09.09.2019 12:28
Rattenplage in Wien: Infektionsforscher weisen multiresistente Erreger bei städtischen Wanderratten nach
Von Ratten könnte eine große Gefahr für die Verbreitung multiresistenter Keime in Städten ausgehen. Zu diesem Ergebnis ist ein Forscherteam aus Österreich und Deutschland nach Untersuchungen von Rattenpopulationen in Wien gekommen. InfectoGnostics-Forscher aus Jena führten Genanalysen der Proben durch und konnten zeigen, dass die Tiere Hochrisiko-Erreger tragen, die gegen die meisten Antibiotika resistent sind. Die Ergebnisse der Studie wurden im August im infektionsmedizinischen Fachjournal „Eurosurveillance“ (DOI: 10.2807/1560-7917.ES.2019.24.32.1900149) veröffentlicht.
Auch aufgrund der immer häufigeren warmen und trockenen Sommer mehren sich in europäischen Städten die Berichte von Rattenplagen – sowohl in Deutschland, als auch in Österreich. In Wien hat ein internationales Forscherteam nun genauer untersucht, welche Krankheitserreger durch die Nager verbreitet werden könnten. Zwischen 2016 und 2017 ließen die Wissenschaftler am Wiener Karlsplatz und an der Promenade des Donau-Kanals insgesamt 76 Wanderratten (Rattus norvegicus) mit Lebendfallen einfangen. Beide Orte wurden gezielt ausgewählt: Einerseits kommen die Tiere an diesen Plätzen häufiger in Kontakt mit Menschen. Andererseits häuften sich Berichte, nach denen die eigentlich nachtaktiven Tiere an diesen Orten auch tagsüber gesichtet wurden – ein Hinweis auf eine übermäßig große Rattenpopulation.
Charakterisierung der Bakterien am Jenaer Forschungscampus
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Im Labor wurden später Proben aus dem Darmtrakt und dem Nasen-Rachenraum von 62 Tieren untersucht. Insgesamt konnten bei 39 Ratten (rund 62,9 %) antibiotikaresistente Bakterien identifiziert werden, von denen 12 Tiere multiresistente Varianten der Erreger aufwiesen. „Wir haben Bakterien gefunden, die bereits gegen bis zu vier Antibiotikaklassen resistent waren. Von diesen hochresistenten Erregern geht eine große Gefahr aus, da sie ihre Resistenzgene auch auf andere Bakterienspezies übertragen können“, erklärt InfectoGnostics-Forscher Prof. Dr. Ralf Ehricht vom Leibniz-Institut für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT). Das Team um Prof. Ehricht und Dr. Stefan Monecke (ebenfalls Leibniz-IPHT) führte in der Studie die Genanalyse des Wiener Probenmaterials durch und nutzte dazu unter anderem den am Forschungscampus entwickelten CarbDetect-AS-2-Kit.
Wiener Veterinärmediziner: Häufigkeit multiresistenter Bakterien ist besorgniserregend
Nach Einschätzung der Hauptautoren der Studie von der Vetmeduni Vienna sei die genaue Wechselwirkung zwischen multiresistenten Keimen in Ratten und dem Risiko für die menschliche Gesundheit derzeit zwar noch nicht geklärt, aber in dieser Häufigkeit durchaus besorgniserregend. Die Veterinärmediziner weiter: „Eine der von uns untersuchten Ratten wurde beispielsweise in einem Grünbereich gefangen, der im Sommer von Obdachlosen als Schlafstelle genutzt wird. Diese besondere Situation erhöht das Risiko einer Übertragung der resistenten Bakterien. Grundsätzlich ist für eine Übertragung aber auch eine Vielzahl weiterer Szenarien denkbar. Die Bekämpfung von Ratten, aber auch anderer Nagetiere wie Mäuse, ist und bleibt in Städten deshalb eine wichtige Priorität für die öffentliche Gesundheit.“
Ratten – ein gefährlicher Krankheitsüberträger
In Bezug auf die Verbreitung und Entwicklung multiresistenter Keime sind Wanderratten besonders relevant. Ratten gelten als die produktivste und am weitesten verbreitete städtische Schädlingsart. Sie ernähren sich von menschlichen Abfällen und besiedeln das Abwassersystem, wodurch sie häufig mit menschlichen Fäkalien interagieren und multiresistente Bakterien aufnehmen und verbreiten können. Über die genaue Rolle von Ratten in der Epidemiologie multiresistenter Keime ist bisher noch wenig bekannt. Die vorliegende Studie liefert deshalb einen wichtigen Beitrag, um den Kenntnisstand in diesem Bereich zu verbessern.
Für die Studie kooperierten Forscher der Vetmeduni Vienna (Forschungsinstitut für Wildtierkunde/Ökologie, Institut für Mikrobiologie), der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES), der Freien Universität Berlin sowie des Leibniz-IPHT am InfectoGnostics Forschungscampus Jena.
Originalpublikation:
Desvars-Larrive, Amélie and Ruppitsch, Werner and Lepuschitz, Sarah and Szostak, Michael P and Spergser, Joachim and Feßler, Andrea T and Schwarz, Stefan and Monecke, Stefan and Ehricht, Ralf and Walzer, Chris and Loncaric, Igor: Urban brown rats (Rattus norvegicus) as possible source of multidrug-resistant Enterobacteriaceae and meticillin-resistant Staphylococcus spp., Vienna, Austria, 2016 and 2017, Eurosurveillance, 24, 1900149 (2019), DOI: 10.2807/1560-7917.ES.2019.24.32.1900149
Weitere Informationen:
https://www.infectognostics.de/infektionsdiagnostik/aktuelles/details/news/ratte…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Tier- / Agrar- / Forstwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
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