25.11.2019 07:34
Neuer Therapieansatz für unheilbare Leukämie bei Kindern entdeckt
Die akute lymphoblastische Leukämie ist in der Schweiz die häufigste Krebsart bei Kindern und leider oft unheilbar. Forschende der Universität Zürich und des Universitäts-Kinderspitals Zürich haben nun einen Weg gefunden, die treibende Kraft dieser Leukämie auf molekularer Ebene auszuschalten und eine gezielte Therapie zu entwickeln.
Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) ist eine Form von Blutkrebs, die vor allem Kinder und Jugendliche betrifft. Statt gesunder weisser Blutkörperchen bilden sich im Blut der Betroffenen grosse Mengen von bösartig entarteten Vorläuferzellen. Der Grund dafür ist häufig eine Veränderung im Erbgut: Durch die Verschmelzung von zwei Chromosomen entstehen neue abnorme Gene, welche die Steuerung der normalen Blutentwicklung durcheinander bringen. Solche Leukämien sind oft sehr resistent und weder mit intensiver Chemotherapie noch durch eine Stammzelltransplantation heilbar. Um neue Angriffspunkte zu finden, hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Zürich und des Universitäts-Kinderspitals Zürich die molekularen Ursachen dieser Fehlsteuerung nun genauer unter die Lupe genommen.
Abnormes Protein aktiviert Gene zum falschen Zeitpunkt
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Hierfür analysierten die Forschenden unter der Leitung von Jean-Pierre Bourquin und Beat Bornhauser ein Protein namens TCF3-HLF, das für diese Form der Leukämie typisch ist. Dieses – natürlicherweise nicht vorkommende – Protein entsteht durch die Verschmelzung von zwei Chromosomen und enthält Teile von sogenannten Transkriptionsfaktoren, die das Ablesen bestimmter Gene aktivieren. Wie die Untersuchungen zeigten, aktiviert das abnorme Protein TCF3-HLF ebenfalls eine ganze Reihe von Genen – allerdings im falschen Kontext und zum falschen Zeitpunkt während der Blutentwicklung. Dies führt zur Bildung der bösartigen weissen Blutkörperchen und löst die Leukämie aus. «Unsere Forschungsarbeiten zeigen, dass das abnorme Protein an fast 500 regulatorische Abschnitte im Erbgut der menschlichen Leukämie-Zellen bindet. Dadurch werden Hunderte von Genen fälschlicherweise aktiviert», erklärt Yun Huang, Erstautor der Studie.
Leukämie-Auslöser dank «Gen-Schere» entschlüsselt
Die Forschenden fanden auch heraus, dass das abnorme Protein nicht alleine agiert, sondern über 100 weitere Proteine um sich sammelt, die bei der Aktivierung der Gene mithelfen. «Wir haben die Funktion der einzelnen Proteine dieser Maschinerie untersucht und so therapeutisch angreifbare Schlüsselkomponenten identifiziert», sagt Huang. Hierfür nutzten er und seine Mitarbeitenden die als «Gen-Schere» bezeichnete CRISPR/Cas9-Methode, mit der sie gezielt einzelne Teile der Maschinerie ausschalten konnten. So fanden sie elf kritische Faktoren, die für die Leukämie essentiell sind. Ohne diese Faktoren bilden sich keine bösartig entarteten Blutzellen.
Neuartige Substanz tötet gezielt Krebszellen
Eine dieser neu identifizierten, essentiellen Komponenten ist das Protein EP300, das als Kofaktor die Aktivierung von Genen verstärkt. Ein Experiment mit Mäusen zeigte, dass EP300 ein vielversprechender Angriffspunkt für eine Therapie ist: Hierfür nutzten die Forschenden eine neuartige Substanz namens A-485, von der bekannt ist, dass sie an EP300 bindet und dessen Aktivität hemmt. In Mäusen, die menschliche Leukämiezellen in sich trugen, starben die bösartigen Zellen nach Gabe von A-485 ab. «Es ist also im Prinzip möglich, die fundamental treibende Kraft dieser Leukämie direkt auszuschalten und somit eine gezielte Therapie zu entwickeln», sagt Forschungsgruppenleiter Jean-Pierre Bourquin. «Nun ist es wichtig, das fehlgeleitete Programm vollständiger zu charakterisieren, um die bestmöglichen Kombinationen solch spezifischer Angriffsmöglichkeiten zu erforschen.» Da auch andere Leukämien durch ähnliche Mechanismen entstehen, lässt sich dadurch möglicherweise auch ein gemeinsamer Nenner identifizieren, um neue Medikamente gegen Krebs zu entwickeln.
Kollaborationen und Finanzierung
Wichtig für die Studie war die Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen von Marie-Laure Yaspo vom Max-Planck Institut für Genomik in Berlin und von Matthias Gstaiger an der ETH Zürich. Die Arbeit entstand im Rahmen des Klinischen Forschungsschwerpunkts (KFSP) «Precision Hematology/Oncology» der Universität Zürich.
Die Arbeit wurde unterstützt von: Krebsliga Schweiz, Schweizerischer Nationalfond, Stiftung Kinderkrebsforschung Schweiz, Stiftung Empiris, Stiftung Panacée, Stiftung Krebsforschung Schweiz, KFSP «Human Hemato-Lymphatic Diseases» und KFSP «Precision Hematology/Oncology».
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Jean-Pierre Bourquin
Abteilung Onkologie
Universitäts-Kinderspital Zürich
Tel. +41 44 266 73 04
E-Mail: jean-pierre.bourquin@kispi.uzh.ch
Originalpublikation:
Yun Huang et al. The Leukemogenic TCF3-HLF Complex Rewires Enhancers Driving Cellular Identity and Self-Renewal Conferring EP300 Vulnerability. Cancer Cell. 14 November 2019. DOI: 10.1016/j.ccell.2019.10.004
Weitere Informationen:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2019/Kinder-Leukaemie.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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