Lebensstilbedingte Erkrankungen: Deutliche Parallelen bei Mensch und Bär



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06.07.2023 13:18

Lebensstilbedingte Erkrankungen: Deutliche Parallelen bei Mensch und Bär

Ehemals in Gallefarmen gehaltene Bären zeigen ähnliche lebensstil-bedingte Pathologien, die auch für das beschleunigte und frühzeitige Altern beim Menschen verantwortlich gemacht werden. Das ist die zentrale Erkenntnis einer internationalen Studie unter Leitung der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Demnach gibt es bei Gallefarm-Bären deutliche Parallelen zu einer Reihe von Krankheiten beim Menschen – die hier wie dort durch die schädlichen Auswirkungen der Lebensbedingungen bedingt sind.

Für ihre Studie untersuchten die Forscher:innen die langfristigen Auswirkungen chronischer Entzündungen bei 42 asiatischen Schwarzbären (Ursus thibetanus), die aus vietnamesischen Gallefarmen gerettet wurden. Im Rahmen notwendiger medizinischer Eingriffe wurden die Bären mindestens zweimal unter Narkose untersucht und behandelt. Bei allen Bären wurde eine chronische, geringgradige, sterile oder bakterielle hepatobiliäre Entzündung zusammen mit anderen Erkrankungen diagnostiziert.

Erkenntnisse aus Untersuchungen geretteter Gallefarm-Bären als Modellbeispiel für lebensstilbedingte Erkrankungen des Menschen

„Chronische Entzündungen in Verbindung mit schlechter Haltung und chronischem Stress scheinen das Risiko für die Entwicklung degenerativer Krankheiten wie fettleibiger Sarkopenie (verminderte Muskelmaße und -kraft), chronischer Nierenerkrankung und beeinträchtigter Herz-Kreislauf-Funktion zu erhöhen. Diese Störungen sind ein Anzeichen beschleunigter Alterung. Der Phänotyp (Erscheinungsbild) von Gallefarm-Bären steht hier im deutlichen Gegensatz zum gesunden Phänotyp wilder Bären, die Winterschlaf halten“, so Studien-Erstautorin Szilvia K. Kalogeropoulu vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni.

Diese Erkenntnisse weisen weit über die untersuchten Tiere hinaus, wie Studien-Letztautorin (Supervisorin) Johanna Painer-Gigler vom FIWI erklärt: „Die pathologischen Parallelen zu entzündlichen und durch Immunseneszenz – also die Verschlechterung des Immunsystems – bedingten Zuständen beim Menschen lassen darauf schließen, dass die Erkenntnisse durch in Gallefarmen gehaltene Bären als Modellbeispiel zur Untersuchung der Pathophysiologie und der schädlichen Auswirkungen lebensstilbedingter Krankheiten dienen könnten. Dadurch kann man diese Pathologien aus einem weiteren Winkel betrachten und hoffentlich dadurch besser verstehen lernen.“

Biomimetik – inspiriert durch die Natur, nützlich für Tier und Mensch

Diesen Zusammenhang identifizierten die Forscher:innen mit einem biomimetischen Ansatz, also die Inspiration durch die Natur. Im medizinischen Kontext sind biomimetische Studien an Wildtieren nützlich, um Mechanismen zu identifizieren, die vor der altersbedingten Belastung durch Zivilisationskrankheiten schützen oder wie in dieser Studie gezeigt, die Anfälligkeit dafür erhöhen. Der bioinspirierte Ansatz kann neue Möglichkeiten für die Entwicklung von medizinischen Behandlungen und Arzneien für Mensch und Tier bieten. Man lernt aus der Natur, vergleicht verschiedene Erkenntnisse zwischen Tieren und Menschen und kreiert dabei Wissen, welches zudem nicht auf Tierversuchen, sondern der vergleichenden Medizin gestützt wird. So auch in der vorliegenden Studie: Überwinternde freilaufende Bären (gesunde Kontrollgruppe) dienten als Bioinspiration aufgrund ihrer Mechanismen, die sie vor der Belastung durch Lebensstilkrankheiten schützen, die sich beim Menschen mit zunehmendem Alter häufen. Dazu zählen neben Muskelschwund u. a. auch Osteoporose, Gefäßerkrankungen und chronische Nierenerkrankungen.

Der Winterschlaf als evolutionäre Anpassung hat Bären im Allgemeinen widerstandsfähiger gegen Organschäden und Stoffwechselstörungen gemacht. Nicht so jedoch ihre in Gallefarmen gehaltenen Artgenossen, die unter stark suboptimalen Haltungs- und unnatürlichen Lebensbedingungen, Erkrankungsbilder zeigen, wie sie auch vom Menschen, bei ungesundem Lebensstil, bekannt sind.

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Über die Veterinärmedizinische Universität Wien:
Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni) ist eine der führenden veterinärmedizinischen, akademischen Bildungs- und Forschungsstätten Europas. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Forschungsbereichen Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Tierhaltung und Tierschutz sowie den biomedizinischen Grundlagen. Die Vetmeduni beschäftigt 1.500 Mitarbeiter:innen und bildet zurzeit 2.500 Studierende aus. Der Campus in Wien Floridsdorf verfügt über fünf Universitätskliniken und zahlreiche Lehr- und Forschungseinrichtungen. Zwei Forschungsinstitute am Wiener Wilhelminenberg sowie ein Lehr- und Forschungsgut in Niederösterreich und eine Außenstelle in Tirol gehören ebenfalls zur Vetmeduni. Die Vetmeduni spielt in der globalen Top-Liga mit: Im weltweiten Shanghai-Hochschulranking 2022 belegte sie abermals einen Platz unter den ersten Zehn im Fach „Veterinary Science”. www.vetmeduni.ac.at


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Mag.med.vet. Johann Painer-Gigler PhD.
Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI)
Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni)
Johanna.Painer@Vetmeduni.ac.at


Originalpublikation:

Der Artikel „Formerly bile-farmed bears as a model of accelerated ageing“ von Szilvia K. Kalogeropoulu, Hanna Rauch-Schmücking, Emily J. Lloyd, Peter Stenvinkel, Paul G. Shiels, Richard J. Johnson, Ole Fröbert, Irene Redtenbacher, Iwan A. Burgener und Johanna Painer-Gigler wurde in „Scientific reports“ veröffentlicht. https://www.nature.com/articles/s41598-023-36447-z


Weitere Informationen:

https://www.vetmeduni.ac.at/universitaet/infoservice/presseinformationen/pressei…


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW