16.06.2022 20:00
Die Vielfalt der Zentrosome: Neue Hinweise für neurologische Erkrankungen
Die international renommierte Neurobiologin Magdalena Götz verfolgt mit ihrer Forschung wichtige Spuren für die Ursachenklärung neurologischer Erkrankungen. Nun hat sie mit ihrem Team bei Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München neue Erkenntnisse über das menschliche Zentrosom gesammelt, dessen Fehlfunktion mit vielen neurologischen Entwicklungsstörungen in Verbindung steht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Die international renommierte Neurobiologin Magdalena Götz verfolgt mit ihrer Forschung wichtige Spuren für die Ursachenklärung neurologischer Erkrankungen. Nun hat sie mit ihrem Team bei Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München neue Erkenntnisse über das menschliche Zentrosom gesammelt, dessen Fehlfunktion mit vielen neurologischen Entwicklungsstörungen in Verbindung steht.
Als zentrales Zellorganell ist das Zentrosom unter anderem für die Organisation des Zellskeletts währen der Zellteilung zuständig. Damit erfüllt es eine wesentliche Funktion in verschiedenen Organsimen — von der Hefe bis zum Menschen. Bisher ging man davon aus, dass das Zentrosom aufgrund seiner allgemeinen Aufgaben in allen Zellen sehr ähnlich ist. Magdalena Götz und ihre Forschungsgruppe überprüften diese Annahme bei Neuronen und ihren Entwicklungsvorläufern, den sogenannten neuronalen Stammzellen. „Es gibt so vieles, was wir über diese Zellen noch nicht wissen“, sagt Magdalena Götz. „Dazu zählt unter anderem, wie das Zentrosom in Neuronen im Vergleich zu neuralen Stammzellen und anderen Zelltypen beschaffen ist.“ Ihre weiteren Entdeckungen stellen nun die Annahme, dass alle Zentrosomen gleich sind, grundlegend in Frage.
Zentrosome unterscheiden sich zwischen den Zellen mehr als gedacht
In enger Zusammenarbeit mit der Helmholtz Munich Proteomic Core Facility unter Leitung von Stefanie Hauck fanden die Forschenden heraus, dass die Zusammensetzung der Proteine in Zentrosomen je nach Zelltyp stark variiert. „Überrascht hat uns nicht nur die unbekannt große Heterogenität der untersuchten Zentrosome, sondern auch, dass wir an ihnen teilweise unerwartete Proteine entdeckt haben – zum Beispiel viele RNA-bindende Proteine und sogar Proteine, die für das Splicing (also die Verarbeitung von RNA), verantwortlich sind, ein Vorgang der normalerweise im Zellkern stattfindet“, so Götz.
Ort der zentrosom-assoziierten Proteine ist für Krankheit entscheidend
Die Wissenschaftler:innen fanden beispielsweise heraus, dass ein spezielles Protein (das ubiquitäre Splicing Protein PRPF6) nur in neuralen Stammzellen, nicht aber in Neuronen, am Zentrosom angereichert ist. Eine Mutation des Proteins, die in Patient:innen mit der Hirnfehlbildung Periventrikuläre Heterotopie gefunden wurde, führt auch im Tiermodell zu einem solchen ähnlichen Phänotyp. Für Magdalena Götz bedeutet das: „Der Ort, an dem sich ein Protein befindet, ist entscheidend für eine Krankheit. Mit unserer Zentrosom-Analyse haben wir eine wichtige Ressource geschaffen, um weitere Assoziationen mit neuronalen Krankheiten zu prüfen. Insbesondere kann unsere Forschung zum ersten Mal erklären, warum ein Protein, das in allen Körperzellen vorhanden ist, nach Mutation nur einen Phänotyp im Gehirn, aber nicht in anderen Organen auslöst. Dies erlaubt uns nun, den Mechanismen weiterer Krankheiten auf die Spur, und somit auch deren Behandlung einen Schritt näher zu kommen.“
Zu den Personen
Prof. Magdalena Götz ist seit 2004 Direktorin bei Helmholtz Munich, wo sie das Institut für Stammzellforschung leitet. Sie hat außerdem den Lehrstuhl für Physiologische Genomik an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. In 2019 erhielt sie für ihre Forschungserfolge die Mendel-Medaille der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Die aktuelle Studie führte sie unter anderem gemeinsam mit den Erstautor:innen Adam C. O’Neill, Fatma Uzbas, Giulia Antognolli und Florencia Merino durch.
Über Helmholtz Munich
Helmholtz Munich ist ein biomedizinisches Spitzenforschungszentrum. Seine Mission ist, bahnbrechende Lösungen für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Interdisziplinäre Forschungsteams fokussieren umweltbedingte Krankheiten, insbesondere die Therapie und die Prävention von Diabetes, Adipositas, Allergien und chronischen Lungenerkrankungen. Mittels künstlicher Intelligenz und Bioengineering transferieren die Forschenden ihre Erkenntnisse schneller zu den Patient:innen. Helmholtz Munich zählt mehr als 2.500 Mitarbeitende und hat seinen Sitz in München/Neuherberg. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, mit mehr als 43.000 Mitarbeitenden und 18 Forschungszentren die größte Wissenschaftsorganisation in Deutschland. Mehr über Helmholtz Munich (Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)): www.helmholtz-munich.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Magdalena Götz
Helmholtz Munich
Email:magdalena.goetz@helmholtz-munich.de
Originalpublikation:
O’Neill, Uzbas, Antognolli, Merino et al., 2022: Spatial centrosome proteome of human neural cells uncovers disease-relevant heterogeneity. Science, DOI: 10.1126/science.abf9088.
https://doi.org/10.1126/science.abf9088
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch