Zwei randomisierte Studien untermauern Evidenz für Thrombektomie bei Verschluss großer intrakranieller Arterien



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20.02.2023 15:00

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Zwei randomisierte Studien untermauern Evidenz für Thrombektomie bei Verschluss großer intrakranieller Arterien

Zwei aktuelle Studien, die zeitgleich im „The New England Journal of Medicine“ publiziert wurden, zeigen: Patientinnen und Patienten mit Verschlüssen einer großen Arterie im vorderen Hirnkreislauf (A. carotis interna, A. cerebri media, A. cerebri anterior) mit großen Kernvolumen profitieren von der endovaskulären Schlaganfalltherapie, bei der das Gerinnsel mechanisch entfernt wird. Die Studien bestätigen somit die derzeitigen Leitlinienempfehlungen.

Die internationale „Investor-initiierte“ SELECT2-Studie [1] untersuchte prospektiv und randomisiert im Open-Label-Design den Nutzen der Thrombektomie innerhalb von 24 Stunden nach Auftreten der Symptome bei schweren ischämischen Hirninfarkten, genauer: mit Verschluss der Arteria carotis interna oder des ersten Segments der Arteria cerebri media mit großem ischämischen Kernvolumen (3 bis 5 auf dem „Alberta Stroke Program Early Computed Tomography“-Score oder einem Kernvolumen von mindestens 50 ml im Perfusions-CT oder Diffusions-MRT). Primärer Endpunkt war der Behinderungsgrad auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS- Score, 0=keine Behinderung, 6=Tod) nach 90 Tagen. 178 Patientinnen und Patienten erhielten eine Thrombektomie zusätzlich zur medikamentösen Therapie, 174 wurden nur medikamentös behandelt. Es zeigte sich eine hochsignifikante Überlegenheit des zusätzlichen Eingriffs mit einer 51% höheren Chance für ein besseres Outcome (OR: 1,51, p<0,001). Allerdings kam es in der Thrombektomie-Gruppe bei 34 Patientinnen und Patienten zu Komplikationen, darunter Gefäßperforationen, Dissektionen oder Vasospasmen. Die gefürchteten intrakraniellen Blutungen traten aber nur bei einer mit Thrombektomie behandelten Person auf, in der Vergleichsgruppe bei zwei Personen.

Ein ganz ähnliches Ergebnis zeigte eine große chinesische Studie [2]. Dort waren 456 Patientinnen und Patienten mit Verschlüssen der Arteria cerebri anterior mit großem ischämischen Kernvolumen (3 bis 5 auf dem „Alberta Stroke Program Early Computed Tomography“-Score oder einem Kernvolumen von mindestens 70-100 ml) eingeschlossen worden, 231 erhielten eine Thrombektomie, 225 wurden medikamentös behandelt. 285 der Studienteilnehmenden (beider Gruppen) erhielten eine Thrombolyse. Auch diese Studie wurde aufgrund der hochsignifikanten Überlegenheit der Thrombektomie vorzeitig beendet. Wie in der SELECT2-Studie umfasste der primäre Endpunkt den Unterschied im Hinblick auf das Outcome erhoben mit der modifizierten Rankin-Skala, nach 90 Tagen betrug die „Odds Ratio“ 1,37 (p=0,004). Intrakranielle Blutungen traten in dieser Studie allerdings häufiger in der Thrombektomiegruppe als in der rein medikamentös behandelten Gruppe auf (symptomatische intrakranielle Hämorrhagien 14 vs. 6, Hämorrhagien allgemein 113 vs. 39).

„Die SELECT2-Studie unterstützt somit den Behandlungsstandard, der in der Leitlinie der DGN [3] festgelegt ist, und zwar dass bei Verschluss einer großen Arterie im vorderen Kreislauf die endovaskuläre Therapie erfolgen soll. Es handelt sich dabei um eine starke Empfehlung mit Evidenzgrad 2, der durch die neue Studie perspektivisch sogar auf 1 hochgesetzt werden könnte“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, DGN-Generalsekretär und -Pressesprecher. Für den Einsatz der Thrombektomie bei Infarkten der A. cerebri anterior gebe es bislang wenig Evidenz. Wie der Experte ausführt, beruhe die Empfehlung „Eine mechanische Thrombektomie kann auch bei Verschlüssen der A. cerebri anterior oder der A. cerebri posterior von Vorteil sein“ auf einen Expertenkonsens. „Die chinesische Studie liefert nun Daten, dass diese Empfehlung richtig ist und wir auch bei diesen Infarkten mit großem Kerngebieten thrombektomieren sollten.“

Kurzinfo Thrombektomie
Nach einem ischämischen Schlaganfall (Verschluss eines Hirngefäßes) muss innerhalb weniger Stunden die Durchblutung des betroffenen Hirnareals wiederhergestellt werden, damit die Betroffenen möglichst wenig Folgeschäden davontragen. Dies kann entweder durch eine medikamentöse Thrombusauflösung (intravenöse Thrombolyse) oder – in spezialisierten Zentren – durch einen Gefäßkathetereingriff (interventionelle Thrombektomie) mit Entfernung des Thrombus erfolgen. Dabei werden meist Katheter verwendet, die an ihrer Spitze ein Drahtgeflecht (Stent) besitzen. Diese Katheter werden so weit vorgeschoben, dass sie hinter den Thrombus zu liegen kommen. Dann wird das Gittergeflecht an der Stelle des Thrombus entfaltet, so dass sich das Gerinnsel darin verfängt. Danach wird der Katheter zurückbewegt und der Thrombus so im Ganzen aus dem Gefäß entfernt (Stent-Retriever).

[1] Sarraj A, Hassan AE, Abraham MG, Ortega-Gutierrez S, Kasner SE, Hussain MS, Chen M, Blackburn S, Sitton CW, Churilov L, Sundararajan S, Hu YC, Herial NA, Jabbour P, Gibson D, Wallace AN, Arenillas JF, Tsai JP, Budzik RF, Hicks WJ, Kozak O, Yan B, Cordato DJ, Manning NW, Parsons MW, Hanel RA, Aghaebrahim AN, Wu TY, Cardona-Portela P, Pérez de la Ossa N, Schaafsma JD, Blasco J, Sangha N, Warach S, Gandhi CD, Kleinig TJ, Sahlein D, Elijovich L, Tekle W, Samaniego EA, Maali L, Abdulrazzak MA, Psychogios MN, Shuaib A, Pujara DK, Shaker F, Johns H, Sharma G, Yogendrakumar V, Ng FC, Rahbar MH, Cai C, Lavori P, Hamilton S, Nguyen T, Fifi JT, Davis S, Wechsler L, Pereira VM, Lansberg MG, Hill MD, Grotta JC, Ribo M, Campbell BC, Albers GW; SELECT2 Investigators. Trial of Endovascular Thrombectomy for Large Ischemic Strokes. N Engl J Med. 2023 Feb 10. doi: 10.1056/NEJMoa2214403. Epub ahead of print. PMID: 36762865.
https://www.nejm.org/doi/pdf/10.1056/NEJMoa2214403

[2] Huo X, Ma G, Tong X, Zhang X, Pan Y, Nguyen TN, Yuan G, Han H, Chen W, Wei M, Zhang J, Zhou Z, Yao X, Wang G, Song W, Cai X, Nan G, Li D, Wang AY, Ling W, Cai C, Wen C, Wang E, Zhang L, Jiang C, Liu Y, Liao G, Chen X, Li T, Liu S, Li J, Gao F, Ma N, Mo D, Song L, Sun X, Li X, Deng Y, Luo G, Lv M, He H, Liu A, Zhang J, Mu S, Liu L, Jing J, Nie X, Ding Z, Du W, Zhao X, Yang P, Liu L, Wang Y, Liebeskind DS, Pereira VM, Ren Z, Wang Y, Miao Z; ANGEL-ASPECT Investigators. Trial of Endovascular Therapy for Acute Ischemic Stroke with Large Infarct. N Engl J Med. 2023 Feb 10. doi: 10.1056/NEJMoa2213379. Epub ahead of print. PMID: 36762852.
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2213379

[3] Ringleb P., Köhrmann M., Jansen O., et al.: Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, S2e-Leitlinie, 2022, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 16.02.2023)

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Infographik Thrombektomie

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DGN/Agentur Adverb


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW