Wenn die Schmerzbehandlung zur Dienstleistung wird



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09.02.2023 16:24

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Wenn die Schmerzbehandlung zur Dienstleistung wird

Was hält Menschen mit chronischen Rückenschmerzen davon ab, ihr Leiden mittels körperlicher Übungen zu lindern? Wodurch lassen sie sich zu sportlichen Aktivitäten motivieren? Solche Fragen hat ein Team aus der Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg untersucht, indem es Betroffene sowie behandelnde Ärztinnen und Ärzte befragte. Die Autorinnen der Studie berichten im Fachblatt „British Journal of General Practice“ über ihre Ergebnisse.

Chronische Rückenschmerzen sind weit verbreitet. Sie gehen mit einem erheblichen individuellen Leidensdruck einher. Körperliche Aktivität gilt als eine der wirksamsten Behandlungsmöglichkeiten. „Für Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner ist es jedoch nach wie vor eine schwierige Aufgabe, die Betroffenen zu regelmäßigem Training zu ermutigen“, sagt die Marburger Medizinerin Dr. Nicole Lindner, die federführende Autorin der Studie. „Es gibt ein paar Tricks, wie Menschen mit chronischen Rückenschmerzen aktiv bleiben können. Unsere Studie gibt Aufschluss darüber, was die Betroffenen motivieren kann.“

Lindner und ihre Kolleginnen untersuchten, wie körperliche Aktivität bei der Behandlung chronischer Rückenschmerzen wahrgenommen wird, wie die Motivation der Betroffenen verbessert und Hemmnisse abgebaut werden können. „Während die Perspektiven von Patientinnen und Patienten einerseits und von behandelnden Ärztinnen und Ärzten andererseits bislang nur getrennt voneinander untersucht wurden, widmen wir uns erstmals der Beziehung zwischen den beiden Seiten“, erläutert die Marburger Medizinprofessorin Dr. Annika Viniol, eine weitere Leitautorin.

Das Forscherinnenteam führte Interviews mit 14 Betroffenen, die an chronischem Rückenschmerz leiden, und mit 12 Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern. Die Meinungen und Erfahrungen der Fachleute und der Betroffenen stimmten in vielen Punkten überein. So teilen beide Gruppen die Überzeugung, dass körperliche Betätigung im Freien eine besonders positive Wirkung auf die Gesundheit hat.

Die Befragten äußerten sich auch zu den Hindernissen, die körperlicher Aktivität entgegen stehen. Hierzu gehört unter anderem, dass die Übungen nicht weitergeführt werden, wenn sich die Schmerzen vermindern. Auch Lustlosigkeit, unzureichende regionale Angebote und Zeitmangel wirken sich hemmend aus.

Die Befragung förderte aber auch Ideen zutage, wie man diese Hemmnisse beseitigen könnte und wodurch sich sportliche Betätigung bei chronischem Rückenschmerz fördern ließe, etwa durch gemeinsames Training in der Gruppe oder regelmäßige Erinnerungen mithilfe einer App.

Die Beziehung zwischen den Ärzten oder Ärztinnen auf der einen Seite und den Patienten und Patientinnen auf der anderen Seite beurteilten beide Gruppen positiv. Jedoch stellten die Studienautorinnen hierbei auch bemerkenswerte Unterschiede fest: „Viele Ärzte und Ärztinnen begegnen ihren Patienten gerne auf Augenhöhe, andere nehmen eine paternalistische Rolle ein“, legt Lindner dar.

Aber Patienten sähen sich manchmal selbst als Fachleute und betrachteten die medizinische Behandlung als eine Dienstleistung. „Daraus können Probleme erwachsen, die zu einem verringerten Behandlungserfolg beitragen“, ergänzt Lindner. „Unsere Ergebnisse können die Auswahl von Strategien unterstützen, mit denen die Betroffenen zu mehr Bewegung motiviert werden können.“

Die Lebenswissenschaften gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Philipps-Universität Marburg. Die Allgemeinmedizinerin Professorin Dr. Annika Viniol gehört dem Leitungsteam des Instituts für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg an. Nicole Lindner arbeitet dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Forschungsarbeit wurde von der Britta-und-Peter-Wurm-Stiftung finanziell gefördert.

Originalveröffentlichung: Nicole Lindner & al.: Physical activity for chronic back pain: qualitative interviews among patients and GPs, British Journal of General Practice 2023, DOI: https://doi.org/10.3399/BJGP.2022.0215

Weitere Informationen:
Dr. Nicole Lindner
Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin
Fachbereich Medizin
Tel: 06421-28 26513
E-Mail: lindnern@uni-marburg.de


Bilder

Das Beratungsgespräch gehört zur Behandlung von Patienten und Patientinnen mit Rückenschmerzen dazu.

Das Beratungsgespräch gehört zur Behandlung von Patienten und Patientinnen mit Rückenschmerzen dazu.
Foto: Dr. Luisa Müller
Das Bild darf nur für die Berichterstattung über die zugehörige wissenschaftliche Veröffentlichung verwendet werden.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW