04.11.2022 11:34
Psychotherapie: Therapeuten können negative Erwartungen von Patienten ändern
Pessimistische Erwartungen, ob eine Psychotherapie hilfreich ist, sind bei Patienten und Patientinnen nicht selten – und sie vermögen den Erfolg einer Therapie zu beeinträchtigen. Doch wie können Psychotherapeuten und Therapeutinnen diese Bedenken verändern? Dieser Fragestellung widmete sich das Forscherteam Prof. Winfried Rief und Anna Seewald von der Universität Marburg. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in Clinical Psychological Science publiziert und in Nature Reviews Psychology kommentiert.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Wärme und Kompetenz von Therapeuten und Therapeutinnen sind entscheidend für die Veränderung negativer Therapieerwartungen”, fasst die Psychologin Anna Seewald von der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Marburg das Ergebnis zusammen. In einer Online-Studie induzierten Anna Seewald und Prof. Winfried Rief negative Erwartungen bei Studienteilnehmenden: Sie hörten einer skeptischen Patientin zu, die von einer schwachen Studienlage und geringen Effektivität der Psychotherapie bei der Bewältigung von Stress erzählte. Im nächsten Schritt sahen sich die Teilnehmenden dann ein Video an, in dem ein Therapeut einer Patientin positive Informationen über die Effektivität von Psychotherapie bei Stress vermittelte. Dabei wurde die emotionale Wärme der Kommunikation und die Ausstrahlung der Kompetenz des Therapeuten variiert. Nach den Videos gaben die Teilnehmenden ihre Erwartung darüber ab, ob eine Psychotherapie ihnen helfen könne. Die anfänglich negative Erwartung wurde am besten verändert, wenn der Therapeut im Video hohe Kompetenz vermittelte und eine starke Wärme ausstrahlte. „Dieses Ergebnis kann Therapeuten und Therapeutinnen eine hilfreiche Verhaltensrichtlinie aufzeigen, wenn sie Patienten mit einer negativen Erwartungshaltung gegenübertreten“, erklärt Anna Seewald. Prof. Ulrike Bingel, Neurologin am Universitätsklinikum Essen und Sprecherin des Sonderforschungsbereich SFB/TRR 289 „Treatment Expectation“, betont, dass diese Forschungsergebnisse sind nicht nur für die Psychotherapie relevant, sondern auch in anderen Bereichen der Medizin von großer Bedeutung sind, „denn negative Erwartungen, Ängste und Sorgen spielen bei vielen Patientinnen und Patienten mit chronischen oder schweren akuten Erkrankungen eine große Rolle“. Der DFG Sonderforschungsbereich SFB/TRR 289 „Treatment Expectation“ untersucht die Mechanismen von solchen negativen Erwartungseffekten – auch bekannt als Noceboeffekt – und wie diese im klinischen Alltag zum Wohle von Patienten minimiert werden können. Weiterführende Forschung ist nach diesen spannenden neuen Erkenntnissen geplant.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Winfried Rief
Klinische Psychologie und Psychotherapie, Leiter der Psychotherapie-Ambulanz
Universität Marburg
Gutenbergstrasse 18, 35032 Marburg (Germany)
E-Mail: riefw@staff.uni-marburg.de
Anna Seewald, Psychologin (M.Sc.)
Doktorandin bei Winfried Rief
Erwartungsforschung im GRK 2271 (Breaking Expectations)
E-Mail: anna.seewald@uni-marburg.de
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s44159-022-00126-z
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/21677026221094331
Weitere Informationen:
https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=1413
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin, Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch