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25.11.2022 14:08
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Psychiater fordern bessere Versorgung psychisch erkrankter Straftäter
Der Umgang mit psychisch erkrankten Straftätern in Deutschland wird immer wieder kritisiert – von der Öffentlichkeit, aber auch von den Betroffenen und Behandelnden. Wie sich die Situation tatsächlich darstellt, ist allerdings aufgrund eines Mangels an öffentlich zugänglichen Daten unklar. Die DGPPN hat deshalb eine Befragung der deutschen Kliniken für Maßregelvollzug durchgeführt, deren Ergebnisse sie auf ihrem Jahreskongress in Berlin präsentiert. Zukünftig ist zudem eine Umfrage zur Situation der Gefängnispsychiatrie geplant.
Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht generell gefährlicher als psychisch gesunde Menschen. Bei einzelnen Diagnosen kann es aber – insbesondere im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch – vermehrt zu aggressivem Verhalten und Straftaten kommen. Die Täter werden, je nach Kontext und Schwere der Tat, in Akutpsychiatrien, in Justizvollzugsanstalten oder im Maßregelvollzug behandelt.
Für die Öffentlichkeit sind die Umstände der Straftaten und ihre rechtlichen Folgen nicht immer leicht nachvollziehbar; sie unterliegen häufig Fehlinterpretationen. Eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie aufgrund von Schuldunfähigkeit wird dann mitunter als unzureichende Bestrafung betrachtet. Werden entlassene Sexualstraftäter rückfällig, wird dies nicht selten dem Maßregelvollzug angekreidet. Andererseits wird der Forensik auch vorgeworfen, Patienten nach nicht ersichtlichen Kriterien unangemessen lange „wegzusperren”.
Tatsächlich lagen bisher zur Situation des Maßregelvollzugs in Deutschland kaum öffentlich zugängliche Daten vor. Die DGPPN hat deshalb unter Federführung des Referats „Forensische Psychiatrie“ eine Umfrage unter den 78 deutschen Kliniken für Maßregelvollzug durchgeführt.
Die Ergebnisse sind ernüchternd: Der Großteil der Kliniken, die sich an der Umfrage beteiligt haben, beklagt eine deutliche Überbelegung, nicht zuletzt aufgrund steigender Patientenzahlen. Zu wenig Personal und mangelhafte Räumlichkeiten verhindern, dass Patienten eine optimale Behandlung erhalten. Mehr als jeder vierte Patient ist länger als zehn Jahre im Maßregelvollzug untergebracht. Ein Drittel der Kliniken berichtet eine steigende Zahl an körperlichen Übergriffen durch Patienten.
„Zu viele Patienten, zu wenig Ressourcen. Unter den derzeitigen Umständen ist es, trotz des enormen Engagements der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sehr schwer geworden, den gesetzlichen Auftrag der Kliniken für den Maßregelvollzug dauerhaft sach- und fachgerecht zu erfüllen“, fasst Prof. Dr. Jürgen Müller, Leiter des zuständigen DGPPN-Referats, die Ergebnisse der Umfrage zusammen. „Wir brauchen dringend eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Grundlagen über die Bundesländer hinweg, eine Reform des Maßregelrechts, eine auskömmliche Finanzierung und eine bundesweite Erfassung der Daten zu Unterbringung und Behandlung.“
Auch in den Gefängnissen leidet die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen unter mangelnden Ressourcen. Allerdings ist man für die Beurteilung der Lage hier derzeit noch von unsystematischen Einzelberichten abhängig. Deshalb plant die DGPPN auch zur Situation von psychisch kranken Straftätern in Justizvollzugsanstalten eine Umfrage, um auf Basis wissenschaftlich fundierter Informationen Reformvorschläge für eine verbesserte Behandlung machen zu können.
Prof. Dr. Thomas Pollmächer, Präsident der psychiatrischen Fachgesellschaft, resümiert: „Am besten wäre es natürlich, wenn es erst gar nicht zu Straftaten oder in der Folge zur Unterbringung kommen müsste. Dafür brauchen wir eine deutliche Stärkung der Prävention, einen Wiederaufbau der Vernetzung mit der Allgemein- und Gemeindepsychiatrie und eine Stärkung supportiver und nachbetreuender Einrichtungen.“
Die Ergebnisse der Umfrage zum deutschen Maßregelvollzug wurden in einem Symposium auf dem DGPPN Kongress vorgestellt. Eine Veröffentlichung im Fachblatt „Der Nervenarzt“ ist in Vorbereitung.
Statements
Prof. Dr. Thomas Pollmächer, Präsident der DGPPN, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt führt in das Thema „Psychische Erkrankungen und Straftaten“ ein:
„Auch wenn es in Öffentlichkeit und Medien mitunter anders wahrgenommen wird: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht generell gewalttätiger als psychisch gesunde Menschen. Nur unter ganz bestimmten Umständen sind einzelne Krankheitsbilder mit einem höheren Risiko für Gewalttaten verknüpft.
Insbesondere akute Intoxikationen mit Alkohol oder Drogen führen immer wieder zu Gewalttätigkeit im Rahmen von Erregungszuständen. Solche Patienten stellen Notfallkliniken somatischer Krankenhäuser und die Allgemeinpsychiatrie vor erhebliche Herausforderungen. Ihre Aufgabe ist es, durch eine frühe Erkennung und leitliniengerechte Behandlung von kritischen Erkrankungen, Gewalttätigkeit und weitere Straftaten zu verhindern.
Wenn ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung tatsächlich eine Straftat begeht, ist für die Konsequenz entscheidend, welche Rolle die Erkrankung für die Tat gespielt hat. Hat sie die Tat ausgelöst? Hat sie beeinflusst, ob sich der Täter des Unrechts der Tat bewusst war? Oder steht die Erkrankung in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Straftat?
Gibt es keinen Zusammenhang, verbüßen die Täter eine etwaige Gefängnisstrafe in der Regel in einer Justizvollzugsanstalt. Dort wird ihre Erkrankung dann von Gefängnispsychiatern behandelt. Allerdings sind die Behandlungsbedingungen häufig unzureichend. Deshalb hat die DGPPN eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die die Situation analysieren und Verbesserungsvorschläge machen wird.
Wenn der Täter wegen seiner Erkrankung nicht oder nur eingeschränkt in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist er nach § 20 StGB schuldunfähig oder nach § 21 StGB vermindert schuldfähig. Falls von ihm weiterhin eine Gefahr ausgeht, kann er in einem psychiatrischen Krankenhaus des Maßregelvollzugs (§ 63 StGB) oder, im Falle einer Suchterkrankung, in einer sog. „Entziehungsanstalt“ (§ 64 StGB) untergebracht werden. Diese Unterbringung dient der Behandlung der Erkrankung, aber auch der Verhinderung weiterer Straftaten und dem Schutz Dritter.
2019 waren etwa 12.000 Menschen nach § 63 oder § 64 StGB in Kliniken des Maßregelvollzugs untergebracht. Das entspricht 0,06 % der 17,8 Millionen Personen, die jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen sind. In den letzten Jahren ist ein deutlicher Anstieg solcher Unterbringungen zu beobachten. Für Unterbringungen in Entziehungsanstalten ist dies besonders deutlich, hier haben sich die Zahlen zwischen 2007 und 2019 fast verdoppelt, weshalb die Unterbringungsvoraussetzungen aktuell reformiert werden. Diese stetige Zunahme der Unterbringungszahlen führt zu einer immensen Belastung der Kliniken und bedroht die Qualität der Behandlung, die entscheidend auch für die Reduzierung der Gefahr weiterer Straftaten nach Entlassung ist.
Ein genaues Bild der Arbeit der forensisch-psychiatrischen Kliniken ist aktuell allerdings nur schwer zu zeichnen. Das liegt auch daran, dass die Behörden systematische Daten über Belegung und Ausstattung bislang unter Verschluss halten.
Deshalb hat die DGPPN eine Umfrage unter den deutschen Maßregelvollzugskliniken initiiert. Unsere Ergebnisse zeichnen ein realistisches und präzises Bild der Zustände und ermöglichen erstmals eine faktenbasierte öffentliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des deutschen Maßregelvollzugs.“
Jutta Muysers, stellvertretende Leiterin des DGPPN-Referats „Forensische Psychiatrie“, Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Langenfeld, berichtet über die Ergebnisse der Umfrage der DGPPN:
„Aus den Kliniken für Maßregelvollzug wird immer wieder über besorgniserregende Zustände und Kapazitätsengpässe berichtet. Allerdings fehlen systematische und objektive Kennzahlen. Über die tatsächliche Situation von Personal und Patienten oder über die Verfügbarkeit von Behandlungsangeboten ist wenig bekannt.
Um diesen Zustand zu verbessern, hat die DGPPN im Herbst letzten Jahres eine Befragung der deutschen Maßregelvollzugskliniken durchgeführt. Es wurden alle 78 Kliniken angeschrieben; sie sollten u.a. Auskunft geben zur Struktur der Einrichtungen, zur Belegungs- und Personalsituation, zu besonderen Vorkommnissen und zur Unterstützung durch Fachaufsichten und Träger.
60 % der angeschriebenen Kliniken beteiligten sich an der Befragung. Diese hohe Rücklaufquote ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kliniken ein großes Interesse und Bedürfnis haben, zu einer Verbesserung der Datenlage beizutragen.
Die Ergebnisse unterstreichen den dringenden Handlungsbedarf. Zwei Drittel der Kliniken geben an, sie seien überbelegt. Um Raum für die Patienten zu schaffen, werden in vielen dieser Kliniken Einzelzimmer in Mehrbettzimmer umfunktioniert. Vielfach werden auch Isolations- oder Therapieräume zweckentfremdet. Damit einhergehend gibt etwa ein Drittel der Kliniken an, im ersten Halbjahr 2021 sei die Zahl der körperlichen Übergriffe durch Patienten angestiegen.
Da das Maßregelrecht in die Regelungskompetenz der Bundesländer fällt, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Kliniken. Allen gemeinsam ist aber, das zeigen die Ergebnisse deutlich: Steigende Patientenzahlen treffen auf unzureichend ausgestattete Kliniken. Die Lage ist angespannt.“
Prof. Dr. Jürgen L. Müller, Vorstand der DGPPN, Leiter des DGPPN-Referats „Forensische Psychiatrie“, Chefarzt der Asklepios Fachklinik Göttingen Forensische Psychiatrie und Psychotherapie formuliert die Forderungen an die Politik:
„Unsere Umfrage zeigt: Die deutschen Kliniken für den Maßregelvollzug kämpfen mit Überbelegung und Kapazitätsengpässen – und zwar in beinahe allen Bundesländern. Mehr als jeder vierte (28 %) nach § 63 untergebrachte Patient ist länger als zehn Jahre im Maßregelvollzug, weil seine andauernde Gefährlichkeit oder das Fehlen supportiver Angebote eine Entlassung nicht zulässt. Dafür mitverantwortlich: 60 % der Kliniken geben an, dass erforderliche Therapien aus Ressourcengründen nicht durchgeführt werden können.
Eine Reformierung des Maßregelvollzugs ist deshalb dringend nötig. Der Gesetzgeber hat das erkannt und in diesem Jahr einen Entwurf zur Reformierung des § 64 StGB, also der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, vorgelegt. Auch für den § 63 StGB sollen erneut Reformen angestoßen werden.
Aus Sicht der DGPPN und als Ableitung aus den Umfrageergebnissen sind für eine Reform folgende Forderungen an die politischen Entscheidungsträger zu stellen:
– Die Rahmenbedingungen der Unterbringung im Maßregelvollzug der verschiedenen Bundesländer müssen angeglichen werden, insbesondere was Stationsgrößen, Therapieräume, Zimmerausstattung und -belegung sowie die Personalausstattung betrifft.
– Damit die forensischen Kliniken ihre Aufgaben erfüllen können, bedarf es einer auskömmlichen Finanzierung.
– Wir benötigen ein bundesweites Register zur Dokumentation von Zwangsmaßnahmen, um Zwang und Gewalt im Maßregelvollzug zu reduzieren. Das ist nur möglich, wenn Daten zu Unterbringung und Behandlung wissenschaftlich fundiert, systematisch, detailliert und transparent erfasst werden.
– Auf Bundesebene sollte eine Expertenkommission zur Zukunft des Maßregelvollzugs eingesetzt werden.
– Die Forschung zu forensisch-psychiatrischen Fragestellungen muss gestärkt werden, um die Versorgung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse verbessern zu können.
Nur dann kann der gesetzliche Auftrag der Kliniken für den Maßregelvollzug dauerhaft sach- und fachgerecht erfüllt werden.
Der Königsweg allerdings wäre, die Zahl der Unterbringungen zu reduzieren. Das könnte mit einer Stärkung der Prävention und dem Wiederaufbau der Vernetzung mit der Allgemein- und Gemeindepsychiatrie erreicht werden. Eine Stärkung supportiver und nachbetreuender Einrichtungen würde zudem helfen, nicht vermeidbare Unterbringungen so zügig wie möglich zu beenden.“
Prof. Dr. Johannes Fuß, Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung am LVR-Klinikum Essen zur psychiatrischen Versorgung im Gefängnis:
„Während sich die forensische Psychiatrie mit Straftätern beschäftigt, die aufgrund einer psychischen Erkrankung Straftaten begangen haben, widmet sich die Gefängnispsychiatrie Menschen mit psychischen Erkrankungen, die unabhängig von dieser Erkrankung straffällig geworden sind. In Deutschland sitzen derzeit etwa 45.000 Personen in Justizvollzuganstalten ein. Schätzungen zu Folge leiden bis zu 88 % dieser Personen unter einer oder mehreren psychischen Erkrankungen. Genaue Zahlen zu den Häufigkeiten psychischer Erkrankungen unter JVA-Insassen fehlen aber.
Unabhängige Berichte, wie z. B. der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, geben Hinweise darauf, dass die psychiatrische Versorgung in vielen JVAs unzureichend ist. Es wird von mangelnden Behandlungen, von langen Einzel-Unterbringungen oder auch Fixierungen berichtet.
Die Ursachen sind vielfältig: Häufig gibt es keine psychiatrischen Aufnahmeuntersuchungen, so dass Erkrankungen und entsprechend auch der Behandlungsbedarf unerkannt bleiben. Zudem gibt es vielfach zu wenig psychiatrisch-psychotherapeutisches Personal in den Justizvollzugsanstalten.
Wie im Maßregelvollzug unterscheidet sich auch die Situation in den einzelnen Justizvollzugsanstalten sehr – nicht zuletzt abhängig vom Bundesland. Neben den Berichten über unzureichende Versorgungen gibt es zum Beispiel auch gut funktionierende Kooperationen zwischen JVAs und psychiatrischen Kliniken in der Umgebung.
Leider muss man sich auch bezüglich der Behandlungen bislang auf unstrukturierte Berichte verlassen. Systematische und verlässliche Daten zur bundesweiten Versorgungslage fehlen. Eine Task-Force der DGPPN plant deshalb eine Umfrage zur psychiatrischen Versorgungslage in deutschen Justizvollzugsanstalten, um auf dieser Grundlage dann Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und Lösungsvorschläge vorzulegen.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Thomas Pollmächer (Thomas.Pollmaecher@klinikum-ingolstadt.de)
Prof. Dr. Jürgen L. Müller (ju.mueller@asklepios.com)
Jutta Muysers (Jutta.Muysers@lvr.de)
Prof. Dr. Johannes Fuß (johannes.fuss@uni-due.de)
Weitere Informationen:
https://dgppnkongress.de/programm/ueberblick.html Der DGPPN Kongress 2022
https://www.dgppn.de/leitlinien-publikationen/dossier.html Dossier „Psychische Erkrankungen in Deutschland: Schwerpunkt Patientenautonomie“
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie, Recht
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch