18.09.2019 11:58
Mehr als nur ein Bauchgefühl – Gehen Depressionen durch den Magen?
Regensburger Forscher finden heraus: Antibiotikum vermindert Depressions-Verhalten über Veränderungen der Zusammensetzung der Darmflora und hemmt dadurch einen “Entzündungsprozess” im Gehirn.
Die Depression gehört zu den häufigsten psychischen Krankheiten. Fast jeder Fünfte wird einmal im Leben davon betroffen. Weltweit leiden mindestens 350 Millionen Menschen an Depressionen. Die Erkrankten schildern eine alarmierende Gemütslage gezeichnet von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Apathie, einem Gefühl innerer Leere und oft dem Verlust an den schönen Dingen des Lebens, genannt Anhedonie. Dazu kommen Müdigkeit, Antriebslosigkeit und ein vermindertes Selbstwertgefühl sowie in den schlimmsten Fällen Suizidgedanken und Suizidversuche. Die Behandlung einer klinisch manifesten Depression erfolgt heutzutage mittels sogenannter Antidepressiva, die bei vielen Patienten zu einer zuverlässigen Verbesserung der Symptome führt. Der Heilungsprozess wird jedoch häufig durch Nebenwirkungen erschwert, und 30 Prozent der Patienten sprechen entweder sehr spät oder gar nicht auf die Behandlung an.
Reguliert wird unsere Psyche durch verschiede Einflüsse: dem Immunsystem, dem Zusammenspiel unserer Hormone, aber auch der Darmflora, dem Mikrobiom. In der Tat besteht unser Körper aus mehr Bakterienzellen im Darm als „eigenen“ Körperzellen. Die Bakterien der Darmflora sind nicht nur – wie lange angenommen – für die Verdauung wichtig, sondern die Zusammensetzung des Mikrobioms entscheidet sogar maßgeblich über unser emotionales Wohlbefinden und scheint in depressiven Patienten verändert zu sein.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
In einer Studie, die in der Online-Zeitschrift Translational Psychiatry erschienen ist, untersuchten nun Neurobiologen um Prof. Dr. Inga Neumann, Lehrstuhl für Tierphysiologie und Neurobiologie der Universität Regensburg, in Kooperation mit den Teams von Prof. Dr. Rainer Rupprecht, Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie des Bezirksklinikums Regensburg, Prof. Dr. Andre Gessner vom Institut für Klinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Regensburg, sowie Prof. Dr. Isabella Heuser, Charite Berlin den genauen Zusammenhang zwischen Emotionalität, Depression und Mikrobiom bei Laborratten. Dabei konnte die Doktorandin Anna-Kristina Schmidtner nachweisen, dass sich bei den Ratten, die besonders ängstlich sind und zudem ein behandlungsresistentes Depressions-Verhalten zeigen, die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms stark von normalen, nicht-ängstlichen Tieren unterscheidet. Werden die ängstlichen Tiere mit dem Antibiotikum Minozyklin behandelt, wird nicht nur die Darmflora erwartungsgemäß stark verändert. Die Tiere verhalten sich auch aktiver und zeigen weniger Depressions-ähnliches Verhalten.
Wie kann es sein, dass ein Antibiotikum das Verhalten von Tieren beeinflusst? Neben seiner Wirkung auf die Darmbakterien veränderte Minozyklin im Gehirn sogenannte Glia-Zellen, vormals als „Kitt“ des Gehirns bezeichnet, die zahlreiche Gehirn-Funktionen regulieren. Depressionen gehen mit einer Aktivierung der Mikroglia einher, was auch als Entzündungsprozess des Gehirns interpretiert wird.
Dem Team um Prof. Neumann gelang nun der Nachweis, dass sich nach einer Minozyklin-Behandlung die Zusammensetzung des Mikrobioms ändert: Manche Bakterienfamilien werden seltener, andere werden häufiger, insbesondere solche Bakterienfamilien, die kurzkettige Fettsäuren produzieren Diese gelangen in die Blutbahn und können auf diesem Weg auch Einfluss auf das Gehirn nehmen. Eine dieser Substanzen –Butyrat – kann sogar die Aktivierung von Mikroglia im Gehirn verhindern, also entzündungshemmend wirken. Der antidepressive Effekt von Minozyklin ist daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf diese Wirkung zurückzuführen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Inga Neumann
Lehrstuhl für Tierphysiologie und Neurobiologie
Universität Regensburg
Tel.: 0941 943-3053
E-Mail: Inga.neumann@ur.de
Originalpublikation:
Anna K. Schmidtner, David A. Slattery, Joachim Gläsner, Andreas Hiergeist, Katharina Gryksa, Victoria A. Malik, Julian Hellmann-Regen, Isabella Heuser, Thomas C. Baghai, André Gessner, Rainer Rupprecht, Barbara Di Benedetto and Inga D. Neumann, “Minocycline alters behavior, microglia and the gut microbiome in a trait-anxiety-dependent manner”, Translational Psychiatry (2019).
DOI: https://doi.org/10.1038/s41398-019-0556-9
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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