Retroviren in Madagaskar-Mausmakis sind vielfältig und überraschend ähnlich zu denen in Eisbären oder Hausschafen



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13.01.2023 14:55

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Retroviren in Madagaskar-Mausmakis sind vielfältig und überraschend ähnlich zu denen in Eisbären oder Hausschafen

Madagaskar beherbergt eine einzigartige Artenvielfalt mit einer großen Anzahl nur dort vorkommender (endemischer) Arten, darunter zahlreiche Lemurenarten wie Mausmakis. Diese Vielfalt ist besonders beeindruckend bei ihren Retroviren, berichtet ein Wissenschaftsteam unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der University of Stirling in der Zeitschrift „Virus Evolution“. Sie analysierten die Genome mehrerer Mausmaki-Spezies und identifizierten Viren zweier Klassen, die alte Infektionen der Keimbahn der Mausmakis darstellen. Die Viren verhalten sich nun ähnlich wie Lemurengene und werden daher endogene Retroviren (ERV) genannt.

Überraschend war, dass einige der identifizierten Retroviren eng mit Viren verwandt sind, die in ganz anderen Säugetieren wie Eisbären oder Hausschafen vorkommen. Dies deutet auf ein sehr viel komplexeres Muster des Wirtswechsels von Retroviren hin.

Für ihre Analyse sammelte das Team Blutproben von vier Arten der auf Madagaskar heimischen Mausmakis und untersuchte sie mithilfe von Hochdurchsatz-Sequenzierungsverfahren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler identifizierten zwei Gamma- und drei Betaretrovirus-Sequenzen im Genom der Makis, die auf sehr alte Infektionen in der Keimbahn der Mausmakis zurückgehen. Die Keimbahn ist die Abfolge von Zellen, die bei der befruchteten Eizelle eines Lebewesens beginnt und im Laufe der Individualentwicklung zur Bildung eigener Keimzellen (Eizellen und Spermien) führt. Die Virus-DNA wurde in das Wirtsgenom der Mausmakis eingebaut, die Viren sind jedoch nicht mehr aktiv oder infektiös. „Wir waren überrascht, dass eine der beiden identifizierten Arten von Gammaretroviren mit einem ERV verwandt ist, welches bei Eisbären beschrieben wurde“, erklärt Dr. Sharon Kessler, eine vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte Wissenschaftlerin und Assistant Professor an der Universität von Stirling (Schottland). Das Eisbärenvirus ist aus evolutionärer Sicht jung, während das Lemurenvirus sehr alt ist. „Wie diese verwandten Viren zeitlich und räumlich so weit voneinander getrennte Arten infizieren konnten, ist unklar“, sagt Kessler.

Weitere Überraschungen gab es bei den Betaretroviren. Das Jaagsiekte-Schaf-Retrovirus (JSRV) ist ein virulentes Retrovirus, das Hausschafe infiziert und dort endogene Retroviren bildet. Bislang galt, dass dieses Virus auf Hausschafe, -ziegen und deren Verwandte beschränkt ist – das erste geklonte Schaf „Dolly“ musste nach einer JSRV-Infektion und der darauf folgenden Erkrankung eingeschläfert werden. Die Mausmakis hatten jedoch ein eng verwandtes JSRV-ähnliches Virus in ihrem Genom. „Dies deutet darauf hin, dass JSRV-ähnliche Viren unter Säugetieren weiter verbreitet und wesentlich älter sind als bisher angenommen. Warum sie bei so unterschiedlichen Arten punktuell auftauchen, ist sehr interessant und merkwürdig“, sagt Prof. Alex Greenwood, Leiter der Leibniz-IZW-Abteilung für Wildtierkrankheiten, in der die Probenuntersuchungen durchgeführt wurde. In ähnlicher Weise identifizierte das Team in den Mausmakis ein Virus, das mit Retroviren verwandt ist, die bei Totenkopfaffen, Vampirfledermäusen und Beuteltieren vorkommen. „Diese Gruppe von Viren wird mit der Zeit immer interessanter, da immer mehr Beispiele ähnlicher Viren an vielen Orten gefunden werden, darunter auch sehr junge Viren, die möglicherweise noch infektiöse exogene Gegenstücke in der Natur haben“, sagt Greenwood.
Ein großer Teil der beobachteten Vielfalt der Retroviren in Mausmakis geht offenkundig auf Viren zurück, die nicht von Primaten stammen, was auf ein komplexes Muster viraler Wirtswechsel zu der Zeit hindeutet, als die Vorfahren der Mausmakis in Madagaskar entstanden. Weitere Untersuchungen zur viralen Vielfalt werden dazu beitragen, die offensichtlich komplexe Historie der retroviralen Übertragung unter Säugetieren zu klären.

Dr. Kessler und Prof. Greenwood arbeiteten bei dieser wissenschaftlichen Untersuchung mit Prof. Solofonirina Rasoloharijaona von der Universität Mahajanga (Madagaskar), Prof. Ute Radespiel von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (Deutschland) und Dr. Kyriakos Tsangaras von der Universität von Nikosia (Zypern) zusammen. Die Arbeit wurde finanziell unterstützt von der American Association of Physical Anthropologists.
Retroviren sind Viren, die sich vermehren, indem sie ihr genetisches Material in das Genom einer Wirtszelle einbauen. Handelt es sich bei der infizierten Zelle um eine Keimzelle, kann das Retrovirus anschließend als „endogenes“ Retrovirus an die Nachkommen weitergegeben werden und sich als Teil des Wirtsgenoms in einer Population verbreiten. Wiederholte Infektionen führten dazu, dass endogene Retroviren in den Genomen von Säugetieren allgegenwärtig sind und mitunter erhebliche Teile des Wirts-Erbguts ausmachen. Jedoch sind die meisten Retrovirus-Integrationen sehr alt und bereits abgebaut und daher inaktiv – ihre anfänglichen Auswirkungen auf die Gesundheit des Wirts sind durch Millionen von Jahren der Evolution nivelliert.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Alex D. Greenwood
Leiter der Abteilung für Wildtierkrankheiten
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Tel.: +49 (0)30 5168255
E-Mail: greenwood@izw-berlin.de

Dr. Sharon Kessler
University of Stirling, Faculty of Natural Sciences
Lecturer/Assistant Professor in Psychologie
Tel.: +44(0)1786 467 651
E-Mail: sharon.kessler@stir.ac.uk


Originalpublikation:

Kessler S, Tsangaras K, Rasoloharijaona S, Radespiel U, Greenwood AD (2022): Long-term host-pathogen evolution of endogenous beta- and gammaretroviruses in mouse lemurs with little evidence of recent retroviral introgression. Virus Evolution, veac117. DOI: doi.org/10.1093/ve/veac117


Bilder

Mausmaki

Mausmaki
Sharon Kessler
Sharon Kessler


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW