01.06.2022 13:20
Trainierte Immunantwort: Freund oder Feind?
Ein internationales Team von Wissenschaftler:innen der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden und der Penn Dental Medicine der University of Pennsylvania haben einen ursächlichen Zusammenhang aufgezeigt, der erklären könnte, wie eine entzündliche Erkrankung eine andere verschlimmern kann.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Das menschliche Immunsystem ist in der Lage, sich zu erinnern – die Vorteile dieser Erkenntnis sind bereits bei Infektionen nachgewiesen. Nun machen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber auf einen weiteren Effekt dieses Erinnerns aufmerksam – die trainierte Immunantwort. Wenn diese durch Faktoren wie chronische Entzündungen ausgelöst wird, kann es zu einer höheren Anfälligkeit für weitere entzündliche Erkrankungen kommen, wie die Forscherteams aus Pennsylvania und Dresden in einer gemeinsamen, im renommierten Wissenschaftsmagazin Cell veröffentlichten Arbeit darlegen konnten.
Die Fähigkeit, sich zu erinnern, z.B. an frühere Infektionen des Organismus durch Viren, wurde traditionell nur dem erworbenen Immunsystem zugeschrieben. Im letzten Jahrzehnt wurde aber eine zusätzliche Form des Immungedächtnisses entdeckt, das Gedächtnis des angeborenen Immunsystems, auch trainierte Immunantwort genannt. Die Arbeitsgruppe von Professor Triantafyllos Chavakis, Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin am Universitätsklinikum Dresden und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, konnte in Zusammenarbeit mit dem Team um Professor George Hajishengallis der University of Pennsylvania bereits in zwei früheren, in den Jahren 2018 und 2020 im Wissenschaftsmagazin Cell veröffentlichten Arbeiten zeigen, dass die antrainierte Immunantwort durch Veränderungen der Vorläuferzellen von Immunzellen im Knochenmark initiiert wird und dass deren Aktivierung das Tumorwachstum hemmen kann. Wenngleich diese Erkenntnis positiv anmutet, könnte eine trainierte Immunität in anderen Kontexten jedoch auch schädlich sein. Diese „böse Seite“ der trainierten Immunantwort konnte durch die Zusammenarbeit der beiden Teams jetzt aufgedeckt werden.
In der am 12. Mai 2022 erschienenen Arbeit in Cell wurde im experimentellen Mausmodell gezeigt, dass eine Entzündung des Zahnfleisches, die sogenannte Parodontitis, eine antrainierte Immunantwort in Vorläuferzellen von Immunzellen im Knochenmark induziert. Dies kann wiederum die Anfälligkeit für andere Erkrankungen, wie die Gelenkentzündung (Arthritis), erhöhen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich myeloische Zellen des angeborenen Immunsystems, wie Neutrophile und Monozyten, an vergangene Entzündungen, wie die Parodontitis, „erinnern“ und dadurch reaktionsfähiger werden. Dadurch kann es zu einer Verschlimmerung weiterer entzündlicher Erkrankungen, wie der Arthritis, kommen. Die Forscher fanden außerdem heraus, dass diese Erinnerung in den Vorläuferzellen der myeloischen Zellen im Knochenmark durch sogenannte epigenetische Modifikationen kodiert wird. Solche epigenetischen Modifikationen verändern die Aktivität von bestimmten Genen, beeinflussen also die Art und Weise, wie Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Die durch eine Parodontitis-induzierten epigenetischen Veränderungen in den Vorläuferzellen des Knochenmarks waren v.a. mit Signaturen der Entzündungsreaktion verbunden.
Parodontitis ist eine häufige Begleiterkrankung (sogenannte Komorbidität) von weiteren entzündlichen Erkrankungen, wie z.B. der Arthritis oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Es ist bekannt, dass Parodontitispatienten ein höheres Risiko für diese Begleiterkrankungen haben. Umgekehrt gilt auch: Menschen mit entzündlichen Erkrankungen, z.B. des Darms oder der Gelenke haben häufiger eine Parodontitis. Wie jetzt im Tiermodell gezeigt werden konnte, stellt die antrainierte Immunantwort, die im Knochenmark stattfindet, eine mögliche Ursache der bidirektionalen Assoziation zwischen Parodontitis und Arthritis dar“ so Hajishengallis. „Die antrainierte Immunantwort des Knochenmarks könnte demnach ein zentraler Mechanismus sein, der Einfluss auf eine Vielzahl von Komorbiditäten haben könnte, was in zukünftigen Arbeiten untersucht werden sollte“, so Chavakis. Folgeprojekte untersuchen deswegen, wie die trainierte Immunantwort des Knochenmarks andere entzündliche Erkrankungen miteinander in Verbindung bringen könnte.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Triantafyllos Chavakis
Direktor
Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin
Technische Universität Dresden
Tel: 0351 458-21209
Email: trianfyllos.chavakis@uniklinikum-dresden.de
Originalpublikation:
Maladaptive innate immune training of myelopoiesis links inflammatory comorbidities
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0092867422003932?via%3Dih…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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