Wirkstoff macht Waffe von Krebszellen unschädlich



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24.08.2022 14:06

Wirkstoff macht Waffe von Krebszellen unschädlich

Viele Tumorzellen nebeln sich mit einem schützenden Parfum ein, das das Immunsystem außer Gefecht setzt. Doch ein bereits zu anderen Zwecken zugelassenes Medikament kann diese Waffe offensichtlich unschädlich machen. Das zeigt eine Studie der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, die jetzt im Journal for ImmunoTherapy of Cancer erschienen ist. Die Forschenden wollen die Verbindung nun weiter optimieren. Mittelfristig könnte das den Weg zu neuen Pharmaka gegen Krebs bahnen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Viele Krebszellen umgeben sich mit einer dichten Wolke aus Adenosin. Das Molekül unterdrückt einerseits das Immunsystem. Gleichzeitig kurbelt es die Neubildung von Blutgefäßen an, über die sich der Tumor mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Zudem sorgt es dafür, dass die malignen Zellen in andere Organe einwandern und dort Metastasen bilden.

Hergestellt wird das Adenosin aus Adenosin-Triphosphat, abgekürzt ATP. Tumorzellen schütten großen Mengen davon aus. Auf ihrer Oberfläche tragen sie verschiedene Enzyme, die das ATP dann in mehreren Schritten zu Adenosin umwandeln. Eines davon ist das sogenannte CD39. „Es katalysiert den ersten der Umwandlungsschritte“, erklärt Prof. Dr. Christa Müller vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn. „Wird CD39 gehemmt, entsteht kaum mehr Adenosin.“

Rund um den Globus fahndet die Pharmaforschung daher nach einem Wirkstoff, der CD39 ausbremst. Denn ohne Adenosin wären Tumoren nicht mehr vor dem Immunsystem geschützt. „Stattdessen würde sich ATP um die Krebszellen anhäufen, welches die Immunantwort sogar noch stimuliert“, sagt Müller. „Die körpereigene Abwehr würde also nicht unterdrückt, sondern im Gegenteil noch extra scharf geschaltet.“

50 zugelassene Wirkstoffe unter die Lupe genommen

Bislang verlief die Suche weitgehend erfolglos. Die Bonner Arbeitsgruppe hat in der Studie daher eine neue Fahndungsstrategie verfolgt: „Es gibt im Körper noch andere Enzyme als CD39, die ebenfalls ATP verarbeiten“, erläutert Laura Schäkel. Die Mitarbeiterin von Prof. Müller hat viele der zentralen Experimente der Studie durchgeführt. „Dazu zählen etwa die sogenannten Proteinkinasen. Das Schöne daran: Es existieren bereits zugelassene Medikamente, die Proteinkinasen hemmen. Wir haben uns nun angeschaut, ob sie auch gegen CD39 wirken.“

Zu Beginn der Studie gab es insgesamt 50 verschiedene Wirkstoffe, die für die Hemmung von Proteinkinasen bei bestimmten Erkrankungen zugelassen waren. Die Arbeitsgruppe untersuchte sämtliche von ihnen. Mit Erfolg: „Eine der Substanzen, das Ceritinib, blockiert auch die Umsetzung von ATP durch CD39“, freut sich Schäkel. „Das konnten wir nicht nur im Reagenzglas zeigen, sondern auch in Kulturen mit sogenannten dreifach-negativen Brustkrebszellen. Diese sind extrem schwer zu behandeln – sie sprechen normalerweise kaum auf Therapien an.“

Dennoch hält Christa Müller es nicht für sinnvoll, bei bestimmten Krebserkrankungen einfach Ceritinib als CD39-Hemmstoff zu verabreichen. „Der Wirkstoff richtet sich ja primär gegen eine andere Gruppe von Enzymen; er hätte daher unerwünschte Nebenwirkungen“, sagt sie. „Wir wollen ihn nun so modifizieren, dass er Proteinkinasen kaum noch hemmt und stattdessen CD39 noch stärker ausbremst.“

Einsatz nur bei Betroffenen, bei denen es sich lohnt

Ein derart optimierter Wirkstoff ließe sich auch mit anderen Therapeutika kombinieren. „Durch klassische Cytostatika wird das Immunsystem in der Regel massiv geschwächt; CD39-Blocker würden es dagegen aktivieren“, sagt Prof. Müller, die auch Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRA) „Bausteine der Materie“ und „Leben und Gesundheit“ ist. „In Kombination könnten die Medikamente daher womöglich eine deutlich größere Wirkung entfalten.“

Vor dem Einsatz könnte man zudem zunächst messen, ob die Krebszellen der Betroffenen tatsächlich viel CD39 auf ihrer Oberfläche tragen. „Denn nur dann wäre die Behandlung mit CD39-Inhibitoren sinnvoll“, sagt Müller. „Man würde die Gabe also individuell auf die Patientinnen und Patienten abstimmen. Diese Personalisierung von Therapien zum Zwecke der Effizienzsteigerung bekommt in der Medizin einen immer höheren Stellenwert.“

Beteiligte Institutionen und Förderung:

An der Studie waren die Universität Bonn, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und die Université Laval in Quebec (Kanada) beteiligt. Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Natural Sciences and Engineering Research Council of Canada (NSERC) gefördert.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christa E. Müller
Pharmazeutisches Institut der Universität Bonn
Abteilung für Pharmazeutische und Medizinische Chemie
Tel. +49 (0)228 732301
E-Mail: christa.mueller@uni-bonn.de


Originalpublikation:

Schäkel L, Mirza S, Winzer R, et al.: Protein kinase inhibitor ceritinib blocks ectonucleotidase CD39 – a promising target for cancer immunotherapy, Journal for ImmunoTherapy of Cancer, DOI: 10.1136/jitc-2022-004660


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW