Studie mit eineiigen Zwillingen zeigt: Frühform der Multiplen Sklerose hat spezielles Muster



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07.09.2020 13:00

Studie mit eineiigen Zwillingen zeigt: Frühform der Multiplen Sklerose hat spezielles Muster

Sie sind ungefähr so „einfach“ zu finden wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen: eineiige Zwillinge, von denen einer an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist und der andere nicht. Neuroimmunologen aus München haben – um im Bild zu bleiben – ein ganzes Nadelset zusammengestellt und ihre münsterschen Kollegen haben Blutproben dieser Zwillinge analysiert. Nun untersuchten sie anhand von 43 Zwillingspärchen dieser Art: Gibt es bestimmte Kennzeichen im Immunsystem, die eine MS ausmachen – also so etwas wie die „Signatur“ der Krankheit? Das Ergebnis der Studie ist im Fachjournal PNAS veröffentlicht.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Sie sind ungefähr so „einfach“ zu finden wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen: eineiige Zwillinge, von denen einer an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist und der andere nicht. Neuroimmunologen aus München haben – um im Bild zu bleiben – ein ganzes Nadelset zusammengestellt und ihre münsterschen Kollegen haben Blutproben dieser Zwillinge analysiert. Nun untersuchten sie anhand von 43 Zwillingspärchen dieser Art: Gibt es bestimmte Kennzeichen im Immunsystem, die eine MS ausmachen – also so etwas wie die „Signatur“ der Krankheit? Das Ergebnis der Studie ist überraschend.

Wie das Team herausfand, unterscheidet sich die Zusammensetzung der einzelnen Zelltypen im Blut innerhalb der Paare kaum. Bei gesunden Zwillingspaaren wäre das nicht verwunderlich – teilen sie doch dieselben Gene und Umwelteinflüsse. „Aber auch die MS hat kaum Einfluss auf Signaturen im Blut“, resümiert Claudia Janoschka, Doktorandin aus dem Team von Neuroimmunologin und Oberärztin Prof. Dr. Luisa Klotz, Münster. Nur rund ein Prozent der Unterschiede zwischen Gesunden und Erkrankten ist tatsächlich durch die MS zu erklären. Angesichts der weitreichenden Schäden, die die heimtückische Krankheit am Nervensystem – und in Folge an Bewegung, Sprache und Denken – verursacht, ist das bemerkenswert. Zum Vergleich: Der Faktor Alter ist allein für vier Prozent der Unterschiede in der Zusammensetzung des Immunzell-Netzwerks verantwortlich.

Doch eine wichtige Besonderheit entdeckten die Wissenschaftler: Nicht alle der scheinbar gesunden Zwillingsgeschwister waren tatsächlich frei von Anzeichen einer MS. Einige von ihnen zeigten unterschwellig Hinweise auf diese Entzündung des zentralen Nervensystems auch dann, wenn die Krankheit gar nicht ausgebrochen war. „Diese Menschen mit einem möglichen Vorläuferstadium der MS müssten den Patienten mit diagnostisch erwiesener Erkrankung ja eigentlich in ihrer Immunzell-Zusammensetzung ähnlicher sein als die ganz ohne Krankheitshinweise“, sagt Janoschka. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler bei ihren Arbeiten innerhalb des DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs TR128 „Multiple Sklerose“ eine Gemeinsamkeit: Eine deutliche Übereinstimmung fand sich insbesondere bei CD4-positiven Effektor-T-Zellen, die am Entzündungsprozess beteiligt sind. „Sie spielen daher im Frühstadium der MS vermutlich eine wichtige Rolle“, schlussfolgert Janoschka, eine der beiden Erstautorinnen der Arbeit, die nun im hochangesehenen Fachjournal PNAS veröffentlicht wurde. „Diese spannenden Ergebnisse sind wieder ein Beispiel, wie die „Zwillingsforschung“ überaus wertvolle Beiträge zum Verständnis der MS liefern kann“ bestätigt Ko-Erstautorin Priv.-Doz. Dr. Lisa Ann Gerdes vom Institut für Klinische Neuroimmunologie am LMU-Klinikum München.

Ermöglicht wurde die fruchtbare Zusammenarbeit der Münchener und Münsteraner Kollegen durch den Aufbau einer klinischen Translationsplattform zur systematischen und standardisierten Untersuchung von Patientenmaterial im SFB „Multiple Sklerose“. „Die hier mittlerweile etablierten technischen Möglichkeiten ermöglichen es uns, anspruchsvolle Fragestellungen direkt an humanem Patientenproben untersuchen zu können, um die Entstehung komplexer Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose besser zu verstehen“, erklärt Prof. Klotz, Projektleiterin des Kooperationsprojektes.

Für die Entwicklung neuer Therapien ist diese Erkenntnis ebenfalls bedeutend: Multiple Sklerose muss nämlich so schnell wie möglich behandelt werden, da sie sonst irreversible Schäden hinterlässt. Potenziell könnten somit Medikamente, die CD4-positive Effektor-T-Zellen hemmen, Strategie zur MS-Prävention bei Risikokandidaten eingesetzt werden.

Informationen zur MS-Zwillings-Studie:

Die nationale MS Zwillingskohorte umfasst derzeit 85 eineiige Zwillingspaare, von denen jeweils ein Zwilling an MS erkrankt ist, der andere jedoch zumindest “klinisch” gesund ist. Da jedes Zwillingspaar jeweils dieselben Gene trägt, eröffnet diese Konstellation einzigartige Möglichkeiten, um die Rolle nicht-genetischer Einflüsse auf die MS-Entstehung zu erforschen, wie zum Beispiel den Einfluss der Darmflora (Mikrobiota) oder die Rolle epigenetischer Veränderungen. Die nationale MS-Zwillingskohorte der LMU München steht unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. Lisa Ann Gerdes und Prof. Dr. Reinhard Hohlfeld und wird u.a. gefördert von der DFG (Exzellenzcluster SyNergy), der gemeinnützigen Hertiestiftung und dem DMSG (Bundesverband und Landesverband Bayern).


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Claudia Janoschka
Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie
Claudia.Janoschka@ukmuenster.de

PD Dr. Lisa Ann Gerdes
LMU-Klinikum München
Institut für Klinische Neuroimmunologie
LisaAnn.Gerdes@med.uni-muenchen.de


Originalpublikation:

Gerdes LA, Janoschka C, Eveslage M, Mannig B, Wirth T, Schulte-Mecklenbeck A, Lauks S, Glau L, Gross CC, Tolosa E, Flierl-Hecht A, Ertl-Wagner B, Barkhof F, Meuth SG, Kümpfel T, Wiendl H, Hohlfeld R, Klotz L. Immune signatures of prodromal multiple sclerosis in monozygotic twins. Proc Natl Acad Sci U S A. Doi: 10.1073/pnas.2003339117


Weitere Informationen:

http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Institut-fuer-Klinische-Neuroimmunologie/de/… Informationen zur MS-Zwillings-Studie


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW