20.03.2019 09:56
CRISPR/Cas-Bibliotheken eröffnen neue Chancen für die Krebsforschung
Innovative Methode führte zur Gründung des Start-up Vivlion GmbH
FRANKFURT. Die „CRISPR/Cas“-Technologie ermöglicht es, Gene gezielt auszuschalten, indem sie DNA an vorab festgelegten Stellen schneidet. Dazu versieht man das Cas-Enzym mit einer Art genetischer Postleitzahl. Mit einer ganzen Bibliothek solcher Postleitzahlen wäre es möglich, in einem einzigen Experiment viele Bereiche der Erbsubstanz parallel prüfen, um beispielsweise festzustellen, welche Gene für das Überleben von Krebszellen wichtig sind. Das könnte die Suche nach neuen Medikamenten revolutionieren.
Leider ist es jedoch schwierig, Bibliotheken herzustellen, die alle für die verschiedenen Zielorte benötigten Postleitzahlen beinhalten. Forschern der Goethe-Universität ist es nun gelungen, dieses Problem zu lösen. Wie Dr. Manuel Kaulich im Fachjournal „eLife“ berichtet, hat er gemeinsam mit Kollegen eine Methode gefunden, mit der sich Bibliotheken in allen Größenordnungen zuverlässig herstellen lassen. „Mit der 3Cs-Technologie ist es uns gelungen, erstmals eine Bibliothek anzufertigen, mit der man das ganze Genom gleichzeitig untersuchen kann – also auch die Regionen außerhalb von Genen. Insgesamt enthält unsere Bibliothek 16,5 Millionen einzigartige Zieladressen“, berichtet Kaulich, der am Institut für Biochemie II eine unabhängige Forschungsgruppe leitet.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Die nach dieser Methode produzierten CRISPR/Cas-Reagenzien können zum Beispiel dazu verwendet werden, nach den Gründen für die bei Krebstherapien immer wieder auftretenden Resistenzen gegen Chemotherapeutika zu fahnden. Das ist insbesondere deshalb so spannend, weil in den 98 Prozent unserer DNA, die keine Gene enthalten, zahlreiche wichtige Steuerelemente vermutet werden.
Die Idee zu 3Cs-Methode kam Manuel Kaulich gemeinsam mit Dr. Andreas Ernst, der seinerzeit ebenfalls Gruppenleiter am Institut für Biochemie II war. „Wir haben uns über unsere Fachgebiete unterhalten, die methodisch recht verschieden sind, und plötzlich war da dieser zündende Funke, wie man die Vorteile des einen mit dem anderen verbinden könnte“, so Kaulich und Ernst.
Seither hat Manuel Kaulich zahlreiche weitere Kooperationen etabliert, zum Beispiel mit Dr. Anja Bremm, ebenfalls Gruppenleiterin am Institut für Biochemie II, um die biologische Relevanz einer bestimmten Proteinklasse zu untersuchen. Gemeinsam mit Institutsdirektor Prof. Ivan Dikic hat er das „Frankfurt CRISPR/Cas Screening Center“ (FCSC) eingerichtet, das die Technologie für die Erforschung unbekannter zellulärer Funktionen breit anwendbar machen soll. Ivan Dikic kommentiert: “Diese spannende Entdeckung ist auch der Kultur an unserem Institut zu verdanken, die in besonderem Maße die Kreativität, neue Ideen und Kooperationen zwischen Gruppen beflügelt.”
Inzwischen hat die Goethe-Universität über Ihre Technologietransfer-Tochter Innovectis die zündende Idee zum Patent angemeldet. Sie bildet die Grundlage für das ausgegründete Start-up Unternehmen Vivlion GmbH, das kürzlich unter Beteiligung der Goethe-Universität von drei Mitarbeitern des Instituts für Biochemie II gegründet wurde. Dazu Vizepräsident Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz: „Dies ist ein Meilenstein für die Goethe-Universität: Vivlion ist das erste Start-Up, das unter Beteiligung von Mitarbeitern der Goethe-Universität gegründet wurde.“
Den Weg hatte ebenfalls die Innovectis geebnet. Geschäftsführer Martin Raditsch: „Die erfolgreiche Ausgründung der Vivlion GmbH aus der Goethe-Universität freut mich sehr, denn hier treffen eine vielversprechende Technologie aus einer hervorragenden Arbeitsgruppe mit einem perfekt aufgestellten Gründer-Team zusammen.“ Das Unternehmen wird in den nächsten Monaten die ersten 3Cs-Reagenzien auf den Markt bringen.
Publikation: Wegner M, Diehl V, Bittl V, de Bruyn R, Wiechmann S, Matthes Y, Hebel M, Hayes MG, Schaubeck S, Benner C, Heinz S, Bremm A, Dikic I, Ernst A, Kaulich M. Circular synthesized CRISPR/Cas gRNAs for functional interrogations in the coding and noncoding genome. Elife. 2019 Mar 6;8. pii: e42549.
doi: 10.7554/eLife.42549. https://elifesciences.org/articles/42549
Ein Bild zum Download finden Sie unter: http://www.uni-frankfurt.de/76899967
Bildtext: Das Team von Manuel Kaulich (2.v.l.) im Labor.
Foto: Uwe Dettmar
Informationen: Dr. Kerstin Koch, Institut für Biochemie II, Universitätsklinikum, Tel.: (069) 6301 84250, k.koch@em.uni-frankfurt.de
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist sie Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main.
Aktuelle Nachrichten aus Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft in GOETHE-UNI online (www.aktuelles.uni-frankfurt.de)
Die Innovectis GmbH wurde 2000 als Tochterunternehmen der Goethe-Universität Frankfurt gegründet und agiert seitdem erfolgreich als Dienstleister beim Transfer von akademischem Know-how in die wirtschaftliche Praxis. Das besondere Geschäftsmodell der Innovectis ermöglicht Wissenschaftlern und Unternehmen einen unbürokratischen und praxisgerechten Wissens- und Technologietransfer. So finden zahlreiche Fragestellungen aus der industriellen Forschung und Lehre eine Lösung durch die fachliche Expertise von Wissenschaftlern der Goethe-Universität. www.innovectis.de/
Herausgeberin: Die Präsidentin
Redaktion: Dr. Anne Hardy, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Theodor-W.-Adorno-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main, Tel: (069) 798-12498, Fax: (069) 798-763 12531, hardy@pvw.uni-frankfurt.de
Internet: www.uni-frankfurt.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Kerstin Koch, Institut für Biochemie II, Universitätsklinikum, Tel.: (069) 6301 84250, k.koch@em.uni-frankfurt.de
Originalpublikation:
Wegner M, Diehl V, Bittl V, de Bruyn R, Wiechmann S, Matthes Y, Hebel M, Hayes MG, Schaubeck S, Benner C, Heinz S, Bremm A, Dikic I, Ernst A, Kaulich M. Circular synthesized CRISPR/Cas gRNAs for functional interrogations in the coding and noncoding genome. Elife. 2019 Mar 6;8. pii: e42549.
doi: 10.7554/eLife.42549. https://elifesciences.org/articles/42549
Ergänzung vom 20.03.2019
Die Bildunterschrift gibt fälschlicherweise an, dass Manuel Kalulich der 2. von links ist. Er ist 2. von rechts.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch