09.09.2022 13:23
Glutamin bei Verbrennungen: Weder Nutzen noch Schaden
Die weltweit größte Studie in der Verbrennungsmedizin zeigt, dass die Gabe von Glutamin keine Auswirkungen auf den Heilungsprozess hat.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Würzburg. Eine optimal zusammengesetzte Ernährung kann den Krankheitsverlauf von intensivmedizinisch betreuten Patientinnen und Patienten begünstigen. Neben der Flüssigkeitszufuhr und einem individuell abgestimmten Kalorienbedarf kann sich vor allem die bedarfsgerechte Gabe von Nährstoffen positiv auf Immunabwehr und Wundheilung auswirken. Vielfach diskutiert wurde in den vergangenen Jahren die zusätzliche Gabe von Glutamin. Denn kritisch Kranke haben oft einen erhöhten Umsatz dieser Aminosäure. Doch schon 2013 hatte die renommierte „Canadian Critical Care Trials Group“ in der internationalen REDOX-Studie herausgefunden, dass eine frühzeitige Gabe von Glutamin in hoher Dosierung sogar mitverantwortlich für eine höhere Sterblichkeit bei Patientinnen und Patienten mit Organversagen ist. Die zusätzliche Gabe von Glutamin wurde nachfolgend aus den Behandlungsleitlinien gestrichen.
RE-ENERGIZE für mehr Evidenz
„Mehrere kleinere klinische Studien deuteten jedoch weiterhin auf einen positiven Effekt von Glutamin auf die Stoffwechsel- und Stressreaktion bei Patientinnen und Patienten mit schweren Brandverletzungen hin, sodass die Leitlinien in diesen Fällen eine Gabe von Glutamin weiterhin empfehlen“, schildert Prof. Dr. med. Christian Stoppe von der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Uniklinikum Würzburg. „Dieses Evidenzniveau war uns jedoch zu niedrig und die Unsicherheit bei Glutamin-Supplementierung zu hoch. Wir wollten es genau wissen. Daher haben wir in unserer RE-ENERGIZE-Studie* zehn Jahre lang in insgesamt 1.209 Patientinnen und Patienten mit schweren Brandverletzungen auf 54 Intensivstationen in 14 Ländern die Wirkung und Sicherheit von Glutamin untersucht. Die Betroffenen hatten Verbrennungen zweiten oder dritten Grades, das heißt, mindestens 15 Prozent der Gesamtkörperfläche war betroffen, im Schnitt waren es 33 Prozent.“
RE-ENERGIZE ist die weltweit größte Studie im Bereich der Verbrennungsmedizin. Geleitet wurde sie von Prof. Dr. Daren K. Heyland von der Clinical Evaluation Research Unit at Kingston General Hospital und unterstützt vom Canadian Institutes of Health Research (CIHR). Christian Stoppe, der im Juni 2022 von Aachen nach Würzburg kam, arbeitet seit vielen Jahren eng mit Heyland zusammen und hat als Co-Investigator die Studie nach Deutschland geholt und koordiniert.
Effekt auf Dauer des Klinikaufenthaltes, Infektion und Sterblichkeit
Konkret hat das internationale Team in der doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten RE-ENGERGIZE-Studie untersucht, welchen Einfluss enterales Glutamin, also über eine Magensonde oder oral verabreicht, auf die Sterblichkeit hat, auf Infektionen, auf die Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation und im Krankenhaus, auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität und auf die Ressourcen des Gesundheitswesens. Kurz: Schadet die Intensivmedizin mit der Glutamin-Supplementierung den Patientinnen und Patienten mit schweren Verbrennungen oder rettet sie Leben?
Weder noch lautet die Antwort, die jetzt in The New England Journal of Medicine detailliert** veröffentlicht wurde. „Unsere Daten zeigen, dass die zusätzliche Gabe von Glutamin hingegen der vielen kleinen Studien keinen zusätzlichen Nutzen hat. Es ist aber auch nicht gefährlich. Die Empfehlung für die Glutamingabe muss jedoch aufgrund der Studie nun revidiert werden müssen“, kommentiert Christian Stoppe.
Welchen Nutzen hat Vitamin C?
„Auf dieser Studie aufbauend führen wir nun in diesem internationalen Netzwerk die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte VICToRY-Studie*** durch. Darin überprüfen wir den Nutzen von Vitamin C bei der Genesung von kritisch kranken Verbrennungspatientinnen und -patienten“, berichtet Christian Stoppe, der diese Studie ebenfalls gemeinsam mit Professor Heyland aus Kanada leitet.
Verbrennungen stellen Stoppe zufolge weltweit ein bedeutendes, aber oft unterschätztes Problem der öffentlichen Gesundheit dar. Sie sind die vierthäufigste Verletzung und betreffen oft Personen im jungen bis mittleren Lebensalter, resultierend aus Berufs- und Freizeitunfällen. Verbrennungen sind die Hauptursache für fortbestehende signifikante Einschränkungen nach der Erkrankung. Mehr als bei jeder anderen Form von kritischen Erkrankungen können aufgrund der schweren Brandverletzungen Entzündungsreaktionen auftreten, wodurch die Immunfunktion beeinträchtigt wird und ein erhöhtes Risiko für Organfunktionsstörungen besteht. Verschiedene Ernährungs- und Nährstoffstrategien könnten dazu beitragen, das Immunsystem zu stärken und somit den Heilungsprozess zu begünstigen.
*RE-ENERGIZE – RandomizEd Trial of ENtERal Glutamine to minimIZE Thermal Injury
**Es wurden 1209 Patienten mit einer durchschnittlichen Verbrennungsgröße von 33 % randomisiert und 1200 analysiert. 596 erhielten eine Glutamin-Supplementierung, 604 ein Placebo. Die mittlere Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus betrug 40 Tage in der Glutamin-Gruppe gegenüber 38 Tagen in der Placebo-Gruppe. Die 6-Monats-Mortalitätsrate betrug 17,2 % in der Glutamin-Gruppe gegenüber 16,2 % in der Placebo-Gruppe. Bei den schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen wurden keine Unterschiede festgestellt.
***VICToRY-Studie: https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/462841520?context=projekt&task=showDeta…;
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Stoppe, stoppe_c(at)ukw.de
Originalpublikation:
Link zur Studie DOI: 10.1056/NEJMoa2203364
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2203364
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Neben der Flüssigkeitszufuhr und einem individuell abgestimmten Kalorienbedarf kann sich vor allem d …
Anna Wenzl
UKW / Anna Wenzl
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Medizin
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