Molekulare Maschine entwirrt verklumpte Proteine



Teilen: 

30.01.2020 11:47

Molekulare Maschine entwirrt verklumpte Proteine

Wie entwirren Zellen Proteine, die verklumpt und damit funktionsunfähig sind? Forscher vom AMOLF-Institut in Amsterdam sowie vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Universität Heidelberg haben die Funktionsweise einer molekularen Maschine charakterisiert, die an freiliegenden Schleifen der Proteinketten zieht und sie so aus dem Proteinknäuel herauslöst. Die Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Verklumpte, aggregierte und damit funktionsunfähige Proteinketten gelten als mitverantwortlich für zelluläre Alterungsprozesse und zahlreiche Krankheiten einschließlich neurodegenerativer Leiden wie zum Beispiel der Alzheimer-Demenz. Alle Organismen haben daher als „Chaperone“ bezeichnete Moleküle entwickelt, um solche schädlichen Aggregate wieder aufzulösen. Wie die Chaperone diese Aufgabe meistern, war allerdings weitgehend unbekannt.

Auf diese Frage haben Mario Avellaneda und Sander Tans am AMOLF-Institut in Amsterdam zusammen mit Bernd Bukau und Axel Mogk, Deutsches Krebsforschungszentrum und Universität Heidelberg, nun wichtige Antworten gefunden.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

„Das ringförmige bakterielle Chaperon ClpB greift sich eine freie Schleife der Proteinkette, die aus dem Proteinaggregat herausragt, und zieht sie unter Aufwendung von Kraft durch seine zentrale Pore. Der gesamte Proteinklumpen ist zu groß, um durch die Pore zu passen. Durch die Zugkraft kann ClpB jedoch einzelne Proteinketten aus dem größeren Aggregat herausziehen. Das Chaperon funktioniert dabei wie eine Art Motor“, erläutert Bernd Bukau, dessen Arbeitsgruppe sowohl im Deutschen Krebsforschungszentrum als auch im Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) angesiedelt ist.

Nach dem Herauslösen aus dem Aggregat kann sich die Proteinkette wieder zusammenfalten und normal funktionieren. Indem alle Proteine einzeln extrahiert werden, kann das Chaperon das gesamte Aggregat vollständig entwirren.

Die Forscher vermaßen die winzigen Bewegungen, die während der Proteinextraktion erfolgen, mit einer „optischen Pinzette“. Deren Funktion beruht darauf, dass Licht auf mikroskopische Objekte (z.B. Kügelchen) eine Kraft ausübt und diese dadurch bewegt werden können. Durch das Verankern einer Proteinkette zwischen zwei Kügelchen lassen sich so Strukturänderungen der Proteinkette messen. Dies ermöglichte den Forschern genau zu bestimmen, wie der ClpB-Motor Proteinketten transportiert. Wurden die mechanischen Hebel (aromatische Aminosäuren), die im Inneren der Pore von ClpB sitzen, durch Mutationen verändert, so verlor das Chaperon seine Zugkraft.

Die Wissenschaftler wollen als nächstes untersuchen, ob auch Chaperone aus menschlichen Zellen als Zugmaschinen für aggregierte Proteinketten wirken.

Mario J. Avellaneda, Kamila B. Franke, Vanda Sunderlikova, Bernd Bukau, Axel Mogk, Sander J. Tans: Processive extrusion of polypeptide loops by a Hsp100 disaggregase, Nature 2020, DOI: 10.1038/s41586-020-1964-y

Ein Video illustriert die Funktionsweise des Chaperons ClpB:
https://www.sandertanslab.nl/news/press-releases/avellaneda2020

Eine Illustration steht zum Download zur Verfügung:
www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2020/bilder/still_image_cloop.png
BU: Das Chaperon ClpB zieht eine freie Proteinkette durch seine zentrale Pore

Nutzungshinweis für Bildmaterial zu Pressemitteilungen
Die Nutzung ist kostenlos. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) gestattet die einmalige Verwendung in Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Thema der Pressemitteilung bzw. über das DKFZ allgemein. Bitte geben Sie als Bildnachweis an: „Quelle: Avellaneda & Tans, AMOLF Amsterdam“.
Eine Weitergabe des Bildmaterials an Dritte ist nur nach vorheriger Rücksprache mit der DKFZ-Pressestelle (Tel. 06221 42 2854, E-Mail: presse@dkfz.de) gestattet. Eine Nutzung zu kommerziellen Zwecken ist untersagt.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Ansprechpartner für die Presse:

Dr. Sibylle Kohlstädt
Pressesprecherin
Kommunikation und Marketing
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2843
F: +49 6221 42 2968
E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
E-Mail: presse@dkfz.de
www.dkfz.de


Originalpublikation:

Mario J. Avellaneda, Kamila B. Franke, Vanda Sunderlikova, Bernd Bukau, Axel Mogk, Sander J. Tans: Processive extrusion of polypeptide loops by a Hsp100 disaggregase, Nature 2020, DOI: 10.1038/s41586-020-1964-y


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW