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30.03.2023 08:26
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neue Antibiotikaresistenzen bei der Tuberkulose rechtzeitig erkennen und bekämpfen
Das Antibiotikum Bedaquilin wurde im Jahr 2014 speziell für die Behandlung einer multiresistenten Tuberkulose (TB) zugelassen und ist seitdem ein wichtiger Baustein einer erfolgreichen TB-Therapie. Einige Erregerstämme haben jedoch bereits Resistenzen gegen diesen Wirkstoff entwickelt. Welche Mutationen im Erbgut der Bakterien diese Resistenz vermitteln war bisher nur unzureichend bekannt. Hier setzt die aktuell im Lancet Microbe veröffentlichte Studie an: Mit evolutionsbiologischen Verfahren ist es Forschenden aus Europa, den USA und Indien in einem internationalen Kollaborationsprojekt gelungen, neue und bisher unbekannte Resistenzmutationen zu klassifizieren.
Die Tuberkulose (TB) ist eine der gefährlichsten bakteriellen Infektionserkrankungen, an der weltweit mehr als 10 Millionen Menschen erkranken und etwa 1,6 Millionen versterben. Nach Schätzungen der WHO infizieren sich jedes Jahr etwa eine halbe Million Patientinnen und Patienten mit einem multiresistenten (MDR, multidrug-resistant) Bakterienstamm. Für die Therapie werden mindestens vier Antibiotika über mehrere Monate mit teils erheblichen Nebenwirkungen eingesetzt. Das neu entwickelte Antibiotikum Bedaquilin (BDQ) wurde bisher sehr erfolgreich für die Behandlung einer MDR-TB eingesetzt, allerdings traten schon kurz nach der Markteinführung Bedaquilin-resistente Stämme bei TB-Patienten auf.
In einer multizentrischen Studie unter Beteiligung des Leibniz Wissenschaftscampus EvoLUNG, des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) wurden experimentelle Arbeiten in Kombination mit Computermodellen genutzt, um Resistenzmechanismen für Bedaquilin zu definieren und so die schnelle Diagnose von Resistenzen bei klinischen Mycobacterium tuberculosis Komplex (Mtbk) Stämmen z.B. durch Sequenzierung des bakteriellen Erbguts zu ermöglichen. Ziel war die Etablierung einer Datenbank, mit der Mutationen im Erbgut der Erreger interpretiert und eine Resistenzvorhersage durchgeführt werden kann.
In der aktuellen Studie konnten diese in vitro-Laborverfahren und in silico-Computer Methoden eingesetzt werden, um die Auswirkung von einzelnen Mutationen in Bezug auf eine BDQ-Resistenz besser zu verstehen. Die gefundenen Daten wurden mit einer umfangreichen Literaturrecherche kombiniert, um einen umfassenden Mutationskatalog für Bedaquilin zu erstellen.
“Der neuartige evolutionsbiologische Ansatz dieser Arbeit, in dem M. tuberculosis Stämme über einen langen Zeitraum Antibiotika ausgesetzt werden, hat sich als hervorragende Methode zur Selektion von resistenten Mutanten mit einer großen phänotypischen und genetischen Vielfalt erwiesen”, sagt Prof. Stefan Niemann, Letztautor der Studie, Sprecher des Leibniz Wissenschaftscampus EvoLUNG und Leitender Wissenschaftler im DZIF und Exzellenzcluster PMI.
“Ein überraschender Befund dieser Studie war ein neuer Resistenzmechanismus, bei dem die M. tuberculosis Stämme eine große Neuordnung im Erbgut aufwiesen “, ergänzt Dr. Lindsay Sonnenkalb, eine der Erstautorin der Studie vom Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum. “Dieser Resistenzmechanismus wurde bisher noch nicht beschrieben und könnte auch bei klinischen M. tuberuclosis Stämmen vorkommen”.
Die vorgestellten Methoden werden zurzeit in verschiedenen internationalen Kollaborationsprojekten eingesetzt, um Resistenzmechanismen bei neuen Antibiotika Wirkstoffen zu bestimmen, bevor diese in die Anwendung gelangen. Diese Daten sollen die Etablierung von diagnostischen Verfahren vor der ersten breiten Anwendung ermöglichen, die dann direkt bei dem ersten Einsatz der Medikamente zur Verfügung stehen.
Die Arbeit wurde von der Bill & Melinda Gates Foundation, dem Wellcome Trust, dem Leibniz-Wissenschaftscampus – Evolutionäre Medizin der Lunge (EvoLUNG), dem DFG Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI), dem DFG Graduiertenkolleg „Translational Evolutionary Research“ und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) unterstützt.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Niemann,
Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
Telefon: +49 4537 188 7620
Email: sniemann@fz-borstel.de
Originalpublikation:
Bedaquiline Resistance in Mycobacterium tuberculosis: an in vitro and in silico data analysis, Sonnenkalb et al., The Lancet Microbe (March 29, 2023) DOI: 10.1016/S2666-5247(23)00002-2
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch