24.10.2019 11:00
Achtsamkeitsmeditation verstärkt positive Effekte von Psilocybin
Seit einigen Jahren zeichnet sich ein wachsendes Interesse am klinischen Einsatz klassischer Psychedelika ab. Im Fokus steht vor allem deren therapeutisches Potenzial bei Depressionen und Angststörungen. Forschende der Universität Zürich zeigen nun, dass Achtsamkeitsmeditation die positiven Effekte einer Einzeldosis Psilocybin, das in Pilzen vorkommt, verstärken kann – auch längerfristig.
Halluzinogene Stoffe wie LSD oder Psilocybin, das in den sogenannten Zauberpilzen steckt, verändern die Wahrnehmung: Die Grenzen des Selbst beginnen sich aufzulösen und ein Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen und der Welt breitet sich aus. Solche Erfahrungen von Selbsttranszendenz und verminderter Selbstfokussierung gleichen den Zuständen, die auch in der Achtsamkeitsmeditation auftreten. Sie können zu Stressabbau, anhaltenden Glücksgefühlen sowie zu mehr Empathie und Altruismus führen. Im Gegensatz dazu sind eine überhöhte Selbstzentrierung, wiederkehrende negative Gedanken und Gefühle gegenüber der eigenen Person und ein beeinträchtigtes Sozialverhalten charakteristische Merkmale von psychischen Störungen wie Depressionen.
Intensivere Erfahrung von Selbsttranszendenz
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Forschende an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich untersuchten nun erstmals mögliche Synergieeffekte zwischen Achtsamkeitsmeditation und Psilocybin. Dazu rekrutierten die Wissenschaftler vierzig meditationserfahrende Teilnehmer eines fünftägigen Achtsamkeits-Retreats. Diese erhielten am vierten Tag des Aufenthalts im Double-blind-Verfahren entweder eine Einzeldosis Psilocybin oder ein Placebo verabreicht. Mit diversen psychometrischen und neurokognitiven Messungen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Meditation positive Effekte des Psilocybins steigerte und zugleich möglichen belastenden Aspekten der psychedelischen Erfahrung entgegenwirkte. «Das Psilocybin steigerte die Meditationstiefe und die Intensität der positiv empfundenen Selbsttranszendenz-Erfahrung, ohne dass negative Reaktionen wie Angst oder Orientierungslosigkeit auftraten», berichtet Erstautor Lukasz Smigielski, der die Studie unter Leitung von UZH-Psychiatrieprofessor Franz Vollenweider durchführte.
Positive Effekte halten auch längerfristig an
Vier Monate nach Abschluss des Retreats zeigten die Meditierenden, die Psilocybin eingenommen hatten, ein positiveres psychosoziales Verhalten, eine bessere Selbstakzeptanz und mehr Empathie als diejenigen aus der Placebo-Gruppe. Eine entscheidende Rolle für diese dauerhaften Veränderungen spielte laut Vollenweider das Ausmass der während des Retreats erlebten Selbsttranszendenz. In einer bereits publizierten Studie konnten er und sein Team mit Magnetresonanztomografie zeigen, dass die Selbsttranszendenz-Erfahrung neuronale Verbindungen im Gehirn nachhaltig verändert und zwar in den Hirnregionen, die aktiv sind, wenn wir über uns selbst nachdenken.
Wie die Forschungsgruppe herausfand, begünstigen nebst der Meditationstiefe auch die Offenheit und der Optimismus der Meditierenden eine positive Reaktion auf das Psilocybin. «Diese Faktoren können uns helfen, eine positive Reaktion vorherzusagen», so Vollenweider. Gleichzeitig scheinen Fähigkeiten, die in der Achtsamkeitsmeditation eingeübt werden – etwa die Aufmerksamkeit zu regulieren und Gefühle urteilsfrei wahrzunehmen –, potenzielle negative Reaktionen auf Psilocybin abzufedern.
Perspektive für die Behandlung affektiver Störungen
«Unsere Ergebnisse beleuchten die Wechselwirkungen zwischen pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Faktoren beim Erleben psychedelischer Zustände», resümiert Vollenweider. «Sie deuten darauf hin, dass Achtsamkeitstraining die positive Wirkung einer Einzeldosis Psilocybin verstärkt, zu mehr Empathie und einer dauerhaften Verringerung egozentrischer Züge führen kann. Damit eröffnen sich neue therapeutische Perspektiven, etwa zur Behandlung von Depressionen, die oft mit einer starken Selbstfokussierung und sozialen Defiziten einhergehen.»
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK)
Prof. Dr. Franz X. Vollenweider
E-Mail: vollen@bli.uzh.ch
Tel: +41 44 384 26 04
Dr. Lukasz Smigielski
E-Mail: lukasz.smigielski@uzh.ch
Tel.: +41 43 556 40 48
Originalpublikation:
Lukasz Smigielski, Michael Kometer, Milan Scheidegger, Rainer Krähenmann, Theo Huber, Franz X. Vollenweider. Characterization and prediction of acute and sustained response to psychedelic psilocybin in a mindfulness group retreat. Scientific Reports, 24 October 2019. DOI: 10.1038/s41598-019-50612-3
Lukasz Smigielski, Milan Scheidegger, Michael Kometer, Franz X. Vollenweider. Psilocybin-assisted mindfulness training modulates self-consciousness and brain default mode network con-nectivity with lasting effects. Neuroimage, 1 August 2019. DOI: 10.1016/j.neuroimage.2019.04.009
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch