Molekulare Täuschung treibt Tumorzellen in den Selbstmord



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23.06.2023 17:00

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Molekulare Täuschung treibt Tumorzellen in den Selbstmord

Ein maßgeschneidertes Molekül behindert Krebswachstum, indem es einen Proteinkomplex blockiert, dessen Bindungspartnern es täuschend ähnelt. Die betroffenen Zellen schalten daraufhin ein Selbstmordprogramm an. Das hat eine fachübergreifende Forschungsgruppe aus der Marburger Krebsmedizin und Chemie mit Unterstützung aus München herausgefunden. Das Team berichtet in der Juliausgabe des Fachblatts „Cell Chemical Biology“ über seine Ergebnisse.

Viele zelluläre Abläufe beruhen darauf, dass mehrere Proteine zusammenarbeiten. Auch die Entstehung von Krebs hängt von solchen Wechselwirkungen ab. „So koppelt der Proteinkomplex ELOB/C an andere Proteine, von denen viele zu Krebserkrankungen beitragen“, erklärt der Marburger Biochemiker Dr. Robert Liefke vom Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung der Philipps-Universität Marburg, einer der Leitautoren des Fachaufsatzes. Krebszellen aller Krebsarten benötigen die beiden Bestandteile des Komplexes, ELOB und ELOC, um zu wachsen.

Die Kopplung zwischen dem Proteinkomplex ELOB/C und seinen Partnern beruht darauf, dass ELOB/C eine Bindungstasche enthält, zu der es ein Gegenstück auf den Partnermolekülen gibt. Dieses Gegenstück – die Zielsequenz – passt in die Bindungstasche wie eine Zugangskarte in das Lesegerät einer Hotelzimmertüre. Die Zielsequenz umfasst Aminosäuren in einer ganz bestimmten Abfolge. Fachleute haben der Zielsequenz einen eigenen Namen gegeben: BC-Box.

„Die BC-Box schmiegt sich in die Bindungstasche des ELOB/C-Komplexes“, erläutert Juniorprofessorin Dr. Olalla Vázquez vom Marburger Fachbereich Chemie, eine weitere Leitautorin. „Aufgrund dieser Passung vermag ELOB/C mit den Partnerproteinen zusammenzuarbeiten.“ Wie lässt sich verhindern, dass ELOB/C das Krebswachstum fördert?

Die fachübergreifende Zusammenarbeit an der Schnittstelle von Krebsforschung, molekularer Zellbiologie und Biochemie gehört zu den Stärken der Marburger Naturwissenschaften und Medizin. Diesen Vorteil machten sich Vázquez und Liefke zunutze, um einen neuartigen Ansatz der Krebsbekämpfung auszuprobieren.

Um ELOB/C zu blockieren, entwickelten die Arbeitsgruppen der beiden ein kurzes, proteinartiges Molekül, ein so genanntes Peptid, das die Zielsequenz nachahmt. „Das maßgeschneiderte Peptid passt genau in die Bindungstasche von ELOB/C, so dass dort kein Platz mehr für die Zielsequenz anderer Proteine bleibt“, berichtet Vázques‘ Mitarbeiter Van Tuan Trinh, der ebenfalls als Koautor firmiert.

Das Täuschungsmanöver hindert den ELOB/C-Komplex daran, mit seinen Partnern zusammenzuwirken. Das wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur im Reagenzglas nach, sondern auch in Zellkultur, also in der natürlichen Umgebung der beteiligten Biomoleküle: „Behandelt man Krebszellen mit unserem Peptid, so zeigen sie eine gestörte Genaktivierung und leiten vermehrt ein Zelltodprogramm ein, das zu ihrem Absterben führt“, legt Mitverfasserin Sabrina Fischer aus Liefkes Labor dar.

„Die Bindungstasche von ELOB/C zu blockieren, ist nach unseren Befunden eine praktikable Strategie, um das Wachstum von Krebszellen zu hemmen“, fasst Liefke die Ergebnisse zusammen. Vázquez ergänzt: „Unsere Erkenntnisse könnten als Ausgangspunkt dienen, um neuartige Medikamente gegen Krebs zu entwickeln.“

Die Lebens- und Naturwissenschaften gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Philipps-Universität Marburg. Dr. Olalla Vázquez hat eine Juniorprofessur für Chemische Biologie an der Philipps-Universität inne. Der Biochemiker Dr. Robert Liefke leitet eine Nachwuchsgruppe am Marburger Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung.

Neben den Arbeitsgruppen von Vázquez und Liefke sowie weiteren Forscherinnen und Forschern der Philipps-Universität beteiligte sich Dr. Ignasi Forné vom Biomedizinischen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München an der Veröffentlichung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziell.

Originalveröffentlichung: Sabrina Fischer, Van Tuan Trinh & al.: Peptide-mediated inhibition of the transcriptional regulator Elongin BC induces apoptosis in cancer cells, Cell Chemical Biology 2023

Weitere Informationen:
Ansprechpersonen:
Dr. Robert Liefke,
Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung
Tel.: 06421 28-66697
E-Mail: liefke@staff.uni-marburg.de

Juniorprofessorin Dr. Olalla Vázquez,
Nachwuchsgruppe Chemische Biologie
Tel: 06421-28-22745
E-Mail: vazquezv@staff.uni-marburg.de


Bilder

Das Marburger Forschungsteam um (von rechs) Olalla Vázquez und Robert Liefke erprobte mit Van Tuan Trinh, Sabrina Fischer sowie weiteren Kolleginnen und Kollegen einen neuartigen Ansatz, um Krebswachstum zu bekämpfen.

Das Marburger Forschungsteam um (von rechs) Olalla Vázquez und Robert Liefke erprobte mit Van Tuan T
Foto: Oliver Kreuz
Das Bild darf nur für die Berichterstattung über die zugehörige wissenschaftliche Veröffentlichung verwendet werden.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW