Pharmaforschung: Wenn sich Wirkstoff und Zielprotein „umarmen“



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27.01.2021 11:52

Pharmaforschung: Wenn sich Wirkstoff und Zielprotein „umarmen“

Wie sich die Passform bestimmter Wirkstoffe optimieren lässt, damit sie länger an ihre Zielproteine binden und damit eine stärkere pharmakologische Wirkung entfalten, haben jetzt Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität Frankfurt zusammen mit Kolleg:innen aus Darmstadt, Heidelberg, Oxford und Dundee (UK) am Bespiel so genannter Kinase-Hemmstoffe untersucht. Solche Stoffe werden vielfach in der Krebstherapie eingesetzt. Das Ergebnis: Besonders lange dauert die „Umarmung“ von Hemmstoff und Protein, wenn sich das Protein an den Hemmstoff „anschmiegt“. Künftig wollen die Forscher:innen mit Computersimulationen die Bindedauer von Substanzen vorhersagen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

FRANKFURT. Viele Krebsmedikamente blockieren in Krebszellen Signale, mit deren Hilfe sich entartete Zellen unkontrolliert vermehren und aus dem Gewebeverband herauslösen. So führt zum Beispiel die Blockade des Signalproteins FAK, einer sogenannten Kinase, dazu, dass bestimmte Brustkrebszellen weniger beweglich werden und somit weniger stark metastasieren. Das Problem: Wenn FAK durch einen Hemmstoff blockiert wird, wird das nahe verwandte Signalprotein PYK2 viel aktiver und übernimmt so einen Teil der Aufgaben von FAK. Ideal wäre daher ein Hemmstoff, der in gleicher Weise sowohl FAK wie auch PYK2 möglichst langanhaltend inhibiert.

Ein internationales Team um den Pharmakochemiker Prof. Stefan Knapp von der Goethe-Universität hat eine Reihe eigens synthetisierter FAK-Hemmstoffe untersucht. Alle Hemmstoffe banden ungefähr gleich schnell an das FAK-Signalprotein. Sie unterschieden sich jedoch in der Dauer der Bindung: Der wirksamste Hemmstoff blieb am längsten mit dem FAK-Signalprotein verbunden.

In biochemischen und molekularbiologischen Analysen sowie Computersimulationen fand das Forschungsteam heraus, dass hierfür die Art der Wechselwirkung zwischen FAK-Signalprotein und Hemmstoff verantwortlich ist. Durch die Bindung des Wirkstoffs verändert das FAK-Signalprotein seine Form und bildet an einer der Kontaktstellen eine bestimmte, wasserabweisende Struktur aus. Diese veränderte (induzierte) FAK-Struktur bindet besonders gut an eine ebenfalls wasserabweisende Struktur des Hemmstoffs, vergleichbar einer innigen Umarmung.

Das Schwesterprotein PYK2 hingegen bleibt vergleichsweise steif, und obwohl der wirksamste FAK-Hemmstoff auch PYK2 blockierte, war sein Effekt hier deutlich schwächer.

Den Forscher:innen gelang es, das Bindungsverhalten der Inhibitoren in Computersimulationen zu modellieren und so eine Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe sich künftig in der pharmazeutischen Forschung Wirkstoffkandidaten optimieren lassen.

Prof. Stefan Knapp erklärt: „Weil wir jetzt die molekularen Mechanismen der Interaktion von potenten Hemmstoffen dieser zwei Kinasen besser verstanden haben, hoffe wir, künftig anhand von Computersimulationen die Verweildauer potenzieller Wirkstoffe besser vorhersagen zu können. Die Verweildauer von Wirkstoffen wurde bisher nur wenig beachtet. Diese Eigenschaft hat sich jedoch als wichtiger Parameter für die Entwicklung von effektiven Wirkstoffen entpuppt, die nicht nur spezifisch, sondern auch langanhaltend ein oder mehrere Zielproteine – wie im Fall von FAK und PYK2 – hemmen sollen.“

Die Arbeiten sind im Rahmen des Public Private Partnerships K4DD (Kinetics for Drug Discovery) der Innovative Medicinces Initiatives (IMI) entstanden. https://www.k4dd.eu/home/

Bilder zum Download:
Mit und ohne Bildbeschriftung: http://www.uni-frankfurt.de/96999809

Bildtext:
Oben: Lange Bindungsdauer. Ein Inhibitor (links: Stäbchenmodell) bindet an das Signalprotein FAK (rechts: ein Teil des FAK-Proteins dargestellt als Kalottenmodell mit Halbkugeln). Die strukturellen Veränderungen in FAK verursachen wasserabweisende Kontakte (gelb, so genanntes DFG-Motiv) und eine lang anhaltende Bindung.
Unten: Kurze Bindungsdauer. Das PYK2-Signalprotein ändert seine Struktur nicht, was zu einer schnellen Dissoziation des Inhibitors führt. Grafik: Knapp Laboratory, Goethe-Universität Frankfurt


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Stefan Knapp
Institut für Pharmazeutische Chemie
Goethe-Universität Frankfurt
knapp@pharmchem.uni-frankfurt.de


Originalpublikation:

Benedict-Tilman Berger, Marta Amaral, Daria B. Kokh, Ariane Nunes-Alves, Djordje Musil, Timo Heinrich, Martin Schröder, Rebecca Neil, Jing Wang, Iva Navratilova, Joerg Bomke, Jonathan M. Elkins, Susanne Müller, Matthias Frech, Rebecca C. Wade, Stefan Knapp: Structure-kinetic relationship reveals the mechanism of selectivity of FAK inhibitors over PYK2. Cell Chemical Biology https://doi.org/10.1016/j.chembiol.2021.01.003


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW