Zunahme von Naturkatastrophen durch Klimawandel?

Flut

Bis vor kurzem war es noch gängige Meinung, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und einer Zunahme von Naturkatastrophen gäbe. Dann wurden Mängel im Statusbericht des Weltklimarates (IPPC, 2007) aufgedeckt. Was gilt jetzt?

Sind Stürme, Überschwemmungen, Flutwellen, Unwetter und Dürren womöglich gar nicht auf einen Klimawandel zurückzuführen? Rat und Aufklärung verspricht der „Master of Disaster“ (Meister der Katastrophen), wie Gerhard Berz, der Chef der Georisikoforschung eines großen Rückversicherers von der Zeitschrift Focus genannt wurde. Sein aktuell im Februar 2010 erschienenes Buch mit dem Titel „Wie aus heiterem Himmel?“ behandelt das Thema der Naturkatastrophen unter dem Gesichtspunkt, was uns erwartet und wie wir vorsorgen können.

„Wenn es so weitergeht, geht es bald nicht mehr weiter“, betitelt Berz ein Kapitel in der zweiten Buchhälfte, in der er die Versicherungsstatistik der 60er Jahre über große Naturkatastrophen mit der des Jahrzehnts zwischen 1999 und 2008 vergleicht. Demnach hat sich die jährliche Zahl großer Naturkatastrophen nahezu verdoppelt. Ist diese dramatische Zunahme tatsächlich auf einen menschengemachten Klimawandel zurückzuführen?

Berz ist allerdings zu sehr Kenner der Materie, als dass er die minimalen Klimaschwankungen innerhalb von 50 Jahren als Hauptursache ansehen würde. Er listet vielmehr acht Gründe auf. Der erste Grund ist die Bevölkerungszunahme. Klimawandel als Grund für die Zunahme von Naturkatastrophen erscheint dagegen an letzter Stelle.

Als Leser frage ich mich unwillkürlich: Wie kann die Bevölkerungszunahme seit den 60er Jahren, immerhin auf das Dreifache ihres ursprünglichen Werts, der Grund für Naturkatastrophen sein? Es ist kaum denkbar, dass das Erdbeben von Haiti mit Hunderttausenden Toten oder das kürzliche Beben in Chile mit anschließendem Tsunami von einer wachsenden Erdbevölkerung ausgelöst wurde. Auch der Hurrikan 2005, der New Orleans verwüstete, wird wohl kaum seine Ursache in der Fruchtbarkeit der Bevölkerung haben.

Berz erklärt zunächst systematisch alle vorkommenden Extremereignisse der Natur. Beispielsweise hängen neunzig Prozent aller Erdbeben mit den Bewegungen der Erdkruste zusammen. Die Kontinentalplatten verschieben sich permanent, weil sie auf einem heißen zähflüssigen Erdinneren schwimmen. Wenn zwei Platten aneinander reiben, geht das nicht ohne Beben ab. Für die Natur ist das keine Katastrophe, sondern ein gewöhnlicher Vorgang: „Die Natur kennt keine Katastrophen“ (Max Frisch).

Berz überrascht in einem späteren Kapitel den Leser, wenn auch eher unbeabsichtigt. Die Überraschung hängt mit der Definition des Begriffs „Große Katastrophen“ zusammen. So werden nämlich Ereignisse bezeichnet, welche die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Region deutlich übersteigen. Dazu müssen zwei Dinge zusammenkommen. Erstens müssen Menschen von dem Ereignis betroffen sein und zweitens muss es deren Selbsthilfefähigkeit weit übersteigen. Eine verheerende Überschwemmung in der Sahara, bei der keine Menschen betroffen sind, ist demnach keine große Naturkatastrophe.

Als aufmerksamer Leser wundere ich mich nun, dass sich die Zahl der großen Naturkatastrophen seit den 60er Jahren nur verdoppelt hat, während die Weltbevölkerung bekanntlich auf das Dreifache anstieg. Wegen des Zusammenhangs zwischen der betroffenen Bevölkerungszahl und der Definition großer Katastrophen hätte eigentlich auch die Zahl der Menschen, deren Selbsthilfefähigkeit deutlich übertroffen wird, auf das Dreifache steigen müssen. So macht es fast den Eindruck, als habe die absolute Zahl an Extremereignissen eher abgenommen. Berz löst zwar nicht das Paradoxon, aber mithilfe der gegebenen Information kommt man als Leser selbst auf die Lösung.

Die absolute Schadenszunahme hängt einerseits mit den immer ausgedehnteren und zahlreicheren Großstadtregionen zusammen, die von Extremereignissen betroffen werden. Andererseits müssen aber die Vorsorgemaßnahmen gegen die Naturkatastrophen zugenommen haben und zwar noch mehr als die Zunahme der Schäden.

Das Treffen von Vorsorgemaßnahmen ist ein wichtiges Anliegen von Berz. Zu jeder beschriebenen Katastrophenart schildert er, wie man Katastrophen entweder vermeidet, und wenn das nicht möglich ist, durch vorbeugende Maßnahmen zumindest soweit abmildern kann, sodass selbst bei Eintritt eines Extremereignisses nicht mehr von einer großen Naturkatastrophe die Rede sein kann.

Es sind keineswegs die extrem kostenträchtigen und kaum wirksamen Maßnahmen gegen CO2-Emissionen, welche der Vorsorge gegen große Naturkatastrophen dienen. Es sind einfache und direkt wirksame Maßnahmen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Die Kölner Altstadt wird durch mobile Schutzwände gegen Überschwemmungen des Rheins geschützt. Die Kosten betragen nur einen Bruchteil der sonst möglichen Schäden. Gegen Tsunamis kann man Warn- und Kommunikationssysteme aufbauen: Es braucht keine Hunderttausende Tote zu geben. In Bangladesh dienen Betonschutzbauten auf Stelzen zur Vorsorge gegen Killer-Zyklonen. Die Einhaltung und Kontrolle spezieller Bauvorschriften verhindert ein Erdbebeninferno. Ein gutes Warnsystem kann dafür sorgen, dass wertvolle bewegliche Gegenstände vor einem drohenden Extremereignis in Sicherheit gebracht werden. Mögliche Schäden an unbeweglichen Gütern brauchen deshalb nicht zum völligen Ruin des Geschädigten zu führen.

Die Klimamärchen des Weltklimarats haben uns lange den Blick getrübt für wirklich sinnvolle Vorsorgemaßnahmen gegen große Naturkatastrophen. Berz öffnet uns mit seinem Buch die Augen und zählt auf, wie wir zwar nicht Extremereignisse, aber doch große Naturkatastrophen mit relativ einfachen und wirksamen Mitteln weitgehend verhindern können. – Klaus-Dieter Sedlacek – Bild: Flut cc-by-sa Joy Garnett (archive)(flickr)