchste Bildqualität sind jedoch 10 bis 15 Linsen aus verschiedenen Glassorten erforderlich, die präzise poliert und exakt zueinander ausgerichtet werden müssen. Die Kosten von Mikroskop-Objektiven für die Forschung bewegen sich so häufig in der Grössenordnung eines Mittelklassewagens und machen einen erheblichen Teil der Gesamtkosten eines Mikroskops aus.
Kompatibilität mit verschiedenen Immersionsmedien als Hürde
Neben ihrem komplexen Aufbau weisen viele kommerzielle Objektive den Nachteil auf, dass sie in der Regel nur für ein bestimmtes Immersionsmedium wie Luft, Wasser oder Öl konzipiert sind. Für Proben in unterschiedlichen Immersionsmedien muss so jeweils ein neues Objektiv erworben werden. In den letzten Jahren haben sogenannte Clearingverfahren, die Gewebeproben transparent machen können, in Biologie und Pathologie grosses Interesse geweckt: Anstatt z.B. ein Mäusegehirn aufwendig in dünnste Scheiben zu schneiden, kann es mit Hilfe von Clearing-Techniken als Ganzes transparent gemacht werden. In der Pathologie ist die Hoffnung, dass durch Clearing Biopsieproben effizienter untersucht werden können, um bösartige Gewebeveränderungen wie Tumore früher zu diagnostizieren. Leider nutzen die meisten Clearingverfahren jedoch Immersionsmedien, die nicht mit herkömmlichen Mikroskop-Objektiven kompatibel sind. Erheblichen Vorteile von Clearing für die Forschung bleiben daher teils ungenutzt.
Hochauflösende Mikroskopie in grossvolumigen transparenten Gewebeblöcken
Um die Beschränkungen konventioneller Mikroskop-Objektive zu umgehen und inspiriert von den Augen der Jakobsmuscheln, die im Prinzip wie kleine Schmidt-Teleskope unter Wasser funktionieren, entwickelte UZH-Neurowissenschaftler und Amateur-Astronom Dr. Fabian Voigt einen unkonventionellen Ansatz: Er erkannte, dass es möglich ist, ein Schmidt-Teleskop mit einem flüssigen Immersionsmedium zu füllen und auf die Grösse eines Mikroskops zu schrumpfen. Das resultierende «Schmidt-Objektiv» ist damit sozusagen ein Miniatur-Teleskop, das unter Wasser gesetzt wurde und trotzdem ein scharfes Bild liefert. «Es ist möglich, ein Schmidt-Objektiv so auszulegen, dass es in jeder homogenen Flüssigkeit und auch in Luft exzellente Bildqualität liefert», sagt Voigt. «Damit ist ein einziges Schmidt-Objektiv mit vielen verschiedenen Clearingtechniken kompatibel.» Grund für diese ungewöhnliche Eigenschaft ist, dass ein Spiegel anstatt Linsen verwendet wird und die Korrekturlinse speziell angepasst ist. Ein Kugelspiegel fokussiert das Licht an derselben Stelle, egal ob in Flüssigkeit getaucht oder in der Luft.
Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten auch in der medizinischen Diagnostik
Um die Vielseitigkeit dieses innovativen Ansatzes zu demonstrieren, haben Forschende in Zusammenarbeit mit Fabian Voigt und UZH-Professor Fritjof Helmchen mit dem Schmidt-Objektiv Prototypen eine Vielzahl von Proben untersucht, darunter Mäusegehirne, Kaulquappen und Hühnerembryos. Zusammen mit einem Team der Universität Maastricht konnten auch geclearte menschliche Hirnproben analysiert werden. Darüber hinaus eignet sich das neue Objektiv zur Messung neuronaler Aktivität im Gehirn von jungen lebenden Zebrafischlarven. «In allen Fällen war die Bildqualität gleichwertig oder sogar besser als mit herkömmlichen Objektiven – und das, obwohl das Schmidt-Objektiv lediglich aus zwei optischen Elementen besteht», fasst Helmchen zusammen. «Im Vergleich zu klassischen Objektiven, die rund ein Dutzend mehr Linsen aufweisen, kann ein Schmidt-Objektiv daher wesentlich kostengünstiger hergestellt werden.» Zukünftige Anwendungsmöglichkeiten sehen die Forschenden auch in der Untersuchung von Tumorgewebe oder in der Erkennung von neurologischen Erkrankungen. «Insofern könnten uns Jakobsmuscheln den Weg zu einer verbesserten medizinischen Diagnostik weisen», so Helmchen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Fritjof Helmchen
Institut für Hirnforschung
Universitärer Forschungsschwerpunkt (UFSP) ‘Plastische Hirnnetzwerke für Entwicklung und Lernen’
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 33 40
E-Mail: helmchen@hifo.uzh.ch
Originalpublikation:
Fabian Voigt et al.: Reflective multi-immersion microscope objectives inspired by the Schmidt telescope. Nature Biotechnology, 30. März 2023. Doi: https://www.nature.com/articles/s41587-023-01717-8
Weitere Informationen:
https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2023/Mikroskop.html Pressemitteilung
Bilder
Das Schmidt-Objektiv ermöglicht detaillierte Aufnahmen von Nervenzellen im Gehirn einer Maus.
Anna Maria Reuss (USZ) & Fabian Voigt (UZH)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch