14.05.2019 10:16
Schädliche Wirkung auf Embryonen frühzeitig in vitro testen
In einem neuen Zellkultur-Test kombinierten ETH-Forschende Embryonalzellen mit Leberzellen. Damit können sie bei der Entwicklung neuer Medikamente eine schädliche Wirkung auf Embryonen frühzeitig erkennen.
Medikamente müssen für werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder sicher sein. Bevor die Behörden einen neuen Wirkstoff zulassen, muss dieser zwingend in Tierversuchen bei trächtigen Nagetieren und – in der Regel – Kaninchen getestet werden. Wissenschaftler aus dem Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel haben nun einen Test entwickelt, mit dem sie die Embryotoxizität von Wirkstoffen ausserhalb von Tieren in Zellkulturen untersuchen können.
Der neue Test ersetzt zwar noch nicht die im Rahmen einer Medikamentenzulassung gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche. Weil er einfach, schnell und kostengünstig ist, könnten Forschende damit in Zukunft jedoch in einem frühen Stadium der Medikamentenentwicklung eine grosse Zahl von Wirkstoffkandidaten testen. Embryoschädigende Substanzen würden damit frühzeitig erkannt und nicht erst bei Embryotoxizitäts-Tierversuchen auffallen, die wegen ihrer hohen Kosten viel später im Medikamentenentwicklungs-Prozess durchgeführt werden. Der neue Test vermeidet damit potenzielle Leerläufe, wodurch Kosten eingespart und Tierversuche reduziert werden können.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Zellkulturtest mit Stammzellen
Das neue Verfahren ist eine Weiterentwicklung des Embryonalen Stammzell-Tests, bei dem Substanzen an sogenannten «Embryoid Bodies» in vitro getestet werden. Embryoid Bodies sind dreidimensionale Zellklumpen, die aus embryonalen Stammzellen – in diesem Fall von einer Maus – entstanden sind und während zehn Tagen die ersten Schritte der Embryonalentwicklung durchmachen. Lebensfähige Embryonen entstehen daraus nicht.
Die Wissenschaftler aus der Gruppe von ETH-Professor Andreas Hierlemann erweiterten diesen Embryonalen Stammzell-Test nun um menschliches Lebergewebe. «Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen, die in ihrer Urform nicht toxisch sind, vom menschlichen Stoffwechsel – vor allem durch die Leber – jedoch zu schädlichen Stoffen umgewandelt werden», erklärt Julia Boos, Doktorandin in Hierlemanns Gruppe und Erstautorin der in der Fachzeitschrift Advanced Science [http://dx.doi.org/10.1002/advs.201900294] veröffentlichten Studie. Im Gegensatz zum herkömmlichen Embryonalen Stammzell-Test können solche Stoffe mit dem neuen Test erkannt werden.
«Body on a chip»
Der neue Test findet von A bis Z auf einem einzigen Zellkultur-Chip mit verschiedenen Kompartimenten statt. Darin befinden sich Mikrogewebe-Kügelchen, welche das ETH-Spin-off Insphero aus menschlichen Leberzellen hergestellt hat, sowie die aus Mauszellen gewachsenen Embryoid Bodies. Lebermikrogewebe und Embryoid Bodies haben einen Durchmesser von rund einem halben Millimeter und befinden sich in unterschiedlichen Kompartimenten, welche durch Mikrokanäle miteinander verbunden sind. Diese Mikrokanäle gewährleisten einen konstanten Flüssigkeitsaustausch zwischen den verschiedenen Zellverbänden.
«Wir sind die ersten, die in einem Body-on-a-Chip-Ansatz Leberzellen mit Embryonalzellen direkt miteinander kombinieren», sagt Boos. So wie im Körper einer schwangeren Frau die Stoffwechselvorgänge in der Leber und jene im heranwachsenden Embryo durch den Blutkreislauf miteinander verbunden sind, findet in ihrem zusammenhängenden System eine permanente Wechselwirkung von Leberzellen und Embryonalzellen statt. «Von Leberzellen erzeugte Metaboliten wirken direkt auf die Embryonalzellen – auch jene Metaboliten, die nur für wenige Minuten stabil sind», so Boos. Dies sei ein Vorteil gegenüber anderen existierenden In-vitro-Tests, in denen die Verstoffwechslung von Substanzen und die Einwirkung der Metaboliten auf Embryonalzellen getrennt untersucht werden.
Ein weiterer Vorteil des neuen Tests: «Im Gegensatz zu Versuchen mit lebenden trächtigen Mäusen werden die zu untersuchenden Substanzen in unserem Test von menschlichen Leberzellen metabolisiert, also so, wie das auch im menschlichen Körper sein wird, in dem das Medikament später zur Anwendung kommen soll», sagt Boos. Dies sei relevant, weil sich der Stoffwechsel von Mensch und Maus unterscheide.
Weiterentwicklung für Hochdurchsatz-Tests
Die Forschenden zeigten die Wirksamkeit des neuen Tests mithilfe von Cyclophosphamid auf. Das ist ein Chemotherapeutikum, das in seiner Grundform praktisch unwirksam und unschädlich ist, in der Leber jedoch in einen zelltoxisch wirkenden Stoff umgewandelt wird. Die Wissenschaftler testeten Cyclophosphamid einerseits in dem kombinierten Leber-Embryoid-Body-Test und andererseits in einem Test, in dem nur Embryoid Bodies vorhanden waren, jedoch keine Leber-Mikrogewebe. Wie sich dabei zeigte, wird im Verbund mit Lebergewebe die Entwicklung der Embryoid Bodies bereits bei einer viermal geringeren Cyclophosphamid-Konzentration beeinträchtigt.
Bevor der Test in der Medikamentenentwicklung angewandt werden kann, müssen die Wissenschaftler diesen erst noch weiterentwickeln. Ein besonderes Augenmerk legen die Forschenden dabei auf die eingesetzten Materialien sowie die Automatisierbarkeit des Tests. Eine solche wäre Voraussetzung dafür, dass die Pharmaindustrie oder andere Forschende den Test im grösseren Stil beim Hochdurchsatz-Screening von Wirkstoffkandidaten einsetzen können. Ausserdem möchten die Wissenschaftler einen Test entwickeln, bei dem statt Maus-Stammzellen reprogrammierte menschliche Stammzellen (sogenannte iPS-Zellen) verwendet werden. Damit hätten sie einen In-vitro-Test, der komplett auf menschlichem Gewebe basiert.
Originalpublikation:
Boos JA, Misun PM, Michlmayr A, Hierlemann A, Frey O: Microfluidic Multitissue Platform for Advanced Embryotoxicity Testing In Vitro, Advanced Science 2019, 1900294, doi: 10.1002/advs.201900294 [http://dx.doi.org/10.1002/advs.201900294]
Weitere Informationen:
https://www.ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2019/05/schaedlich…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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