30.07.2019 14:16
Selektive Antibiotika nach dem Vorbild der Natur
Chemiker der Universität Konstanz entwickeln selektive Wirkstoffe gegen die Erreger von Infektionskrankheiten – Inspiriert durch die Strukturen von Naturstoffen
Mit zunehmender Gefahr durch multiresistente Keime werden neue Antibiotika dringender denn je benötigt. Allerdings unterscheiden Antibiotika nicht zwischen Krankheitserregern und nützlichen Mikroben. Sie können die empfindliche Balance des Mikrobioms zerstören – mit bleibenden Schäden. Die Arbeitsgruppe des Konstanzer Chemikers Dr. Thomas Böttcher ist nun der Lösung dieser Probleme einen Schritt näher gekommen. In Kooperation mit der Arbeitsgruppe des Konstanzer Biologen Prof. Dr. Christof Hauck entdeckten die WissenschaftlerInnen bisher unerforschte antibiotische Eigenschaften eines Naturstoffs, den man zuvor lediglich für ein bakterielles Signalmolekül hielt. Das Team mit den Doktoranden Dávid Szamosvári und Tamara Schuhmacher entwickelte und erforschte synthetische Abkömmlinge des Naturstoffs, die eine überraschend hohe Effizienz gegen den Krankheitserreger Moraxella catarrhalis zeigten. Hierbei wurde lediglich das Wachstum von Krankheitserregern dieser Spezies gehemmt, nicht jedoch das anderer Bakterien. Ein solch selektiver Wirkstoff konnte in einem weiteren Projekt auch für den Malariaerreger entwickelt werden. Dadurch könnte die Grundlage für neuartige Präzisionsantibiotika geschaffen werden. Die Forschungsergebnisse werden in den aktuellen Ausgaben der Fachzeitschriften Chemical Science beziehungsweise Chemical Communications beschrieben.
So wichtig Antibiotika für die Behandlung von Infektionskrankheiten auch sind, im Mikrobiom des Menschen hinterlassen sie eine Spur der Verwüstung. Magen-Darm-Beschwerden nach Antibiotikabehandlung sind hier noch die harmlosesten Folgen. Häufig treten auch resistente Krankheitserreger an die Stelle nützlicher Mikroben. Diese können später schwere Infektionskrankheiten hervorrufen oder zu chronischen Erkrankungen führen. Doch nicht alle Mikroben sind gefährlich. Ganz im Gegenteil, viele Mikroorganismen leben friedlich mit uns zusammen und sind für die menschliche Gesundheit sogar unerlässlich. Der Mensch ist dabei ein wahrer Mikrokosmos und beherbergt sogar mehr Mikroben als menschliche Zellen. Doch dieses Ökosystem, das menschliche Mikrobiom, ist fragil. Allergien, Übergewicht, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und sogar psychiatrische Erkrankungen können die Folge eines geschädigten Mikrobioms sein. Doch wie hält man diese ökologische Vielfalt im Fall einer Infektionskrankheit aufrecht?
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Das Forscherteam untersuchte ursprünglich die Signalstoffe des Bakteriums Pseudomonas aeruginosa. Eine Verbindung weckte dabei ihr Interesse, denn sie hemmte hoch selektiv das Wachstum des Krankheitserregers Moraxella catarrhalis. Der Erreger ist unter anderem für Mittelohrentzündungen bei Kindern sowie Infektionen bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen verantwortlich. Eine synthetische Weiterentwicklung des Naturstoffes führte zu einer neuen Substanzklasse mit enormer antibiotischer Effizienz. Überraschend war aber vor allem deren Selektivität: Lediglich das Wachstum von Moraxella catarrhalis wurde gehemmt, nicht jedoch das anderer Bakterien. Sogar eng verwandte Spezies aus der gleichen Gattung blieben völlig unbeeinträchtigt.
Aktuell erforscht das Team von Thomas Böttcher und Christof Hauck den Wirkmechanismus dieser hochselektiven Antibiotika gegen den Krankheitserreger Moraxella catarrhalis. Antibiotika mit einer derartigen Spezies-Selektivität würden Präzisionseingriffe ermöglichen, um zielgerichtet Krankheitserreger auszuschalten, aber dabei die Artenvielfalt der nützlichen Mikroben zu erhalten.
In einer weiteren aktuellen Arbeit in der Fachzeitschrift Chemical Communications ist es im Forschungsteam von Thomas Böttcher und dem Doktoranden Dávid Szamosvári zusammen mit Wissenschaftlern der Duke University (USA) gelungen, hochselektive Wirkstoffe gegen den Malariaerreger zu entwickeln. Auch hier bediente sich das Team dem Vorbild der Natur und kreierte neue, bisher unerforschte Chinolon-Ringsysteme. Eine Verbindung erwies sich dabei als herausragend spezifisch für ein kritisches Stadium im Lebenszyklus des Malariaparasiten. Dieser nistet sich zunächst in der Leber ein, bevor er beginnt, Blutzellen zu befallen. In diesem Leberstadium konnten die Forscher den Parasiten gezielt angreifen und ausschalten. Diese Erkenntnisse sollen helfen, neue chemische Strukturklassen für eine gezielte Erforschung und eine mögliche selektive Therapie von Malaria zu erschließen.
Faktenübersicht:
– Erste relevante Originalveröffentlichung:
D. Szamosvári, T. Schuhmacher, C. Hauck, T. Böttcher (2019) A thiochromenone antibiotic derived from Pseudomonas quinolone signal selectively targets the Gram-negative pathogen Moraxella catarrhalis. Chem. Sci. 10: 6624-6628
https://pubs.rsc.org/en/content/articlepdf/2019/SC/C9SC01090D
– Zweite relevante Originalveröffentlichung:
D. Szamosvári, K. Sylvester, P. Schmid, K.-Y. Lu, E. R. Derbyshire*, T. Böttcher* (2019) Close the ring to break the cycle: Tandem quinolone-alkyne-cyclisation gives access to tricyclic pyrrolo[1,2-a]quinolin-5-ones with potent anti-protozoal activity. Chem. Commun. 55: 7009-7012
https://pubs.rsc.org/en/content/articlelanding/2019/cc/c9cc01689a
– Chemiker der Universität Konstanz entwickeln selektive Wirkstoffe gegen die Erreger von Infektionskrankheiten, die von Naturstoffen abgeleitete sind
– Wirkstoffe gegen Krankheitserreger, die Mittelohrentzündungen bei Kindern und Infektionen bei Patienten mit chronisch obstruktive Lungenerkrankungen verursachen, sowie gegen Malaria
– Selektive Wirkung gegen Krankheitserreger soll zukünftig antibiotische Präzisionseingriffe ermöglichen
– Gefördert durch das Emmy Noether-Programm (Emmy Noether-Forschungsgruppe von Dr. Thomas Böttcher), SFB 969 und die Konstanz Research School Chemical Biology (KoRS-CB)
Hinweis an die Redaktionen:
Bilder können im Folgenden heruntergeladen werden:
https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2019/Bilder/selektive_antibi…
Bildunterschrift: Selektive Antibiotika ermöglichen Präzisionseingriffe im Mikrobiom (Computergrafik)
https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2019/Bilder/selektive_antibi…
Bildunterschrift: Dr. Thomas Böttcher, Fachbereich Chemie, Universität Konstanz
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Thomas Böttcher, Universität Konstanz, Fachbereich Chemie
Originalpublikation:
D. Szamosvári, T. Schuhmacher, C. Hauck, T. Böttcher (2019) A thiochromenone antibiotic derived from Pseudomonas quinolone signal selectively targets the Gram-negative pathogen Moraxella catarrhalis. Chem. Sci. 10: 6624-6628
https://pubs.rsc.org/en/content/articlepdf/2019/SC/C9SC01090D
D. Szamosvári, K. Sylvester, P. Schmid, K.-Y. Lu, E. R. Derbyshire*, T. Böttcher* (2019) Close the ring to break the cycle: Tandem quinolone-alkyne-cyclisation gives access to tricyclic pyrrolo[1,2-a]quinolin-5-ones with potent anti-protozoal activity. Chem. Commun. 55: 7009-7012
https://pubs.rsc.org/en/content/articlelanding/2019/cc/c9cc01689a
Anhang
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch