15.11.2022 13:48
Neue Erkenntnis in der Parkinson-Forschung: Lipide beeinflussen Aufbau von Protein-Verklumpungen
Nach Alzheimer ist Parkinson die weltweit häufigste neurodegenerative Erkrankung. Bis zu 400.000 Betroffene leiden allein in Deutschland daran. Dabei lagern sich fehlerhafte Alpha-Synuklein-Proteine zu faserartigen Strängen zusammen. Wenn diese sogenannten Fibrillen verklumpen, schädigen sie vermutlich Nervenzellen. Forschende haben nun gezeigt, wie Lipide an der Fibrillen-Oberfläche binden und die Anordnung der Synuklein-Proteine innerhalb der Fibrillen beeinflussen. Sie wiesen zudem nach, wie der Wirkstoffkandidat anle138b in eine Röhre im Innern einer solchen lipidischen Fibrille bindet. Die Erkenntnisse könnten neue Ansätze eröffnen, um Parkinson zu diagnostizieren und zu behandeln.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Es ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern: Im fortschreitenden Stadium der Parkinson-Erkrankung beginnen Gliedmaßen zu zittern, Muskeln werden steif, die Bewegungen verlangsamen sich. Auch kognitive Störungen oder Depressionen können auftreten. Derzeit gibt es weder Heilung für Parkinson noch für die verwandten Krankheiten Lewy-Körper-Demenz und Multisystematrophie, bei denen ebenfalls Alpha-Synuklein-Fibrillen auftreten.
Auffällige Ablagerungen im Gehirn
Ein auffallendes Merkmal der Parkinson-Krankheit sind Verklumpungen der Alpha-Synuklein-Proteine im Gehirn. Wie andere Proteine bestehen auch diese aus langen Aminosäureketten, die sich dreidimensional korrekt falten müssen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. In der falschen Form können sich Alpha-Synuklein-Proteine zu fadenförmigen Strängen, den Fibrillen, „aufeinanderstapeln“. Aus den Fibrillen wiederum können noch größere Ablagerungen entstehen. Wissenschaftler*innen vermuten, dass Zusammenlagerungen aus fehlgefalteten Alpha-Synuklein-Proteinen Nervenzellen in ihrer Funktion beeinträchtigen und zu ihrem Absterben beitragen.
In seiner korrekten Faltung ist Alpha-Synuklein für die Nervenzelle allerdings unverzichtbar. Es bindet an Lipidmembranen und ist in Nervenzellen daran beteiligt, Botenstoffbehälter zu transportieren und darin enthaltene Botenstoffe freizusetzen. „Lipide scheinen aber auch mit fehlgefalteten Alpha-Synukleinen zu wechselwirken“, berichtet Gunnar Schröder, Gruppenleiter am Forschungszentrum Jülich und Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Dass Wechselwirkungen zwischen Lipiden und fehlgefalteten Alpha-Synuklein-Proteinen eine Rolle bei der Entwicklung der Parkinson-Krankheit spielen könnten, wird bereits seit Langem vermutet. Doch bisher wissen wir nur wenig darüber“, ergänzt Bert de Groot, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften.
Lipide beeinflussen Fibrillen-Bildung
Diese Wissenslücke konnten die Wissenschaftler*innen jetzt schließen. Ihnen gelang es, erstmals mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar zu machen, wie sich Lipidmoleküle an die Fibrillen-Oberfläche anheften und die Einheiten miteinander verbinden. Durch Einsatz aufwändiger Computersimulationen, kombiniert mit Festkörper-Kernspinresonanz-Spektroskopie, konnten die Teams zudem sichtbar machen, wie die Lipid-Proteinfibrillen miteinander wechselwirken.
Überraschend für die Forscherteams bildeten sich mehrere, vollkommen neuartige Fibrillen in Anwesenheit von Lipiden. „Unsere Erkenntnisse unterstreichen, dass wir Alpha-Synuklein-Fibrillen auch in Gegenwart von Lipiden untersuchen müssen, wenn wir die molekularen Grundlagen von Alpha-Synuklein-bezogenen Krankheiten verstehen wollen“, berichtet Max-Planck-Direktor Christian Griesinger.
Parkinson-Wirkstoffkandidat anle138b bindet an Lipid-Fibrillen
„Auch der vielversprechende Wirkstoffkandidat anle138b bindet an die Lipid-Alpha-Synuklein-Strukturen. Der Wirkstoff setzt sich in den röhrenförmigen Hohlräumen innerhalb der lipidischen Fibrille fest“, erklärt Loren Andreas, Forschungsgruppenleiter am MPI. „Solche Hohlräume finden wir auch bei anderen Proteinen, die sich fehlfalten und mit neurodegenerativen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht werden, zum Beispiel dem Tau-und dem Prion-Protein. Die spannende Frage für uns ist nun, ob anle138b sich dort ähnlich anlagert und somit auch für solche Erkrankungen einen Diagnose- und Therapieansatz liefern könnte.“
Anle138b wurde 2013 von Griesingers Team zusammen mit Kolleg*innen um Armin Giese von der Ludwig-Maximilians-Universität München entwickelt. In Tests an Mäusen verzögert der Wirkstoff erfolgreich das Fortschreiten der Parkinson-Erkrankung. Zurzeit wird er von der MODAG AG in einer Zusammenarbeit mit der Firma Teva weiterentwickelt. In einer klinischen Phase-I-Studie erwies er sich als für den Menschen verträglich, was die weiteren laufenden klinischen Prüfungen ermöglicht.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Loren B. Andreas
Leiter der Emmy-Noether-Forschungsgruppe Festkörper-NMR-Spektroskopie
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Telefon: +49 551 201-2214
E-Mail: land@mpinat.mpg.de
Prof. Dr. Gunnar Schröder
Gruppenleiter im Forschungszentrum Jülich und Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Telefon: +49 2461 61-3259
E-Mail: gu.schroeder@fz-juelich.de
Originalpublikation:
Frieg, B., Antonschmidt, L., Dienemann, C. et al.: The 3D structure of lipidic fibrils of α-synuclein. Nat Commun, 13, 6810 (2022).
https://doi.org/10.1038/s41467-022-34552-7
Antonschmidt, L., Matthes, D., Dervişoğlu, R. et al. The clinical drug candidate anle138b binds in a cavity of lipidic α-synuclein fibrils. Nat Commun 13, 5385 (2022).
https://doi.org/10.1038/s41467-022-32797-w
Weitere Informationen:
https://www.mpinat.mpg.de/4254767/pr_2233 – Original-Pressemitteilung
https://www.mpinat.mpg.de/de/andreas – Webseite von Loren Andreas’ Emmy-Noether-Forschungsgruppe Festkörper-NMR-Spektroskopie, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
http://www.schroderlab.org/ – Webseite von Gunnar Schröders Computational Structural Biology Group, Forschungszentrum Jülich
Bilder
Alpha-Synuklein-Proteine (grün) bilden lange spiralförmige Fibrillen (oben). Bei der Fibrillenbildun …
Benedikt Frieg
Forschungszentrum Jülich
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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