Ein Dutzend Bakterien reicht zur Reifung des Darms



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29.09.2022 08:32

Ein Dutzend Bakterien reicht zur Reifung des Darms

Zur Sanierung braucht es einen Anstoß von außen: Ein paar wenige Bakterien reichen aus, um eine Reifung des Immunsystems und den Umbau des Darmgewebes einzuleiten, was zur Beseitigung von Krankheitserregern führt. Das hat ein Forschungsteam um den Marburger Immunologen Professor Dr. Ulrich Steinhoff herausgefunden, indem es Bakteriengemeinschaften im Mäusedarm untersuchte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten in der Fachzeitschrift „Microbiome“ über ihre Ergebnisse.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Bakterien besiedeln zu Hunderttausenden den Darm. Ganz überwiegend sind sie harmlos, ja sie helfen sogar, zum Beispiel bei der Verdauung. Aber nicht nur das: „Eine gesunde Bakterienmischung trägt erheblich dazu bei, dass der Verdauungstrakt sich richtig entwickelt und das Immunsystem der Darmschleimhaut reift“, betont Ulrich Steinhoff, der die aktuelle Studie leitete.

Für die Zeit von der Geburt bis zur Entwöhnung von der Mutterbrust ist gut belegt, dass Mikroben eine gesunde Entwicklung befördern. „Wie Bakterien hingegen den Körper und das Immunsystem von Erwachsenen beeinflussen, weiß man längst nicht so genau“, erklärt Erstautorin Dr. Rossana Romero, die ihre Doktorarbeit in Steinhoffs Labor anfertigte.

„Fehlen die Bakterien, so hat das starke Auswirkungen auf das Immunsystem der Schleimhäute“, führt Steinhoff aus. Die Forschungsgruppe untersuchte daher keimfreie Mäuse, die keinerlei Bakterien beherbergen – bis auf einen Krankheitserreger im Darm, nämlich den Nagerschädling Citrobacter rodentium, der den Darm befällt, aber keine Krankheitssymptome hervorruft.

„Während Mäuse mit normaler Darmflora den Erreger schnell beseitigen, bleibt dieser in keimfreien Tieren deren ganzes Leben lang erhalten“, berichtet der Immunologe. „Dabei wird die krankmachende Wirkung von Citrobacter unterdrückt.“ Man spricht hierbei von symptomfreien Überträgern.

„Dieses Phänomen kennt man auch vom Menschen“, weiß der Marburger Hochschullehrer zu berichten: „Es gibt Personen, die Krankheitsserreger in sich tragen und andere anstecken, ohne selbst zu wissen, dass Sie infiziert sind.“ Woran das liegt, war bislang unbekannt.

Das Team verbreichte den Versuchstieren einen Cocktail von 14 ausgewählten Bakterien. „Die Mäuse bauen daraufhin eine Immunabwehr auf, die zur vollständigen Beseitigung des Krankheitserregers führt“, legt Romero dar.

Die Mikroben regen unter anderem das Wachstum von Gefäßen im Darmgewebe an. Dadurch wandern spezialisierte Immunzellen verstärkt in den Darm ein. Andere Stämme aus dem verabreichten Bakterienmix konkurrieren mit Citrobacter um dieselben Nährstoffe.
„Offenbar besitzen symptomfreie Überträger einen unvollständig ausgebildeten Darm, dessen unterentwickelte Blutgefäße es nicht erlauben, Immunzellen an den Ort der Infektion im Darminneren zu befördern“, erläutert Steinhoff. „Wir waren sehr erstaunt, dass 14 harmlose Bakterien ausreichen, um bei ausgewachsenen Tieren die Reifung des Dickdarms herbeizuführen.“

Bakteriengemeinschaften haben sich schon bei verschiedenen Krankheiten als heilsam erwiesen, etwa bei chronischen Entzündungen, geben die Autorinnen und Autoren zu bedenken. „Daher glauben wir, dass die von uns beobachteten Effekte nicht ausschließlich auf den hier verwendeten Bakterienmix beschränkt sind.“ Wie diese Mikroben wirken, müsse in den molekularen Details jedoch noch eingehend erforscht werden.

Professor Dr. Ulrich Steinhoff leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Philipps-Universität Marburg. Neben zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Bereichen der Philipps-Universität beteiligten sich die Universität Mainz, das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie sowie die Firma Medgenome aus den USA an der Forschung, die der Publikation zugrunde liegt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die „Von Behring-Röntgen-Stiftung“ sowie die Jürgen-Manchot-Stiftung förderten die wissenschaftliche Arbeit finanziell.

Originalveröffentlichung: Rossana Romero & al.: Selected commensals educate the intestinal vascular – and immune system for immuno-competence, Microbiome 2022

Erklärvideo (auf Englisch): http://www.wibbitz.com/watch/b83cab0836f1b4c9fbf3597d59024a2bf/?cl=#7f8790&cl4=#15324e&lg=8132e369779d4f878702ab25f531c8cf&type=produced

Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Ulrich Steinhoff,
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene
Tel.: 06421 28-66134
E-Mail: ulrich.steinhoff@staff.uni-marburg.de


Bilder

Das Forschungsteam um Professor Dr. Ulrich Steinhoff erzeugte mikroskopische Bilder von den Gefäßen der Darmwand, um zu analysieren, wie sich deren dreidimensionales Geflecht entwickelt, wenn ausgewählte Bakterien den Verdauungstrakt besiedeln.

Das Forschungsteam um Professor Dr. Ulrich Steinhoff erzeugte mikroskopische Bilder von den Gefäßen
Abbildung: Milteny Biotech
Das Bild darf nur für die Berichterstattung über die zugehörige wissenschaftliche Veröffentlichung verwendet werden.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW