20.06.2022 11:22
Darmflora freilebender Assammakaken wird im Alter einzigartiger
Der Prozess ist vermutlich Teil des natürlichen Alterns und nicht auf eine veränderte Lebensweise zurückzuführen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Göttingen, 19. Juni 2022. Die Bakterien im Darm sind entscheidend für unsere Gesundheit. Sie tragen dazu bei, dass sich ein effektives Immunsystem entwickelt und wehren Krankheitserreger ab. Wenn sich jedoch schädliche Darmbakterien vermehren oder nützliche verloren gehen, bekommt man gesundheitliche Probleme. Auch bei jedem gesunden Menschen verändert sich im hohen Alter die Gemeinschaft der Bakterien im Darm. Entzündungshemmende Bakterien werden seltener, dafür kommen Arten hinzu, die mit entzündlichen Prozessen verknüpft sind. Bei jedem Individuum entsteht so altersbedingt eine zunehmend einzigartige Gemeinschaft verschiedener Darmbakterien. Bisher wurde angenommen, dass unsere moderne Lebensweise diese Veränderungen im Laufe des Lebens verursacht, es sich also um ein rein menschliches Phänomen handelt. Der Umzug in ein Pflegeheim, Veränderungen in der Ernährung, damit einhergehende metabolische Erkrankungen und der Einsatz von Medikamenten galten als verantwortlich für eine zunehmend einzigartige Darmflora im Alter. Dass es sich hier nicht um eine lebensstilbedingte Entwicklung handelt, haben Wissenschaftler*innen der Forschungsgruppe Soziale Evolution der Primaten am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung und der Abteilung Verhaltensökologie der Universität Göttingen in einer Kooperation mit der Abteilung Genomische und Angewandte Mikrobiologie nun bei freilebenden Assammakaken entdeckt. Da eine zunehmend individuelle Zusammensetzung der Darmflora im Alter nach diesen Forschungsergebnissen nicht auf den Menschen beschränkt ist, ist es wahrscheinlich, dass der dahinter liegende Prozess evolutionär entstanden ist (Microbiome).
Ein halbes Jahr hat Promotionsstudent Baptiste Sadoughi im Rahmen des „Phu Khieo Macaque Project“ im thailändischen Regenwald verbracht. Schon aus der Ferne konnte Sadoughi die Affen an der Fellfärbung, einem hinkenden Gang oder einem kurzen Schwanz auseinanderhalten. Assammakaken erreichen ein hohes Alter von über 20 Jahren und haben mit ganz ähnlichen Altersproblemen zu kämpfen wie wir: Schnell laufen wird mühsam, die Zähne fallen aus, und sie sind weniger sozial vernetzt als jüngere Artgenossen. Sadoughi und seine Kolleg*innen untersuchten die Zusammensetzung der Bakterien in den Kotproben von 51 Weibchen zwischen sechs und 26 Jahren auf alterstypische Muster und individuelle Unterschiede. Zusätzlich beobachteten die Wissenschaftler*innen das Verhalten der Affen, um herauszufinden, ob kontaktfreudigere Individuen mehr Bakterien austauschten und daher eine einheitlichere Darmflora hatten als sozial isoliertere Tiere.
Überraschend individuell
„Wir haben einen eindeutigen Trend entdeckt, dass die Bakterien-Gemeinschaft im Darm mit dem Alter immer einzigartiger wird“, sagt Sadoughi. „Dieses Ergebnis hat mich sehr überrascht, denn die Weibchen bleiben ihr Leben lang in einer Gruppe und fressen, was der Wald ihnen bietet, egal ob jung oder alt.“ Dass ältere Assammakaken wie eine „Insel“ zunehmend einzigartige Bakteriengemeinschaften beherbergen, lässt sich also nicht hinreichend durch eine veränderte Ernährung oder Individualisierung im Alter erklären.
Weniger Kontakt erklärt nicht individuellere Darmflora
Die Darmflora zweier Individuen gleicht sich an, wenn sie über einen längeren Zeitraum engen körperlichen Kontakt haben und so Bakterien untereinander austauschen. Makaken zeigen ihre Zuneigung durch gegenseitige Fellpflege, bei der sie mit dem Mund und den Händen das Fell von Gruppenmitgliedern nach potenziellem Schmutz und Parasiten durchkämmen. Frühere Studien haben gezeigt, dass Makaken mit dem Alter weniger Zeit in die soziale Fellpflege verschiedener Gruppenmitglieder investieren. Daher prüften die Autor*innen, ob eine isoliertere Bakteriengemeinschaft im Alter mit weniger Fellpflege zusammenhing. Ein geringeres Engagement bei der Fellpflege bot jedoch bei den untersuchten Weibchen keine ausreichende Erklärung für eine einzigartigere Darmflora. Durch eine kombinierte Analyse der Kotproben und Verhaltensdaten zum Sozialverhalten konnten die Wissenschaftler*innen diese Vermutung ausschließen.
Ein altes Erbe lässt den Darm altern
Das Forschungsteam kam zu dem Schluss, dass die Veränderung der Darmflora vermutlich Teil des genetisch bedingten, natürlichen Alterungsprozesses ist. „Eine altersbedingte Veränderung der Darmflora hat sich wahrscheinlich vor Millionen von Jahren im Laufe der Evolution bei einem gemeinsamen Vorfahren von Makak und Mensch entwickelt“, sagt Julia Ostner, Leiterin der Forschungsgruppe Soziale Evolution der Primaten am DPZ und der Abteilung Verhaltensökologie an der Universität Göttingen. „Das würde bedeuten, dass auch die individuelle Darmflora älterer Menschen nicht auf unseren Lebensstil zurückzuführen ist, sondern weit in die biologische Geschichte des Menschen zurückreicht.“ Dieser Hintergrund könnte dazu beitragen, neue Therapien bei Darmerkrankungen und entzündlichen Zuständen zu entwickeln, welche die Besonderheiten des Individuums berücksichtigen. Besonders ältere Menschen könnten maßgeblich von einer auf diese Weise personalisierten Medizin profitieren.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Baptiste Sadoughi
Tel.: +33 (0) 667 84 73 99
Email: bsadoug@uni-goettingen.de
Prof. Dr. Julia Ostner
Tel.: +49 (0) 551 3933-925
Email: JOstner@dpz.eu
Originalpublikation:
Sadoughi B., Schneider D., Daniel R. et al. Aging gut microbiota of wild macaques are equally diverse, less stable, but progressively personalized. Microbiome 10, 95 (2022). https://doi.org/10.1186/s40168-022-01283-2
Weitere Informationen:
http://Die Deutsches Primatenzentrum GmbH (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung betreibt biologische und biomedizinische Forschung über und mit Primaten auf den Gebieten der Infektionsforschung, der Neurowissenschaften und der Primatenbiologie. Das DPZ unterhält außerdem vier Freilandstationen in den Tropen und ist Referenz- und Servicezentrum für alle Belange der Primatenforschung. Das DPZ ist eine der 97 Forschungs- und Infrastruktureinrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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