Neue Diagnose zur Posttraumatischen Belastungsstörung



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01.07.2022 09:49

Neue Diagnose zur Posttraumatischen Belastungsstörung

Die WHO listet eine neue, ergänzte Diagnose für komplexe Posttraumatische Belastungsstörungen. Ein internationales Team mit Beteiligung der Universität Zürich hat die genauen Symptome der lang erwarteten Diagnose zusammengefasst und gibt Leitlinien zur klinischen Beurteilung und Behandlung.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Die allgemein bekannteste Folge eines Traumas ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Diese psychische Krankheit zeichnet sich besonders durch Flashbacks aus, die die Betroffenen überwältigen. Für internationale Fachexpertinnen und -experten ist es aber seit Jahrzehnten klar, dass einige Traumaopfer oder -überlebende ein weiter reichendes Muster an psychischen Verän¬derungen aufweisen. Dies ist insbesondere der Fall bei Erlebnissen, die länger andauern oder sich wiederholen – etwa bei Kriegseinwirkungen, sexualisierter Gewalt in der Kindheit oder im Erwachsenenalter, bei anhaltender häuslicher Gewalt oder bei Folterungen.

Bisherige Merkmale wurden erweitert

Daher wurde eine ergänzte Beurteilung der Krankheit gefordert und die WHO hat die neue, international gültige Krankheitsklassifikation ICD-11 als Referenzsystem herausgegeben. Seit Januar 2022 gibt es nun die neue Diagnose «Komplexe post-traumatische Belastungsstörung». Die bisherigen PTBS-Symptome wie Flashbacks, Angstträume, Vermeidungsstrategien, Teilnahmslosigkeit und ein ständiges Bedrohungsgefühl wurden erweitert – etwa um das Merkmal der «beeinträchtigte Selbst-Organisation». Wichtige Anzeichen dafür sind überaktive oder gehemmte Gefühlsreaktionen, das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit sowie Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten oder sich anderen nahe zu fühlen.

Ein internationales Team mit Beteiligung der UZH hat nun im medizinischen Fachmagazin «The Lancet» im Detail beschrieben, wie eine Diagnose anhand der Symptome von Betroffenen zu stellen ist. Die Studie beschreibt, welche Schwierigkeiten dabei auftreten, welche Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen bestehen und welche diagnostischen Unterscheidungen zu machen sind zu sehr ähnlichen psychischen Erkrankungen wie schwere Depressionen, bipolare Störungen, Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen.

Genaue Beschreibung von Diagnose und Therapie

«Wir arbeiten heraus, wie im Routinebetrieb beispielsweise in medizinischen Notfalleinrichtungen und in Weltregionen mit weniger ausgebauten Gesundheitssystemen die Diagnose gestellt werden kann», sagt Erstautor Andreas Maercker, Professor für Psychopathologie und klinische Intervention an der Universität Zürich. Die Studie umfasst den neuesten Kenntnisstand zu den bio-psycho-sozialen Wirkungszusammenhängen nach systematischen Auswahlkriterien. Zudem wird die Evidenzbasis aller verfügbaren Therapiestudien analysiert und daraus Leitlinien für die Behandlung von komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen abgeleitet.

«Dies ist besonders wichtig, weil nicht alle Länder die Krankheitsklassifikation der WHO einsetzen, sondern der DSM-5- Klassifikation des amerikanischen Psychiatrieverbandes folgen. Und diese listet die komplexe PTBS-Diagnose derzeit nicht auf», unterstreicht Maercker die Wichtigkeit der Studie.

Neue Klassifikation wurde weltweit erarbeitet

Bei der Neugestaltung der WHO-Klassifikation ICD-11 war auch die Universität Zürich involviert: Andreas Maercker vom Psychologischen Institut der UZH und Marylene Cloitre von der Stanford University sprachen sich aufgrund eigener Forschung und klinischer Erfahrungen für eine neue Diagnose der komplexen post-traumatischen Belastungsstörung aus. Zudem zeigten weltweite Befragungen von Psychiaterinnen und Psychiatern, von Psychologinnen und Psychologen ebenfalls die Notwendigkeit einer komplexeren Beurteilung dieser psychischen Störung auf. Die systematische Sichtung der vorhandenen Forschung sowie neue Untersuchungsergebnisse führten dann zur neuen Diagnose «Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung».


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker,
Psychologisches Institut, Fachbereich Psychopathologie und Klinische Intervention
Universität Zürich
Tel. +49 3834 420 5031
E-Mail: maercker@psychologie.uzh.ch

Prof. Dr. Marylene Cloitre,
Department of Psychiatry,
New York University, Grossman School of Medicine
Tel. +1 212-263-2471
E-Mail: Marylene.Cloitre@nyulangone.org


Originalpublikation:

Andreas Maercker et al. Complex Post-Traumatic Stress Disorder. Lancet, 1. Juli 2022. Doi:10.1016/S0140-6736(22)00821-2


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW