25.01.2022 11:54
Von 0 auf 50: Dreifachtherapie verbessert gestörte Kanalfunktion bei Mukoviszidose
Bei Patienten mit einer häufigen Form der Mukoviszidose verbessert eine neue ursächliche Dreifachtherapie die Funktion des beeinträchtigten Ionenkanals in den Atemwegen und im Darm. Das haben Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin herausgefunden.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Die Dreifachtherapie stellt die Funktion des Ionenkanals, die bei den untersuchten Patienten vorher bei 0 bis zehn Prozent lag, auf ca. 50 Prozent der Aktivität eines gesunden Kanals wieder her“, sagt Dr. Simon Gräber, Arzt und Forscher an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, einer der Erstautoren der Studie. „Dieses Ergebnis ist vor allem für die langfristige Prognose der Patienten wichtig.“ Denn von Patienten mit einer anderen Form der Mukoviszidose, deren Ionenkanal unbehandelt noch zu 50 Prozent arbeitet, ist bekannt, dass die Erkrankung damit auch auf lange Sicht mild verläuft.
Neu entwickelte Modulatoren setzen an Krankheitsursache an
Bei Mukoviszidose, auch cystische Fibrose (CF) genannt, ist das Gen für einen Ionenkanal an der Oberfläche von Zellen verändert. Der betroffene Ionenkanal heißt Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR). Über 2.000 unterschiedliche genetische Veränderungen, also Mutationen, im CFTR-Gen sind bekannt. Normalerweise transportiert der Kanal Chlorid-Ionen aus der Zelle raus. Bei Mukoviszidose kann er dies entweder gar nicht oder nur eingeschränkt, weshalb auch mehr Wasser in den Zellen verbleibt und die Zelloberflächen austrocknen. Dadurch bildet sich ein zäher Schleim, der die Atemwege der Lunge und innere Organe wie den Darm verklebt. Charakteristisch für die Erkrankung ist außerdem ein erhöhter Salzgehalt im Schweiß.
Kürzlich entwickelte sogenannte small molecule CFTR-Modulatoren ermöglichen es, bestimmte Ursachen der Mukoviszidose zu behandeln, dazu gehört auch die F508del-CFTR-Mutation, die bei gut 90 Prozent aller Patienten vorliegt. Diese Modulatoren aktivieren vorhandene Kanäle und unterstützen, dass der CFTR-Kanal richtig hergestellt wird. Vorausgegangene klinischen Studien zeigten bereits, wie gut sich die Dreierkombination der neuen Medikamente auf die Lungenfunktion und Lebensqualität der Patienten auswirkt. Der Nachweis, dass der Ionenkanal in den Atemwegen und im Darm tatsächlich wieder arbeitet und in welchem Umfang die Fehlfunktion korrigiert werden kann, fehlte bislang.
Deutliche Behandlungseffekte
An der funktionellen Analyse der Dreifachtherapie beteiligten sich drei DZL-Zentren und das Mukoviszidose-Zentrum der Charité. Insgesamt untersuchten die Wissenschaftler 107 Mukoviszidose-Patienten. Bei 55 der Studienteilnehmer war eine der beiden Kopien des Ionenkanal-Gens von der F508del-CFTR-Mutation betroffen, das andere Gen wies eine sogenannte Mutation mit Minimalfunktion auf. Alle anderen Studienteilnehmer trugen die F508del-CFTR-Mutation in beiden Kopien des Kanal-Gens.
Um zu beurteilen, wie gut der CFTR-Kanal funktioniert, bestimmten die Forscher die Salzkonzentration im Schweiß der Patienten, verwendeten die nasale Potenzialdifferenz (NPD) und die Darmstrommessung (ICM). Damit untersuchten sie die Patienten einmal vor und acht bis sechzehn Wochen nachdem sie mit der Dreifachtherapie begonnen hatten.
Bei Patienten, die vorher noch keine CFTR-Modulatoren erhalten hatten, steigerte sich die Funktion des Kanals von null auf 50 Prozent. Ein Teil der Patienten nahm bereits zwei der Modulatoren ein, wodurch die Kanalfunktion schon auf ca. zehn bis zwanzig Prozent angehoben werden konnte. „Bei beiden Gruppen führte die Verbesserung der CFTR-Kanalfunktion zu einer deutlichen und für die Betroffenen spürbar verbesserten Lungenfunktion”, sagt Professor Marcus Mall, Leiter der Studie und Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin an der Charité.
Langzeitstudien erforderlich
Allerdings konnten die Forscher nur einen schwachen Zusammenhang zwischen der gesteigerten Kanalfunktion und der kurzfristigen Verbesserung der klinischen Werte, wie der Lungenfunktion sehen. Sie vermuten, dass es daran liegt, dass die Lungenfunktion von vielen weiteren Faktoren, zum Beispiel chronischen Veränderungen der Atemwege, abhängig ist. Außerdem erfassten sie diese Parameter nur für einen kurzen Zeitraum. Deshalb seien Langzeitstudien unumgänglich, die ermitteln, ob das Ausmaß der Verbesserung der Ionenkanalfunktion den weiteren Krankheitsverlauf bei einzelnen Patienten vorhersagen lässt. Zehn Prozent der Mukoviszidose-Patienten kann mit den Modulatoren der Dreifachtherapie bisher nicht geholfen werden, da bei ihnen andere Mutationen vorliegen. Auch für diese kleine Gruppe forschen Gräber und seine Kollegen derzeit intensiv an neuen Behandlungen.
Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL)
Das DZL ist ein Zusammenschluss aus 29 führenden universitären und außeruniversitären Einrichtungen, die sich der Erforschung von Atemwegserkrankungen widmen. Im DZL wird die grundlagen-, krankheits- und patientenorientierte Forschung auf dem Gebiet der Lungenerkrankungen koordiniert und auf internationalem Spitzenniveau durchgeführt, um so die Translation grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in neue klinische Konzepte zur Verbesserung der Patientenversorgung zu beschleunigen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. med. Simon Gräber
BIH Clinician Scientist
Klinik für Pädiatrie m.S. Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin Sektion Cystische Fibrose | Christiane Herzog Zentrum Berlin
CHARITÉ – UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN
Augustenburger Platz 1 | 13353 Berlin
Telefon +49 30 450 616 434
Telefax +49 30 450 566 959
E-Mail: simon.graeber@charite.de
Prof. Dr. med. Marcus A. Mall
Klinikdirektor, Ärztlicher Centrumsleiter CC17
Klinik für Pädiatrie m.S. Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin
Charité Universitätsmedizin Berlin – Campus Virchow Klinikum
Augustenburger Platz 1
D-13353 Berlin
Tel.: +49 30 450 566 131
Fax: +49 30 450 7 566 931
E-Mail: marcus.mall@charite.de
Originalpublikation:
Graeber SY, Vitzthum C, Pallenberg ST, et al. Effects of Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor Therapy on CFTR Function in Patients with Cystic Fibrosis and One or Two F508delAlleles [published online ahead of print, 2021 Dec 22]. Am J Respir Crit Care Med. 2021;10.1164/rccm.202110-2249OC. doi:10.1164/rccm.202110-2249OC
https://www.atsjournals.org/doi/abs/10.1164/rccm.202110-2249OC
Weitere Informationen:
http://www.dzl.de Webseiten des Deutschen Zentrums für Lungenforschung
https://www.charite-ppi.de/ Webseiten der Klinik für Pädiatrie m.S. Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch