Lawinenopfer: Wann kann Erwärmung die Rettung bedeuten?



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28.05.2019 09:01

Lawinenopfer: Wann kann Erwärmung die Rettung bedeuten?

Eine internationale Studie unter Leitung von Eurac Research definiert Kriterien, um Überlebenschancen richtig einzuschätzen.

Lawinenopfer, die unterkühlt und mit Herz-Kreislauf-Stillstand das Krankenhaus erreichen, sind für die Ärzte schwierig einzuschätzen: Ist der Erstickungstod eingetreten oder besteht bei richtiger Wiedererwärmung eine realistische Aussicht, dass der Patient überlebt? Die korrekte Ersteinschätzung ist von großer Bedeutung: Sie garantiert das Überleben der Überlebensfähigen und verhindert gleichzeitig, dass wertvolle medizinische Ressourcen für unrettbare Fälle aufgewendet werden. Die Experten für Notfallmedizin von Eurac Research haben deshalb gemeinsam mit Kollegen aus Europa und den USA neue Richtwerte für die Körpertemperatur und die Konzentration von Kalium im Blutserum ermittelt, die zuverlässige Anhaltspunkte für die ärztliche Entscheidung bei Krankenhausaufnahme bieten. In der Studie wurden die Daten von 103 Lawinenopfern analysiert, die zwischen 1995 und 2016 mit Herz-Kreislauf-Stillstand in sieben große Krankenhäuser in Europa eingeliefert wurden.

In die Untersuchung einbezogen wurden die Krankenhäuser Bern, Grenoble, Innsbruck, Krakau, Tromsö, Lausanne und Sion. Von den 103 Verunglückten waren 61 wiedererwärmt worden, doch nur 10 Prozent überlebten; in den anderen Fällen war also nicht die Unterkühlung die Ursache für den Kreislaufstillstand, sondern das Ersticken in der Lawine oder ein Trauma. Gerade weil Wiedererwärmung nur bei einem geringen Anteil solcher Fälle die Rettung bedeutet, personell und technisch jedoch sehr aufwendig und mit sehr hohen Kosten verbunden ist, „braucht man strenge und verlässliche Selektionskriterien“, wie Hermann Brugger erklärt, Hauptautor der Studie: „Kriterien, die garantieren, dass alle Eingelieferten wiedererwärmt werden, bei denen eine Aussicht auf Erfolg besteht – aber eben möglichst nur diese Patienten.“
Zwar hatten die Ärzte auch bisher Richtlinien für die erste Triage von Lawinenopfern direkt am Lawinenfeld – die Beurteilung, die über die weitere Behandlung entscheidet – doch handelte es sich um Richtwerte, die auf einer geringen wissenschaftlichen Evidenz beruhten und für den Einsatz am Notfallort bestimmt waren. Für die Krankenhäuser hingegen sind treffsichere Kriterien mit einem hohen Evidenzniveau erforderlich, um den Einsatz der Herzlungenmaschine – aus Südtirol müssen Lawinenopfer dafür nach Innsbruck oder Trient gebracht werden – zu rechtfertigen. Genau hier liegt die Bedeutung der jetzt im Fachjournal „Resuscitation“ des Europäischen Rats für Wiederbelebung veröffentlichten Studie. Die Faktoren, die sich bei dieser Untersuchung als entscheidend herauskristallisier haben sind die Körpertemperatur und die Konzentration des Kaliums im Blutserum, die mit dem Zellverfall zusammenhängt. Für beide Parameter ermittelten die Mediziner jenen Wert, der die eventuell rettbaren von den hoffnungslosen Fällen trennt. Bei der Körpertemperatur ist dieser Richtwert 30 Grad: Kein Lawinenopfer mit Herz-Kreislauf-Stillstand, bei dem die Körpertemperatur 30 Grad überstieg, wurde je erfolgreich wiedererwärmt; das Serumkalium sollte nicht über 7mmol/Liter liegen.
Dass die Wissenschaftler trotz der kleinen Fallzahl zu sicheren Schätzwerten gelangten, verdanken sie einer neuen statistischen Methode, die über Eurac Research entwickelt und bei dieser Studie erstmals angewendet wurde; sie eröffnet künftig auch anderen Untersuchungen mit kleiner Stichprobenzahl neue Möglichkeiten.

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Weitere Informationen:

https://www.resuscitationjournal.com/article/S0300-9572(18)30967-5/fulltext


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW