17.07.2019 19:22
Neue Studie identifiziert im Gehirn von MS-Patienten von der Multiplen Sklerose betroffene Zelltypen
Potenzieller Ansatzpunkt für neue, spezifische Therapien / Ergebnisse hochrangig in Nature publiziert / PD Dr. med. Lucas Schirmer Erstautor
Wissenschaftler haben entdeckt, dass bestimmte Zellen im Gehirn, die als „Projektionsneurone“ bezeichnet werden, eine zentrale Rolle bei den Gehirnveränderungen spielen, die mit der Multiplen Sklerose (MS) einhergehen. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass solche Projektionsneurone durch körpereigene Immunzellen geschädigt werden und diese Schädigung die mit der MS verbundene Schrumpfung des Gehirns wie auch damit einhergehende kognitive Veränderungen unterstützen könnte. Die neuen Erkenntnisse bieten interessante Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer, spezifischer Therapien für die Multiple Sklerose, die auf geschädigte Gehirnzellen abzielen.
Multiple Sklerose ist eine Erkrankung des Gehirns und des Rückenmarks, von der weltweit über zwei Millionen Menschen betroffen sind. Die möglichen Symptome von MS sind breit gefächert. Hierzu gehören beispielsweise Probleme mit dem Sehvermögen, der Bewegung und kognitiven Fähigkeiten. Frühere Forschungen hatten gezeigt, dass eine als Cortex bezeichnete Hirnregion bei MS-Patienten mit der Zeit schrumpft, ein Prozess, der als kortikale Atrophie bezeichnet wird. Bislang war jedoch unklar, welche Mechanismen diese kortikale Schrumpfung auslösen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
In einer neuen internationalen Studie, unter der Beteiligung der Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim, der University of Cambridge und der University of California in San Francisco, nutzten die Forscher Gehirnproben von verstorbenen MS-Patienten, um an diesen Proben eine Vielzahl von verschiedenen Zelltypen zu studieren, von denen vermutet wird, dass sie eine Rolle bei der Multiplen Sklerose spielen. Ihre an diesen Gehirnproben gewonnenen Ergebnisse verglichen sie mit denen von Menschen ohne MS.
“Wir wollten verstehen, warum einige Zellen anfälliger für Schäden bei der MS sind als andere und setzten dafür eine neue Methode, das Single-Nuclei RNA-Sequencing, ein. Wir können damit die genetische Ausstattung einzelner Gehirnzellen untersuchen”, führt Privatdozent Dr. Lucas Schirmer, leitender Wissenschaftler in diesem Projekt, aus. Der Neurologe forschte früher an der University of California in San Francisco und ist heute Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim (UMM). “Unsere Ergebnisse zeigen, dass die als Projektionsneuronen bezeichneten Nervenzellen besonders anfällig für Schäden im Gehirn von MS-Patienten sind.”
Projektionsneurone sind bei gesunden Menschen an der Informationsvermittlung zwischen verschiedenen Bereichen des Gehirns beteiligt. Es scheint daher wahrscheinlich, dass die Schädigung dieser Zellen die kognitiven Fähigkeiten bei MS-Patienten beeinträchtigen kann. Darüber hinaus erklärt der Verlust dieser bestimmten Zelltypen auch, warum das Gehirn von MS-Patienten mit der Zeit schrumpft – je mehr Zellen beschädigt werden und verloren gehen, desto weniger Platz nimmt das Gehirn ein.
Die Forscher konnten außerdem zeigen, dass Immunzellen im Gehirn von MS-Patienten auf Projektionsneuronen abzielten und die Zellen dabei stressten und schädigten. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Zelltherapien, die auf die Immunzellen abzielen, Projektionsneurone schützen und damit eine neuartige Behandlung für die progressive MS darstellen könnten“, sagt Professor David Rowitch, leitender Wissenschaftler an der University of Cambridge, der die Forschung koordiniert hat.
Dr. Dmitry Velmeshev und Professor Arnold Kriegstein von der University of California in San Francisco haben gemeinsam die Techniken entwickelt, mit denen der genetische Code in den einzelnen Gehirnzellen analysiert werden kann. “Diese neuen Techniken haben eine breite Anwendbarkeit für das Verständnis von neurologischen Entwicklungsstörungen und neurologischen Erkrankungen des Menschen”, sagt Professor Arnold Kriegstein.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
PD Dr. Lucas Schirmer
Neurologische Klinik
Universitätsmedizin Mannheim
Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim, Germany
Tel.: +49-621-383-3153
lucas.schirmer@medma.uni-heidelberg.de
Originalpublikation:
Neuronal vunerability and multilineage diversity in multiple sclerosis.
L. Schirmer, D. Velmeshev, S. Holmqvist, M. Kaufmann, S. Werneberg, D Jung, S. Vistnes, J. Stockley, A. Young, M. Steindel, B. Tung, N. Goyal, A. Bhaduri, S. Mayer, J. Broder Engler, O. Bayraktar, R. Franklin, M. Haeussler, R. Reynolds, D. Schafer, M. Friese, L. Shiow, A. Kriegstein and D. Rowitch is
published in Nature (accepted: 12 June 2019)
DOI: 10.1038/s41586-019-1404-z
Weitere Informationen:
https://youtu.be/7FyQ5yOEnnY Video-Statement von PD Dr. Schirmer
Anhang
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch