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05.12.2022 22:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Flexibler als gedacht: Würmer ermöglichen uns neue Einsichten in Evolution und Vielfalt des TGF-ß Signalwegs
Der TGF-ß-Signalweg ist für viele Zellfunktionen in Organismen von zentraler Bedeutung. Zudem spielt er eine Rolle bei Erkrankungen des Immunsystems und bei Krebs. Forschende des MPINB sowie des MPI für Biologie verglichen diesen zellulären Signalweg zwischen Fadenwurmarten, die ihnen als Modellorganismen dienen. Sie entdeckten eine unbekannte genetische Vielfalt, die sich auf Form und Verhalten der Tiere auswirkt. Dieser frische Blick auf die TGF-ß-Maschinerie ist wichtig, um Evolution, Anpassungsfähigkeit und neue Funktionen von Signalwegen zu verstehen. Auch helfen die Erkenntnisse, veröffentlicht in Molecular Biology and Evolution, neue Strategien gegen parasitische Würmer zu entwickeln.
Was haben Menschen mit Fadenwürmern gemeinsam? Da es sich in beiden Fällen um mehrzellige Organismen handelt, eine ganze Menge. Nicht nur die Organsysteme ähneln sich, auch das, was wir von den Fadenwürmern über die Funktion von Genen lernen, kann oft auf die menschliche Entwicklung und auf Erkrankungen übertragen werden. Am gründlichsten erforscht ist die Fadenwurm-Art Caenorhabditis elegans. Eine der vielen Fragestellungen, die Wissenschaftler*innen an dieser Modellart untersuchen, ist die zelluläre Signalübertragung, also die Art und Weise, wie Moleküle zusammenarbeiten und die Funktion einer Zelle steuern.
Ein hierbei sehr wichtiger Botenstoff ist der multifunktionale Wachstumsfaktor TGF-ß, der in die Gruppe der Zytokine fällt. Er wird von vielen unterschiedlichen Zelltypen ausgeschüttet, sowohl bei Wirbeltieren als auch bei Wirbellosen. Durch sein komplexes Signalnetzwerk reguliert TGF-ß die Genexpression und spielt während des gesamten Lebens eines Tieres eine entscheidende Rolle für Entwicklung, Alterung, Stoffwechsel und Immunität. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Fehlfunktion von Signalwegen zwischen Zellen zu schweren Krankheiten wie rheumatischen oder kardiovaskulären Erkrankungen oder auch Krebs führen kann. Wirkstoffe, die hier eingreifen, wie beispielsweise sogenannte TGF-ß-Inhibitoren, werden bereits als Therapeutika eingesetzt. Erst kürzlich wurde entdeckt, dass TGF-ß auch bei einigen schweren COVID-19-Infektionen eine entscheidende Rolle spielt, bei denen sich eine chronische Immunreaktion entwickelt, die sich nicht mehr gegen das Virus selbst, sondern gegen den eigenen Körper des Erkrankten richtet.
Bemerkenswerte Variabilität in Verhalten und Morphologie
Forschende des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie des Verhaltens – caesar (MPINB) in Bonn, des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen und der California State University haben nun neue Erkenntnisse über Evolution und Funktion der TGF-ß-Signalübertragung gewonnen. Sie identifizierten und verglichen zunächst die Erbinformationen des Zytokins TGF-ß von neun verschiedenen Fadenwurmarten und stellten dabei überraschende Unterschiede in der Anzahl der Gene zwischen den einzelnen Arten fest. Dann konzentrierte sich das Team auf die Art Pristionchus pacificus, die, verglichen mit den anderen Arten, besonders viele Unterschiede in der Anzahl der TGF-ß-Gene aufwies. Durch gezielte Mutationen mit Hilfe von genetischen Werkzeugen wie der CRISPR/Cas9-Technologie fanden die Forschenden zudem heraus, dass es viele unerwartete Funktionsänderungen bei P. pacificus im Vergleich zu C. elegans gab. Der so genannte DBL-1-Signalweg, der die Gestalt und Form des Körpers reguliert, scheint beispielsweise sehr konserviert zu sein, während die Funktion des so genannten DAF-7-Signalwegs eine auffallende Veränderlichkeit aufwies. Hierzu zählen unter anderem wichtige Unterschiede in der Entwicklung, in der Wahrnehmung von Umweltreizen und im Verhalten der beiden Wurmarten.
Darüber hinaus hatte der TGF-ß-Signalweg einen entscheidenden Einfluss auf wichtige Erscheinungsformen bei P. pacificus. Während sich C. elegans nur von Bakterien ernährt, ist P. pacificus ein Allesfresser und verschont auch andere Nematodenlarven nicht. Die eigenen Nachkommen werden dank eines speziellen Erkennungssystems jedoch nicht angerührt. Die hier vorgestellte Studie zeigte, dass die TGF-ß-Signalübertragung bei P. pacificus zum einen einen wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung der Mundstrukturen und zum anderen auf die Ausprägung eines wichtigen Verwandtschaftssignals hat.
“Unsere Ergebnisse zeigen eine bisher unbekannte und überraschende Flexibilität des TGF-ß-Signalweges bei Nematoden. Um wirklich zu verstehen, wie diese Netzwerke von Steuerungsimpulsen die Verhaltensunterschiede zwischen den Arten und komplexe Merkmale regulieren, müssen wir über den Tellerrand schauen und auch weniger typische Modellarten untersuchen.” sagt Dr. James Lightfoot, der die Forschungsgruppe “Genetik des Verhaltens” am Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens – caesar leitet.
Neue Einblicke zur Bekämpfung von schädlichen Parasiten
Infektionen mit parasitären Würmern sind eine weltweite Bedrohung für die Gesundheit von Menschen und Tieren. Die Wirkung der verfügbaren Therapeutika, der sogenannten Anthelminthika, ist von zunehmenden Resistenzen bedroht. Freilebende Fadenwürmer wie C. elegans und P. pacificus können wichtige Erkenntnisse zum Verständnis ihrer parasitären Verwandten liefern, da sie viele Ähnlichkeiten mit ihnen aufweisen. Diese freilebenden Arten sind in der Lage, unter ungünstigen Bedingungen in das sogenannte „Dauer“-Larvenstadium einzutreten, ein alternatives, langlebiges und stressresistentes Entwicklungsstadium, welches viele Ähnlichkeiten mit den infektiösen Larven parasitärer Fadenwürmer aufweist. Das „Dauer“-Stadium von C. elegans ist daher Gegenstand der Forschung zu Parasiten und es ist bekannt, dass TGF-ß-Signale eine entscheidende Rolle für den Übergang in dieses Larvenstadium spielen. “Bei P. pacificus haben wir diesen Effekt nicht gefunden. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der bei C. elegans beobachtete Mechanismus bei anderen Nematoden nicht zwangsläufig der gleiche ist”, sagt Dr. James Lightfoot.
Das Verständnis der bisher unbekannten Variabilität zwischen verschiedenen Nematoden-Arten ist daher für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze gegen schädliche Parasiten von großer Bedeutung.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. James Lightfoot, MPINB, james.lightfoot@mpinb.mpg.de; Prof. Dr. Ralf J. Sommer, ralf.sommer@tuebingen.mpg.de
Originalpublikation:
10.1093/molbev/msac252
Weitere Informationen:
https://mpinb.mpg.de/de/forschungsgruppen/forschungsgruppen/genetik-des-verhalte…
Bilder
Schematische Darstellung der Funktionen des TGF-ß Signalwegs bei den zwei Fadenwurm-Arten C. elegans …
MPINB
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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