23.10.2019 20:00
Genmutation verantwortlich für Trennung der Gehirnhälften
Molekularer Brückenschlag zum Informationsaustausch zwischen “links und rechts” entschlüsselt
Eine Genmutation ist dafür verantwortlich, dass die beiden Gehirnhälften von Fruchtfliegen getrennt bleiben und der Informationsaustausch zwischen rechter und linker Gehirnhälfte nicht funktioniert. Das hat eine Arbeitsgruppe um Rashmit Kaur und Thomas Hummel vom Department für Neurobiologie der Universität Wien in einer aktuellen Studie herausgefunden.
Eigentlich haben wir zwei Gehirne in unserem Kopf, jeweils eines auf der rechten und eines auf der linken Seite. Diese beiden strukturell identischen Gehirnhälften arbeiten aber so eng zusammen, dass neuronale Information nicht nur im gesamten Gehirn repräsentiert ist, sondern auch in unterschiedlicher Weise in den beiden Hälften analysiert werden kann.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Entscheidend für diesen raschen bilateralen Datentransfer sind hunderte Millionen von Nervenverbindungen, die in dicken Kabeln – den sogenannten Kommissuren – die beiden Gehirnhälften verbinden. Viele neuronale Erkrankungen des Menschen gehen auf eine geringere Ausbildung oder gar den Verlust dieser Kommissuren zurück. Die zellulären und molekularen Ursachen hierfür sind aber weitgehend unbekannt.
Die Arbeitsgruppe um Thomas Hummel am Department für Neurobiologie der Universität Wien nutzt die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, um die genetische Regulation der Gehirnentwicklung besser zu verstehen. Wie beim Menschen bilden sich auch bei Drosophila eine Vielzahl von Kommissuren zum Informationsaustausch zwischen rechter und linker Gehirnhälfte.
Brückenschlag zwischen Links und Rechts durch Gen möglich
Die ForscherInnen untersuchten die Funktion von verwandten Genen, die beim Menschen zu einer Störung der Kommissurenbildung führen und auch in der Entwicklung des Fliegengehirns von Bedeutung sind. “Mit modernen Analysemethoden zur gezielten Manipulation einzelner Nervenzellen konnten wir die Wirkungsweise des neuronalen Oberflächenproteins L1CAM klären. Mutationen in diesem Protein unterbrechen bei der Fliege das Wachstum der so genannten ‘Pionier’-Kommissuren, die eine erste zelluläre Brücke zwischen den beiden getrennten Gehirnhälften bilden”, erklärt Rashmit Kaur, die auch ihre Doktorarbeit diesem Thema gewidmet hat. Durch den Verlust der embryonalen Neuronenbrücke können auch alle nachfolgenden Kommissuren den “Sprung” auf die andere Gehirnseite nicht schaffen und beide Hemisphären bleiben in der Folge im erwachsenen Tier getrennt.
Besonders interessant war für die ForscherInnen, dass das menschliche L1CAM-Gen den kommissuralen Defekt im Fliegengehirn reparieren kann, was auf einen vergleichbaren Entwicklungsprozess bei Fliege und Mensch hindeutet. “Wir wollen nun in weiterführenden Studien versuchen, die genauen Veränderungen bei neuronalen Erkrankungen des Menschen besser zu verstehen und damit spannende Einblicke in die Evolution von einfachen zu komplexen Nervensystemen gewinnen”, so Thomas Hummel abschließend.
Publikation in Science Advances:
Pioneer interneurons instruct bilaterality in the Drosophila olfactory sensory map
R. Kaur; M. Surala; S. Hoger; N. Grössmann, A. Grimm; L. Timaeus; W. Kallina; T. Hummel
Doi: sciadv.aaw5537
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Thomas Hummel
Department für Neurobiologie
Universität Wien
1090 – Wien, Althanstraße 14
+43 1 4277 565 00
thomas.hummel@univie.ac.at
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Psychologie, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch