13.11.2019 16:16
Komplexe Organmodelle aus dem Labor
Wissenschaftlern der Universität Würzburg ist es gelungen, aus Alleskönner-Stammzellen im Labor menschliche Gewebe zu erzeugen, die in ihrer Komplexität dem normalen Gewebe sehr nahe kommen und die damit bisherigen Konstrukten überlegen sind. In Zukunft könnten solche Organoide helfen, die Vorgänge bei der Entstehung von Krankheiten besser zu untersuchen und die Wirkung von therapeutischen Substanzen genauer zu analysieren, bevor sie bei Tier und Mensch eingesetzt werden. Außerdem können damit künstliche Gewebe erzeugt werden, die mit einem funktionierenden Blutgefäßsystem ausgestattet sind und somit erfolgreicher in Patienten transplantiert werden könnten.
Seit es japanischen Forschern im Jahr 2006 erstmals gelungen ist, Alleskönner-Stammzellen durch eine epigenetische Umprogrammierung von Bindegewebszellen künstlich herzustellen, steht der Wissenschaft ein unvergleichlich wertvoller Zelltyp zur Verfügung, mit dessen Hilfe sich alle Zellen des menschlichen Körpers in der Kulturschale erzeugen lassen.
Kultiviert man diese sogenannten „induzierten pluripotenten Stammzellen“ (iPS-Zellen) als dreidimensionale Zellaggregate, lassen sich durch die gezielte Zugabe von Wachstumsfaktoren funktionierende Miniaturversionen menschlicher Organe erschaffen, sogenannte Organoide. Basierend auf dieser Technik wurden innerhalb der letzten Jahre beispielsweise Zellkulturmodelle des Darms, der Lunge, der Leber, der Nieren sowie des Gehirns erschaffen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Bisherige Organoide blieben unvollständig
Solche Organoidmodelle weisen eine teils verblüffende Ähnlichkeit zu echten embryonalen Geweben auf. Allerdings blieben sie, bedingt durch die Herstellungsmethode, bisher meist unvollständig, da sie keine Zellen und Strukturen des Organstroma – des bindegewebigen Stützgerüstes – enthielten. Es fehlten beispielsweise Blutgefäße und Immunzellen. Während der Embryonalentwicklung stehen all diese Zelltypen und Strukturen jedoch in ständigem Austausch und treiben durch gegenseitige Beeinflussung die Entwicklung und Reifung des Gewebes sowie des Organs voran. Auch Erkrankungen entstehen meist im Gewebekontext unter Beteiligung verschiedener Zelltypen.
Ein gezielter Einbau dieser Stromakomponenten und besonders von funktionierenden Blutgefäßen würde daher bereits etablierte Organoidmodelle besser ausreifen lassen und eine Krankheitsmodellierung realistischer gestalten beziehungsweise für manche Erkrankungen überhaupt erst möglich machen. Außerdem könnten künstliche Gewebe mit einem bereits ausgereiften Blutgefäßsystem erfolgreicher transplantiert werden. Darüber hinaus bieten komplexe Organoide eine einmalige Möglichkeit, Aspekte der Entstehung menschlicher Organe im Labor zu beobachten und zu verstehen. Weil sich an ihnen neue pharmakologische Wirkstoffe gut testen lassen, können sie außerdem dazu beitragen, die Zahl von Tierversuchen zu reduzieren.
Mesodermale Stammzellen vervollständigen Miniorgane
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu solch komplexen Organoiden ist jetzt Wissenschaftlern der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gelungen. Verantwortlich dafür waren die Anatomen Dr. Philipp Wörsdörfer und Professor Süleyman Ergün, Vorstand des Instituts für Anatomie und Zellbiologie. Dabei bedienten sie sich eines Tricks: Sie erzeugten aus Alleskönner-Stammzellen zunächst sogenannte mesodermale Vorläuferzellen. Diese Zellen können unter geeigneten Bedingungen Blutgefäße, Immunzellen sowie die Zellen des Bindegewebes hervorbringen.
Um das Potenzial der mesodermalen Vorläufer zu demonstrieren, mischten die Wissenschaftler diese Zellen zum einen mit Tumorzellen und zum anderen mit Gehirnstammzellen, die wiederum zuvor von humanen iPS-Zellen generiert worden waren. Aus dieser Mischung entwickelten sich in der Zellkulturschale komplexe dreidimensionale Tumor- beziehungsweise Hirnorganoide mit funktionellen Blutgefäßen, Bindegewebsanteilen und im Falle des Hirngewebes auch hirnspezifischen Immunzellen, sogenannten Mikroglia-Zellen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Philipp Wörsdörfer, Institut für Anatomie und Zellbiologie, T: +49-931 31 80884
philipp.woersdoerfer@uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
Wörsdörfer, P., Dalda, N., Kern, A, Krüger, S., Kwok, C.K., Wagner, N., Henke, E., Ergün, S. Generation of complex human organoid models including vascular networks by incorporation of mesodermal progenitor cells. Sci Rep 9, 15663 (2019) doi:10.1038/s41598-019-52204-7
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
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