01.07.2019 10:22
Pharmakonutrition ‒ Modernes Drug Design für Funktionsstudien
Antonella Di Pizio und Maik Behrens vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München haben im Rahmen eines deutsch-israelischen Forschungsprojektes gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern erstmals hochwirksame Aktivatoren für den Bitterrezeptor TAS2R14 entwickelt. Die neuen Substanzen dienen dazu, die noch unbekannten physiologischen Funktionen des Rezeptors zu erforschen, z.B. in der menschlichen Immunabwehr.
Das Wissenschaftlerteam publizierte seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift Cellular and Molecular Life Sciences (Di Pizio et al., 2019; DOI: 10.1007/s00018-019-03194-2).
Bitter(geschmacks)rezeptor mit Gesundheitseffekt?
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Erst seit etwa 15 Jahren ist bekannt, dass Menschen Bitteres mit Hilfe von 25 verschiedenen Rezeptorvarianten detektieren. Der TAS2R14 ist einer von ihnen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bitterrezeptoren, erkennt er eine große Bandbreite von Bitterstoffen. Neben sekundären Pflanzeninhaltsstoffen wie Koffein zählen auch Arzneistoffe zu seinen Aktivatoren. Der Bitterrezeptor ist aber nicht nur für die Geschmackswahrnehmung relevant. Aktuelle Befunde weisen darauf hin, dass er noch weitere physiologische Funktionen erfüllt, die für unsere Gesundheit bedeutsam sind. So findet er sich auf Lungen- und Hodenzellen und spielt eine Rolle bei der angeborenen Immunabwehr.
Alter Arzneistoff als Basis für modernes Drug Design
Um die vielfältigen Funktionen des TAS2R14 in den verschiedenen Organen und Geweben gezielt untersuchen zu können, sind u.a. hochwirksame (potente) Aktivatoren des Rezeptors notwendig. Mit Hilfe eines Struktur-basierten, computergestützten Modelling-Ansatzes ist es dem deutsch-israelischen Wissenschaftlerteam nun erstmals gelungen, drei solcher hochpotenten Substanzen zu synthetisieren. Ausgangssubstanz für das Drug Design war der Arzneistoff Flufenaminsäure. Der altbekannte Wirkstoff zählt zu den nicht-steroidalen Antirheumatika und ist in Muskel- und Gelenksalben enthalten. Er wirkt entzündungshemmend und schmerzstillend indem er Enzyme blockiert, welche die Ausschüttung von Prostaglandinen fördern.
„Wir haben uns für diesen Wirkstoff als Basis für unsere Untersuchungen entschieden, da er den Rezeptor bereits in geringsten Konzentrationen stimuliert. Das heißt, etwa acht millionstel Gramm des Stoffs pro Liter reichen hierfür bereits aus“, erklärt Bioinformatikerin und Erstautorin Antonella Di Pizio. Die neuen Derivate seien extrem potente Aktivatoren, wirksamer als der bekannte Arzneistoff und sollen künftig als Werkzeug bei Funktionsstudien zum Einsatz kommen, so die Forscherin weiter.
Neues Forschungsgebiet „Pharmakonutrition“ mit systembiologischem Ansatz
„Aufgrund der vielen neuen Befunde, begreifen wir heute Bitterstoffe nicht mehr nur als rein geschmacksgebende, sondern auch als medizinisch wirksame Nahrungskomponenten“, sagt Molekularbiologe Maik Behrens. „Ebenso sind heute Bitterrezeptoren nicht mehr nur als Sensoren zu sehen, die uns vor dem Verschlucken potentiell giftiger Substanzen warnen.“ Die Zusammenhänge zwischen Bitterstoffen, Bitterrezeptoren und dem menschlichen Organismus zu erforschen, erfordere einen neuen, weitgreifenden systembiologischen Ansatz, so der Biologe weiter. Das Leibniz-Institut verfolgt diesen, indem es molekulare Grundlagenforschung mit neuesten Methoden der Bioinformatik und Hochdurchsatztechnologien kombiniert.
Originalpublikation:
Di Pizio A, Waterloo LAW, Brox R, Löber S, Weikert D, Behrens M, Gmeiner P, Niv MY (2019) Cellular and Molecular Life Sciences, DOI: 10.1007/s00018-019-03194-2. Rational design of agonists for bitter taste receptor TAS2R14: from modeling to bench and back
Hintergrundinformationen:
Lesen Sie auch die Pressemitteilung: Bitterrezeptor liefert Basis für die Entwicklung neuartiger Arzneimittel-Tests
https://www.leibniz-lsb.de/presse-oeffentlichkeit/pressemitteilungen/pm-200718-p…
Zugehörige Originalpublikation: Reengineering the ligand sensitivity of the broadly tuned human bitter taste receptor TAS2R14. Nowak S, Di Pizio A, Levit A, Niv MY, Meyerhof W, Behrens M. Biochim Biophys Acta. 2018 Jul 12. pii: S0304-4165(18)30200-9. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0304416518302009; https://doi.org/10.1016/j.bbagen.2018.07.009
Ergänzende Literatur:
Probing the binding pocket of the broadly tuned human bitter taste receptor TAS2R14 by chemical modification of cognate agonists. Karaman R, Nowak S, Di Pizio A, Kitaneh H, Abu-Jaish A, Meyerhof W, Niv MY, Behrens M. Chem Biol Drug Des. 2016 Jul; 88(1):66-75. doi: 10.1111/cbdd.12734.
The bitter pill: clinical drugs that activate the human bitter taste receptor TAS2R14. Levit A, Nowak S, Peters M, Wiener A, Meyerhof W, Behrens M, Niv MY. FASEB J. 2014 Mar; 28(3):1181-97. doi: 10.1096/fj.13-242594.
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Dr. habil. Maik Behrens
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an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
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Kurzprofil von Dr. habil. Maik Behrens: https://www.leibniz-lsb.de/institut/mitarbeiterinnen/kurzprofil-dr-habil-maik-be…
Dr. Antonella Di Pizio
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E-Mail: a.dipizio.leibniz-lsb@tum.de
Kurzprofil von Dr. Antonella Di Pizio: https://www.leibniz-lsb.de/institut/mitarbeiterinnen/kurzprofil-dr-antonella-di-…
Originalpublikation:
Di Pizio A, Waterloo LAW, Brox R, Löber S, Weikert D, Behrens M, Gmeiner P, Niv MY (2019) Cellular and Molecular Life Sciences, DOI: 10.1007/s00018-019-03194-2. Rational design of agonists for bitter taste receptor TAS2R14: from modeling to bench and back
https://link.springer.com/article/10.1007/s00018-019-03194-2
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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