Neue Treibstoff-Quelle für die Krebsentstehung entdeckt



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11.09.2020 10:01

Neue Treibstoff-Quelle für die Krebsentstehung entdeckt

Ein ForscherInnenteam am IMBA – dem Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – zeigt, wie sich Gehirntumor-Zellen „nähren“, um unsterblich zu werden. Dabei verändern sie gezielt ihren Stoffwechsel, um die Sauerstoffzufuhr zu steigern, indem sie ihre „Zell-Kraftwerke“ verschmelzen lassen. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Cell veröffentlicht und bringen grundlegend neue Einblicke in die Krebsentstehung.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Krebs ist eine der häufigsten Todesursachen in unserer Gesellschaft, Tendenz steigend. Weltweit wird intensiv daran geforscht, wie und warum aus einer gesunden Körperzelle eine Krebszelle wird, in der die Zellteilung aus dem Gleichgewicht gerät, sodass krankhafte Wucherungen entstehen und gesundes Gewebe schädigen.
Dabei ist die Entstehung von Krebs unglaublich komplex und wird durch ein Zwischenspiel von verschiedensten Faktoren gesteuert. Erst kürzlich wurde auch die Rolle von Stammzellen für die Krebsentstehung deutlich. Sogenannte adulte Stammzellen sind in vielen unserer Organe vorhanden, wo sie unentwegt für Zellnachschub sorgen, um alte und abgestorbene Zellen zu ersetzen. Viele Krebsarten beim Menschen entstehen aus adulten Stammzellen, wenn deren Zellteilung aus dem Gleichgewicht gerät. Das Labor von Jürgen Knoblich – weltbekannt für die Forschung an Stammzellen und Organoiden – bringt nun neue Erkenntnisse darüber, wie diese Stammzellen zu „unsterblichen“ Tumorzellen werden. Dabei scheint der Energiestoffwechsel der Zelle eine besondere Rolle zu spielen. Diese Energie wird entweder aus Nährstoffen wie Zucker und Fett oder aus Sauerstoff in den Zell-Kraftwerken, den Mitochondrien, gewonnen.

Verschmolzene Zell-Kraftwerke liefern Treibstoff für die Krebsentstehung

Das Team um Jürgen Knoblich untersuchte in ihrer aktuellen Publikation, welche Rolle der Energie-Zellstoffwechsel bei bestimmten Gehirn-Tumorzellen der Fruchtfliege Drosophila melanogaster – einem der altbewährtesten und meisterforschten Modellorganismen in der Biologie – spielt. Bereits seit den 1970er Jahren konnte die Funktion bestimmter Gene für die Krebsentstehung bei Drososphila erstmals untersucht werden. Fliegen, die eine Mutation in dem Gen Brat tragen, sterben zum Beispiel, weil Nerven-Stammzellen im Gehirn sich unkontrolliert vermehren und dadurch gigantische Gehirntumore entstehen.
In der aktuellen Publikation in Cell zeigen die ForscherInnen nun, welche Veränderungen in den Fliegen mit Brat Mutationen dazu führen, dass die Gehirnzellen sich unkontrolliert vermehren. Überraschenderweise fand die Gruppe, dass diese Zellen im Vergleich zu normalen Nervenzellen einen wesentlich höheren Sauerstoffverbrauch aufweisen. Dies war für die WissenschaftlerInnen überraschend, da bisher angenommen wurde, dass Tumoren ihre Energie vorrangig aus Zucker durch Glykolyse beziehen. Dieser Effekt, auch Warburg Effekt genannt, ist seit langem ein unumstößliches Dogma in der Krebsforschung.
„Wir konnten aber nachweisen, dass die Gehirntumore ihre Energie aus Sauerstoff beziehen müssen, damit sie „unsterblich“ werden und sich unentwegt weiterteilen können. Besonders interessant daran ist, dass in der Phase der Krebsentstehung die Mitochondrien miteinander fusionieren, um der Zelle noch mehr Treibstoff zu liefern,“ erklärt Francois Bonnay, Postdoktorand am IMBA und Erstautor der Studie. „Durch das Verschmelzen der Zellkraftwerke ergibt sich eine Steigerung der Energiezufuhr durch Sauerstoff, wie wir durch erhöhte Werte von NAD+ und NADH messen konnten– zwei Schlüsselmoleküle, die an der Bioenergetik beteiligt.“
Indem die WissenschaftlerInnen die Sauerstoffzufuhr drosselten, konnte das Tumorwachstum gebremst werden.” Diese Ergebnisse sind unerwartet und stellen bisherige Überlegungen über die Biologie dieser Tumore auf den Kopf”, sagt Knoblich, wissenschaftlicher Direktor am IMBA. “Wir haben gute Hinweise darauf, dass sich Hirntumoren und einige andere Krebsformen beim Menschen genauso verhalten. Dies legt also einen völlig neuen Weg nahe, die gefährlichsten Zellen in solchen Tumoren ins Visier zu nehmen und die Achillesferse dieser Tumoren – ihren hohen Energiebedarf – für die Entwicklung neuer Krebstherapien zu nutzen.“

Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie ist das größte Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit dem Fokus auf zukunftsweisende Grundlagenforschung. 16 Forschungsgruppen stellen sich den molekularen Rätseln und unerforschten Gebieten der Molekularbiologie und Medizin. Erkenntnisse aus den Bereichen Zell- und RNA- Biologie, molekularer Medizin und Stammzellbiologie bilden den Nährboden für eine Medizin der Zukunft. Die Stammzellinitiative am IMBA wird durch eine Förderung des Bundesministeriums für Wissenschaft sowie durch die Stadt Wien finanziert.
www.imba.oeaw.ac.at


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Mag. Ines Méhu-Blantar
Senior Communications Manager
Public Engagement Expert
IMBA – Institute of Molecular Biotechnology GmbH
ines.mehu-blantar@imba.oeaw.ac.at
M: +43 664 808473628


Originalpublikation:

Originalpublikation: “Oxidative metabolism drives immortalization of neural stem cells during tumorigenesis”, François Bonnay, Ana Veloso et al., Cell, 2020.
DOI doi.org/10.1016/j.cell.2020.07.039


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW