Das Kleinhirn verstehen



Teilen: 

28.01.2019 08:08

Das Kleinhirn verstehen

Obwohl wir wissen, dass das Kleinhirn eine große Rolle beim Koordinieren von Bewegungen und Verhalten spielt, wissen wir kaum etwas darüber, wie die Kleinhirn-Schaltkreise dies tun. Purkinjezellen, eine Schlüsseleinheit des Kleinhirns, werden als verantwortlich gesehen sensorische und motorische Informationen miteinander zu vernetzen. Ruben Portugues und sein Team am Max-Planck-Institut für Neurobiologie haben nun im Zebrafisch eine erstaunlich einfache aber elegante Einteilung des Kleinhirns in drei Verhaltensmodule nachgewiesen. Jedes dieser Module kodiert eine definierte visuelle Information.

Unsere Welt ist voll von Sinneseindrücken – auf die wir oft in vorhersehbarer Art und Weise reagieren. So nähern wir uns zum Beispiel gut riechenden Lebensmitteln oder weichen vor einem heranrauschenden Auto zurück. Damit unser Gehirn diese komplexen Sinneseindrücke zu einem sinnvollen Eindruck zusammensetzen und die richtigen Verhaltensmuster abrufen kann, ist es auf die Unterstützung des Kleinhirns angewiesen. Die Bedeutung dieser Hirnregion zeigt sich darin, dass sie sehr ähnlich aufgebaut bei allen Wirbeltieren vorkommt, egal ob Mensch, Vogel oder Fisch.

Das Kleinhirn der Säugetiere besteht aus hunderttausenden Purkinjezellen, von denen jede einzelne wiederum Signale von tausend anderen Zellen bekommt. Hier herauszufinden, wie die Schaltkreise des Kleinhirns funktionieren, ist selbst mit den neusten Methoden nahezu unmöglich. Ruben Portugues und sein Team erforschen daher eine etwas “einfachere” Version: das Kleinhirn von sechs bis acht Tage alten Zebrafischlarven.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

„In diesem Alter enthält das Zebrafisch-Kleinhirn zirka 500 Purkinjezellen und ist wichtig beim Schwimmen und bei Augenbewegungen“, erklärt Laura Knogler, die zusammen mit Andreas Kist die Kleinhirnschaltkreise untersucht. „Es ist alles da und immer noch extrem komplex, doch in den durchsichtigen Fischen haben wir zumindest eine Chance die Aktivitätsmuster der einzelnen Zellen zu sehen.“ Um zu verstehen, wie das Kleinhirn Verhalten koordiniert, studierten die Wissenschaftler die Zebrafisch-Kleinhirnaktivität während die Tiere auf Reize einer virtuellen Umgebung reagierten.

Ähnlich wie viele Wirbeltiere nutzen Zebrafische visuelle Anhaltspunkte, um ihre Bewegungen zu steuern, die Umgebung zu beobachten oder mögliche Feinde und Futter zu entdecken. Daher zeigten die Forscher den Fischen verschiedene optische Reize, während sie ihre Nervenzellaktivität und Bewegungsreaktionen beobachteten. So kam eine unerwartete Aufteilung des Kleinhirns in drei Verhaltensmodule ans Licht. Jedes dieser Module verarbeitete jeweils eine bestimmte visuelle Information: der Beginn einer gerichteten Bewegung, die Geschwindigkeit einer Drehbewegung oder Helligkeitsänderungen. Jede untersuchte Purkinjezelle gehörte zu einem dieser drei Module.

Anders als die visuelle Information wurde das Verhalten der Fische auf ähnliche Weise von allen Zellen kodiert. Dies wurde besonders bei schwimmenden Tieren beeindruckend sichtbar: „Dann fluoreszierte fast das ganze Kleinhirn durch die enorme Aktivität eines Großteils der vorhandenen Purkinjezellen“, berichtet Andreas Kist. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die beobachtete sensorische Einteilung des Kleinhirns eine wichtige Eigenschaft für assoziatives Lernen und neuronale Kodierungen ist. „Die Module scheinen die Informationen optimal zu organisieren, die für das Verhalten der Fische in diesem Alter wichtig sind – während sie gleichzeitig Raum für Flexibilität lassen um Neues durch Erfahrung zu lernen“, so Knogler. „Es würde mich nicht wundern, wenn andere Sinne und auch die Kleinhirne anderer Tierarten in ganz ähnlicher Weise organisiert sind.“

KONTAKT
Dr. Stefanie Merker
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Am Klopferspitz 18
82152 Martinsried
Email: merker@neuro.mpg.de
Tel.: 089 8578 – 3514
Social Media: @mpiNeuro


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Ruben Portugues
Max Planck Research Group „Sensorimotor Control“
Max Planck Institute of Neurobiology
Email: rportugues@neuro.mpg.de
Tel.: +49 89 8578 3492


Originalpublikation:

Motor context dominates output from Purkinje cell functional regions during reflexive visuomotor behaviours
Laura D. Knogler, Andreas M. Kist, Ruben Portugues
eLife, online am 25. Januar 2019
DOI: 10.7554/eLife.42138


Weitere Informationen:

http://www.neuro.mpg.de/portugues/de – Webseite von Ruben Portugues am MPI für Neurobiologie


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW