Neu entdeckter Mechanismus reguliert Herz-Dehnbarkeit



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15.09.2020 07:25

Neu entdeckter Mechanismus reguliert Herz-Dehnbarkeit

Ein Forscherteam um den Physiologen Prof. Dr. Wolfgang Linke von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat gezeigt: Oxidativer Stress zusammen mit der Dehnung der Herzwände löst eine Veränderung der Herzmuskelsteifigkeit aus. Eine Schlüsselrolle dabei spielt das Protein Titin. Dieser neu entdeckte Mechanismus ist beispielsweise bei chronischen Herzerkrankungen von Bedeutung. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin “PNAS” veröffentlicht.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Ein gesundes Herz schlägt im Durchschnitt 50 bis 100 Mal pro Minute und pumpt rund 8.000 Liter Blut pro Tag durch den menschlichen Körper. Voraussetzung ist die Elastizität der Herzwände, die sich beim Einstrom von Blut ausdehnen (Diastole) und beim anschließenden Ausfließen des Bluts wieder zusammenziehen (Systole). Für diese Bewegung sind Millionen kleiner Hohlräume in den Herzmuskelfasern verantwortlich – die Sarkomere. In ihnen befindet sich das größte Protein des menschlichen Körpers, das Titin. Es hat hier die Funktion einer mechanischen Feder, die bei der Dehnung der Muskelfächer eine Rückstellkraft entwickelt – ähnlich einem Gummiband.

Ein Forscherteam um Prof. Dr. Wolfgang Linke, Direktor des Instituts für Physiologie ll der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), fand nun gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Bochum, Würzburg, Köln, Regensburg, Göttingen und Düsseldorf heraus: Oxidativer Stress löst zusammen mit der Dehnung der Herzwände eine Veränderung der Herzmuskelsteifigkeit aus; das elastische Titin der Herzmuskelzellen wird verstärkt oxidiert und dadurch in seiner Dehnbarkeit moduliert. Diesen neu entdeckten Mechanismus bezeichnen die Forscher als UnDOx („Unfolded Domain Oxidation“). Die Studienergebnisse sind in dem Fachmagazin „PNAS“ veröffentlicht.

Hintergrund und Methode

Im menschlichen Organismus stellt Titin das Rückgrat des Sarkomers dar, der kleinsten funktionellen Einheit des Muskels. Dort sorgt es aufgrund seiner besonderen Struktur sowohl für Stabilität als auch für Elastizität. Viele Herzerkrankungen, unter anderem die sogenannte diastolische Herzinsuffizienz und die dilatative Kardiomyopathie, gehen auf Defekte im Titin zurück. Das Forscherteam zeigte nun zum ersten Mal im Herzgewebe, das aus Mäusen entnommen wurde, dass oxidativer Stress und die Herzdehnung die Titin-Federfunktion verändern. Von oxidativem Stress spricht man, wenn zu viele reaktive Sauerstoffverbindungen in den Zellen eines Organismus vorhanden sind. Diese Sauerstoffverbindungen, zu denen sogenannte freie Radikale zählen, können Zellschäden verursachen. In geringerer Menge regulieren die Sauerstoffverbindungen jedoch wichtige physiologische Funktionen.

Den Oxidierungsstatus der Herzproteine ermittelten die Wissenschaftler mit Hilfe eines Massenspektrometers. Zusätzlich isolierten sie Herzmuskelzellen vom tiefgefrorenen Gewebe eines menschlichen Herzens, befestigten an den Zellen einen Kraftsensor und einen Mikromotor, um die Präparate anschließend schrittweise zu dehnen. Dadurch konnten sie die entstehenden Kräfte messen und deren Absinken oder Ansteigen bei unterschiedlichen Formen von oxidativem Stress beobachteten. Darüber hinaus stellte das Team rekombinante Titinmoleküle her und ließ sie im Reagenzglas mutieren – dadurch konnte die Oxidierung nicht mehr stattfinden. „Die Auswirkungen von Dehnung und Oxidierung auf die Titinfeder haben wir dann mit einem sogenannten Rasterkraftmikroskop gemessen. Mit diesem Gerät konnten wir einzelne Titinmoleküle wie ein Gummiband aufspannen und die dabei entstehende Kraft, beziehungsweise deren Veränderung bei Oxidierung aufnehmen“, erklärt Wolfgang Linke.

Die Wissenschaftler zeigten in ihren Versuchen, dass der UnDOx-Mechanismus bei Herzen unter oxidativem Stress auftritt. Das ist zum Beispiel der Fall nach einem akuten Herzinfarkt oder bei chronischen Herzerkrankungen, die mit veränderter Dehnbarkeit der Herzwände einhergehen. „Der Mechanismus reguliert also die Herz-Dehnbarkeit. Eine Versteifung ist für das Herz ungünstig, weil dann weniger Blut einströmt. Bei der diastolischen Herzinsuffizienz, einer häufigen Erkrankung bei älteren Menschen, ist die Herzversteifung ein Kardinalproblem. Wir hoffen, diese Herzen durch pharmakologische Regulation der Titinoxidation – also durch Medikamente – wieder dehnbarer zu machen“, fasst Wolfgang Linke zusammen.

Die Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Wolfgang A. Linke
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Physiologie II
AG Linke: Kardiovaskuläre Physiologie
Tel: +49 251 83-55328
wlinke@uni-muenster.de


Originalpublikation:

Christine M. Loescher, Martin Breitkreuz, Yong Li, Alexander Nickel, Andreas Unger, Alexander Dietl, Andreas Schmidt, Belal A. Mohamed, Sebastian Kötter, Joachim P. Schmitt, Marcus Krüger, Martina Krüger, Karl Toischer, Christoph Maack, Lars I. Leichert, Nazha Hamdani, Wolfgang A. Linke (2020): “Regulation of titin-based cardiac stiffness by unfolded domain oxidation (UnDOx)”. Proc Natl Acad Sci USA. Doi: 10.1073/pnas.2004900117


Weitere Informationen:

https://www.medizin.uni-muenster.de/physiologieii/das-institut.html Institut für Physiologie II an der WWU Münster


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW