Subzelluläre Vesikel regulieren das zelluläre Schicksal menschlicher neuraler Stammzellen



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14.02.2022 14:22

Subzelluläre Vesikel regulieren das zelluläre Schicksal menschlicher neuraler Stammzellen

Forscher des Hector Instituts für Translationale Hirnforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim untersuchen, wie zelluläre Schicksalsentscheidungen bei der Teilung menschlicher neuraler Stammzellen reguliert werden.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Stammzellen sind einer der wenigen Zelltypen im Körper, die die Fähigkeit haben, sich selbst zu erneuern und Zellen zu produzieren, die sich zu spezialisierteren Zelltypen entwickeln und schließlich ein funktionsfähiges Organ aufbauen. Während der Entwicklung stehen diese Zellen vor der heiklen Aufgabe, zeitgesteuert und programmierbar zwischen diesen beiden Funktionen umzuschalten. Ein Mechanismus, wie Stammzellen diese Verschiebung des Zellschicksals erreichen, ist die asymmetrische Konzentration von Zellschicksalsdeterminanten während der späten Stadien der Zellteilung oder Mitose, wodurch zwei unterschiedliche Geschwisterzellen erzeugt werden. Das Team vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit hat nun untersucht, wie aus menschlichen neuralen Stammzellen Geschwisterzellen mit derart ungleichen Eigenschaften entstehen. In der jetzt in „Science Advances“ erschienenen Studie beschreiben sie, wie die asymmetrische Vererbung eines subzellulären Vesikelkompartiments, nämlich der Lysosomen, die Lokalisierung und Aktivität eines wichtigen, das Zellschicksal bestimmenden Signalwegs, des Notch-Signalwegs, beeinflusst.

Notch als Master-Regulator von Zellschicksalen

Der Notch-Signalweg wird über die namensgebenden Notch-Rezeptoren aktiviert, welche sich an der Zelloberfläche befinden. Die differentielle Vererbung der Notch-Aktivität wurde bereits im Rahmen der asymmetrischen Teilung neuraler Stammzellen in niederen Modellorganismen wie Fruchtfliegen und Zebrafischen untersucht. Hier werden Notch-Rezeptoren durch eine Vielzahl von Mechanismen reguliert, einschließlich der Internalisierung von der Oberfläche in subzelluläre Vesikel der sich teilenden Zelle. Über diese sogenannten Endosomen werden die Rezeptoren in einem der Geschwister angereichert, welches anschließend durch gezielte Aktivierung des Notch-Signalwegs sein Stammzellschicksal behält. Interessanterweise ist die Notch-Signalübertragung nicht nur an der Gehirnentwicklung beteiligt, sondern reguliert das Stammzellschicksal in einer Vielzahl von Organen und Geweben, einschließlich Haut, Darm und Immunsystem.

Notch-Aktivität wird über Lysosomen vererbt

Die Mannheimer Forscher untersuchten nun, wie vesikuläre Bestandteile bei der Mitose menschlicher neuraler Stammzellen vererbt werden. Mithilfe der induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC)-Technologie konnten sie dies erstmals im Zusammenhang mit der Entwicklung des menschlichen Gehirns untersuchen und fanden heraus, dass Lysosomen asymmetrisch von den beiden Tochterzellen vererbt werden. Lysosomen sind eine spezialisierte Untergruppe von Vesikeln und werden allgemein als die zelluläre „Müllabfuhr“ angesehen. „Das war ein sehr interessantes wie unerwartetes Ergebnis“, sagt Prof. Dr. Philipp Koch, Leiter des Hector Instituts für Translationale Hirnforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. „Diese Beobachtung hat uns motiviert, nach einem biologischen Prinzip dahinter zu suchen.“ „Der Notch-Signalweg war ein sehr attraktiver Kandidat, da Notch als Hauptregulator für zelluläre Schicksalsentscheidungen in vielen Zellarten beschrieben wurde“, sagt Bettina Bohl, Doktorandin am Hector Institut für Translationale Hirnforschung und Erstautorin der Studie. „Bisher wurde die Idee, dass Lysosomen als Signalknotenpunkte für die Notch-Signalübertragung während der Mitose fungieren, jedoch noch nicht beschrieben.“ Um die Notch-Signalübertragung in sich teilenden menschlichen neuralen Stammzellen genauer zu untersuchen, verfolgten Prof. Koch und sein Team, wie Notch-Rezeptoren in den Zellen verarbeitet werden. Mithilfe von Lebendzellaufnahmen fanden sie heraus, dass lösliche Liganden, die für Notch-Rezeptoren spezifisch sind, bei der Bindung internalisiert werden und dass dieser Rezeptor-Ligand-Komplex intrazellulär in Richtung Lysosomen verschoben wird. „In der sauren Umgebung dieser Vesikel werden normalerweise Proteine abgebaut“, sagt Prof. Koch. „Für Notch-Rezeptoren in neuralen Stammzellen ist dies jedoch nicht der Fall.“ Im Gegenteil, die Forscher zeigten, dass Notch-Rezeptoren aktiviert werden, sobald sie die sauren Lysosomen erreichen, wahrscheinlich durch eine erhöhte Aktivität des Notch-spaltenden Enzyms Gamma-Sekretase. Um diese Beobachtung mit der durch Notch-Signale induzierten Genregulation zu korrelieren, entwickelte das Team Reporter-iPSZs, die ein fluoreszierendes Protein produzieren, sobald Notch-Rezeptoren aktiviert werden. Dadurch konnten sie die Genexpression von HES1, einem Ziel des Notch-Signalwegs, in lebenden neuralen Stammzellen verfolgen und zeigen, dass jene Geschwister, die mehr Lysosomen erhalten, mehr Aktivität von HES1 zeigen.

Organoide als Model für menschliche Gehirnentwicklung

Schließlich verwendeten die Autoren menschliche iPSC-abgeleitete Gehirnorganoide, um die Lysosomen- und Notch-Vererbung in einem dreidimensionalen Modell der menschlichen Gehirnentwicklung zu untersuchen. Sie fanden heraus, dass die Ausrichtung der sich teilenden Zellen in Bezug auf ihre Umgebung, genauer gesagt ihre Anheftung an die apikale Membran, die symmetrische versus asymmetrische Verteilung von Lysosomen und Notch-Rezeptoren vorhersagen kann. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit Studien an Nagetieren, bei denen sich herausstellte, dass die Lokalisation auch entscheidend für das Zellschicksal sich teilender neuraler Stammzellen ist. „Organoide sind ein sehr faszinierendes Werkzeug, um die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu untersuchen“, sagt ZI-Forscherin Dr. Julia Ladewig, deren Team sich auf Gehirnorganoide in Entwicklung und Krankheit konzentriert, „und diese Studie ist ein weiteres anschauliches Beispiel für ihr Potenzial.“ Prof. Koch betont auch die Bedeutung dieses neuen menschlichen Modellsystems für die zukünftige Forschung. „Unsere Beobachtungen erweitern unser Wissen über die Regulation des Notch-Signalwegs, zeigen aber auch, dass wir erst am Anfang stehen, die komplexen Regulationsmechanismen solch wichtiger Signalwege zu verstehen. Es weist auch auf eine evolutionäre Entwicklung der ‘Feinjustierung’ dieses Weges von Fliegen und Fischen zu Säugetieren und insbesondere Menschen hin“, verdeutlicht Koch.

Über das HITBR
Das Hector Institut für Translationale Hirnforschung (HITBR) wurde als ein gemeinschaftliches Projekt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und der Hector Stiftung II gegründet. Ziel des HITBR ist die Identifizierung neuer molekularer und funktioneller Ansatzpunkte für die Therapie schwerer psychiatrischer Erkrankungen sowie von Gehirntumoren.

Über das ZI
Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) steht für international herausragende Forschung und wegweisende Behandlungskonzepte in Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Suchtmedizin. Die Kliniken des ZI gewährleisten die psychiatrische Versorgung der Mannheimer Bevölkerung. Psychisch kranke Menschen aller Altersstufen können am ZI auf fortschrittlichste, auf internationalem Wissensstand basierende Behandlung vertrauen. Über psychische Erkrankungen aufzuklären, Verständnis für Betroffene zu schaffen und die Prävention zu stärken ist ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit. In der psychiatrischen Forschung zählt das ZI zu den führenden Einrichtungen Europas. Das Institut arbeitet eng mit der Universität Heidelberg und der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg zusammen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Philipp Koch
Hector Institute for Translational Brain Research
Central Institute of Mental Health
Phone +49 621 1703 6711
Philipp.Koch@zi-mannheim.de


Originalpublikation:

Publikation: Asymmetric Notch activity by differential inheritance of lysosomes in human neural stem cells. Bettina Bohl, Ammar Jabali, Julia Ladewig, Philipp Koch, Sci. Adv. 2022 Feb 11;8(6):eabl5792. doi: 10.1126/sciadv.abl5792.
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abl5792


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW