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01.12.2022 09:08
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Multiple-Sklerose-Therapie beeinflusst die Darmflora positiv
Ein bestimmtes Medikament gegen MS verändert auch die Zusammensetzung der Darmflora auf positive Weise, berichten Forschende der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel. Zudem spielt umgekehrt die Darmflora eine Rolle dabei, welche Nebenwirkungen bei der Therapie auftreten.
Seit einigen Jahren häufen sich die Hinweise: Was dem Nervensystem bei der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) widerfährt, hängt mit der Mikrobengemeinschaft im Darm zusammen. Das Darmmikrobiom beeinflusst das Immunsystem und weist bei MS-Betroffenen eine Zusammensetzung auf, die sich von Gesunden unterscheidet.
Bisher kaum erforscht ist, wie sich MS-Therapien auf die Darmflora auswirken und welche Rolle deren Zusammensetzung bei Wirkung und Nebenwirkungen der Therapien spielt. Ein Forschungsteam der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel hat dies nun bei einer Gruppe von 20 MS-Betroffenen untersucht, deren Erkrankung mit Dimethylfumarat behandelt wird. Von ihren Ergebnissen berichtet das Team um Prof. Dr. Anne-Katrin Pröbstel, Leitende Ärztin in der Neurologie und Forschungsgruppenleiterin, und Prof. Dr. Dr. Adrian Egli, der seit kurzem an der Universität Zürich forscht, im Fachjournal «Gut Microbes».
Das Medikament, das unter dem Namen Tecfidera auf dem Markt ist, verringert die Zahl der Krankheitsschübe bei MS, indem es in den Stoffwechsel bestimmter Immunzellen eingreift. Allerdings ist die Therapie mit Nebenwirkungen verbunden, darunter Hitzewallungen und Magen-Darm-Beschwerden, in vielen Fällen auch eine Lymphopenie, ein Mangel an Lymphozyten wie B- und T-Zellen im Blut. Dies kann selten zu schweren Komplikationen führen.
Mehr «gute» Bakterien
Für ihre Studie untersuchten die Forschenden Stuhl- und Blutproben der Teilnehmenden vor Beginn und während der ersten zwölf Monate der Therapie. Im Fokus stand die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaft im Darm. Ausserdem bestimmten Pröbstel und ihr Team die Anzahl Lymphozyten im Blut, um Patientinnen und Patienten mit Lymphopenie als Nebenwirkung zu identifizieren.
Bereits nach den ersten drei Monaten der Therapie stellte das Forschungsteam eine Verschiebung im Darmmikrobiom fest: «Wir konnten zeigen, dass sich Darmbakterien bei Patientinnen und Patienten unter der Therapie wieder mehr hin zu der Zusammensetzung von Gesunden verändern», fasst Pröbstel die Ergebnisse zusammen. Die Behandlung mit Dimethylfumarat senkte den Anteil an entzündungsfördernden Bakterienarten, die mit MS in Zusammenhang gebracht werden, und förderte «gute» Bakterien.
Ausserdem konnten die Forschenden die Zusammensetzung des Darmmikrobioms mit dem Auftreten von Lymphopenie in Zusammenhang bringen: Das Vorhandensein des Bakterienstamms Akkermansia muciniphila in Kombination mit dem Fehlen des Bakterienstamms Prevotella copri entpuppte sich als Risikofaktor für diese Nebenwirkung. Womöglich komme P. copri also eine schützende Wirkung zu, vermuten die Studienautorinnen und –autoren.
Wechselspiel zwischen Therapie und Darmflora
«Unsere Daten deuten darauf hin, dass immunmodulatorische Therapien nicht nur auf Immunzellen wirken, sondern auch das Darmmikrobiom positiv beeinflussen», erklärt die Neurologin Pröbstel. Der Zusammenhang zwischen Darmbakterien und klinischen Nebenwirkungen der Therapie könnte Möglichkeiten eröffnen, frühzeitig Patientinnen und Patienten mit einem Risiko für eine Lymphopenie zu identifizieren. Mikrobiologe Egli ergänzt: «Dieses relativ neue Feld der Mikrobiologie erlaubt es vielleicht in Zukunft bei einer Vielzahl von Medikamenten die Wirkungen und Nebenwirkungen im Kontext der Darmbakterien besser zu verstehen und Therapien zu personalisieren».
«Noch handelt es sich um eine Pilotstudie mit einer relativ kleinen Anzahl an Teilnehmenden», betont Pröbstel. Grösser angelegte Erhebungen müssten die Ergebnisse bestätigen und das Potenzial untersuchen, die Wirksamkeit von MS-Therapien via der Darmflora zu unterstützen sowie Risiken für Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.
Das Forschungsteam an den Departementen Neurologie, Biomedizin, Klinische Forschung und dem «Research Center for Clinical Neuroimmunology and Neuroscience» der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel erhielt Finanzierung für die Studie durch die Stiftung Propatient des Universitätsspitals Basel, die Goldschmidt-Jacobson Stiftung, Biogen, die «National Multiple Sclerosis Society» und den Schweizerischen Nationalfonds.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Anne-Katrin Pröbstel, Universität Basel, Departement Biomedizin, Departement Klinische Forschung, Universitätsspital, Klinik für Neurologie, Tel.: +41 61 556 57 98, E-Mail: anne-katrin.proebstel@unibas.ch
Originalpublikation:
Martin Diebold, Maroc Meola et al.
Gut microbiota composition as a candidate risk factor for dimethyl fumarate-induced lymphopenia in multiple sclerosis.
Gut Microbes (2022), doi: 10.1080/19490976.2022.2147055
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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